Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man es als eine sehr komische Art von Verschwörung begreifen, und der Dichter
gebt offenbar zweiten anch ans einen komischen Eindruck aus, aber im Allgemeinen
ist die Stimmung eine ernste, tragische, lind so liegt für uns die Unzweckmäßig-
keit des Verfahrens nicht l'los in dem dargestellten Gegenstand, sondern in der
Auffassung des Dichters selbst. Der Dichter hat unstreitig das Recht, das Thörichte in
jeder Form darzustellen, aber mir müssen das Gefühl habe", daß er sich darüber
erhebt, und wenn das nicht der Fall ist, so wird es um so verdrießlicher, wenn
wir zugleich die Empfindung habe", daß der Dichter eigentlich gebildet genug
wäre, um sich wirklich darüber zu erheben. So wird in der ,,schönen Isabelle"
ein todter Bärenhäuter dargestellt, ein Geizhals, der neben seinem Schatz per¬
graben liegt, und der durch seinen fortlebenden'Geiz, als dieser Schatz gehoben
wird, sich angetrieben fühlt, ihm'zu folgen und um ihn wieder zu erlangen/ sich
in Dienst zu geben. Er erhält täglich einen bedeutenden Lob", und hat zunächst
nnr deu Gedanken, so bald wie möglich zu seinem Schatz wieder zu kommen.
Nun aber ißt er sehr stark, und dadurch wächst ihm immer neues Fleisch an.
In diesem neuen Fleisch liegt zugleich menschliche Gutmüthigkeit, und während er
als Gespenst dem gemeinsten Egoismus folgt, läßt er sich als Halblebeudiger
von natürlichen Gefühlen bestimmen. Das ist offenbar eine ans das Komische,
Phantastische angelegte Erfindung; sie wird aber mit so breitem Pragmatismus
ausgeführt, daß wir jene Freiheit der Phantasie, welche der komische Eindruck
voraussetzt, darüber verlieren, und zugleich mit so viel ernsthafter Moral zersetzt,
daß wir zuletzt wirklich nicht mehr wissen, ob nicht am Ende doch die ganze Sache
ernsthaft gemeint ist. Für manche sehr fein gestimmte geniale Gemüther ist diese
Unklarheit der Empfindung freilich ein würzender Hautgout, für uns aber schmeckt
sie doch zu sehr nach der Fäulnis;. Vollends unbegreiflich ist es aber, wie Heine
in seiner romantischen Schule diese Arnim'schen Erfindungen den Franzosen als
das Höchste hat darstellen können, was die Deutschen im Gebiete des Schauer¬
lichen geleistet haben, während doch selbst die Intention des Dichters nicht unbe¬
dingt darauf ausging.

Wir kommen auf das Einzelne noch im Weiteren zurück, hier wollten wir
nur so viel feststellen, daß bei einem feingebildeten Geist, wie Arnim, eine so un¬
begreifliche Verirrung nur aus einer allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären ist,
die sich in formaler Beziehung an die Identitätsphilosophie anknüpft. Wir
gehen nun zunächst ans das Stoffliche ein.

Die germanistische Richtung im Gegensatz zu der^ antiken mußte im Laufe
der Zeit nothwendig eintreten; die Erschütterung der Schlacht bei Jena bat sie
nur gefördert. Die Aufklärung wie der Classicismus hat im 18. Jahrhundert
bei allen Nationen zu viel gethan. Man hatte das ganze Mittelalter, die große
Vorzeit der historischen Stämme, bei Seite geworfen, und es war daher nicht
anders möglich, als daß man endlich hinter die Einseitigkeit dieser Vorstellung


Grenzboten, III. 18ö2- 32

man es als eine sehr komische Art von Verschwörung begreifen, und der Dichter
gebt offenbar zweiten anch ans einen komischen Eindruck aus, aber im Allgemeinen
ist die Stimmung eine ernste, tragische, lind so liegt für uns die Unzweckmäßig-
keit des Verfahrens nicht l'los in dem dargestellten Gegenstand, sondern in der
Auffassung des Dichters selbst. Der Dichter hat unstreitig das Recht, das Thörichte in
jeder Form darzustellen, aber mir müssen das Gefühl habe», daß er sich darüber
erhebt, und wenn das nicht der Fall ist, so wird es um so verdrießlicher, wenn
wir zugleich die Empfindung habe», daß der Dichter eigentlich gebildet genug
wäre, um sich wirklich darüber zu erheben. So wird in der ,,schönen Isabelle"
ein todter Bärenhäuter dargestellt, ein Geizhals, der neben seinem Schatz per¬
graben liegt, und der durch seinen fortlebenden'Geiz, als dieser Schatz gehoben
wird, sich angetrieben fühlt, ihm'zu folgen und um ihn wieder zu erlangen/ sich
in Dienst zu geben. Er erhält täglich einen bedeutenden Lob», und hat zunächst
nnr deu Gedanken, so bald wie möglich zu seinem Schatz wieder zu kommen.
Nun aber ißt er sehr stark, und dadurch wächst ihm immer neues Fleisch an.
In diesem neuen Fleisch liegt zugleich menschliche Gutmüthigkeit, und während er
als Gespenst dem gemeinsten Egoismus folgt, läßt er sich als Halblebeudiger
von natürlichen Gefühlen bestimmen. Das ist offenbar eine ans das Komische,
Phantastische angelegte Erfindung; sie wird aber mit so breitem Pragmatismus
ausgeführt, daß wir jene Freiheit der Phantasie, welche der komische Eindruck
voraussetzt, darüber verlieren, und zugleich mit so viel ernsthafter Moral zersetzt,
daß wir zuletzt wirklich nicht mehr wissen, ob nicht am Ende doch die ganze Sache
ernsthaft gemeint ist. Für manche sehr fein gestimmte geniale Gemüther ist diese
Unklarheit der Empfindung freilich ein würzender Hautgout, für uns aber schmeckt
sie doch zu sehr nach der Fäulnis;. Vollends unbegreiflich ist es aber, wie Heine
in seiner romantischen Schule diese Arnim'schen Erfindungen den Franzosen als
das Höchste hat darstellen können, was die Deutschen im Gebiete des Schauer¬
lichen geleistet haben, während doch selbst die Intention des Dichters nicht unbe¬
dingt darauf ausging.

Wir kommen auf das Einzelne noch im Weiteren zurück, hier wollten wir
nur so viel feststellen, daß bei einem feingebildeten Geist, wie Arnim, eine so un¬
begreifliche Verirrung nur aus einer allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären ist,
die sich in formaler Beziehung an die Identitätsphilosophie anknüpft. Wir
gehen nun zunächst ans das Stoffliche ein.

Die germanistische Richtung im Gegensatz zu der^ antiken mußte im Laufe
der Zeit nothwendig eintreten; die Erschütterung der Schlacht bei Jena bat sie
nur gefördert. Die Aufklärung wie der Classicismus hat im 18. Jahrhundert
bei allen Nationen zu viel gethan. Man hatte das ganze Mittelalter, die große
Vorzeit der historischen Stämme, bei Seite geworfen, und es war daher nicht
anders möglich, als daß man endlich hinter die Einseitigkeit dieser Vorstellung


Grenzboten, III. 18ö2- 32
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94702"/>
            <p xml:id="ID_823" prev="#ID_822"> man es als eine sehr komische Art von Verschwörung begreifen, und der Dichter<lb/>
gebt offenbar zweiten anch ans einen komischen Eindruck aus, aber im Allgemeinen<lb/>
ist die Stimmung eine ernste, tragische, lind so liegt für uns die Unzweckmäßig-<lb/>
keit des Verfahrens nicht l'los in dem dargestellten Gegenstand, sondern in der<lb/>
Auffassung des Dichters selbst. Der Dichter hat unstreitig das Recht, das Thörichte in<lb/>
jeder Form darzustellen, aber mir müssen das Gefühl habe», daß er sich darüber<lb/>
erhebt, und wenn das nicht der Fall ist, so wird es um so verdrießlicher, wenn<lb/>
wir zugleich die Empfindung habe», daß der Dichter eigentlich gebildet genug<lb/>
wäre, um sich wirklich darüber zu erheben. So wird in der ,,schönen Isabelle"<lb/>
ein todter Bärenhäuter dargestellt, ein Geizhals, der neben seinem Schatz per¬<lb/>
graben liegt, und der durch seinen fortlebenden'Geiz, als dieser Schatz gehoben<lb/>
wird, sich angetrieben fühlt, ihm'zu folgen und um ihn wieder zu erlangen/ sich<lb/>
in Dienst zu geben. Er erhält täglich einen bedeutenden Lob», und hat zunächst<lb/>
nnr deu Gedanken, so bald wie möglich zu seinem Schatz wieder zu kommen.<lb/>
Nun aber ißt er sehr stark, und dadurch wächst ihm immer neues Fleisch an.<lb/>
In diesem neuen Fleisch liegt zugleich menschliche Gutmüthigkeit, und während er<lb/>
als Gespenst dem gemeinsten Egoismus folgt, läßt er sich als Halblebeudiger<lb/>
von natürlichen Gefühlen bestimmen. Das ist offenbar eine ans das Komische,<lb/>
Phantastische angelegte Erfindung; sie wird aber mit so breitem Pragmatismus<lb/>
ausgeführt, daß wir jene Freiheit der Phantasie, welche der komische Eindruck<lb/>
voraussetzt, darüber verlieren, und zugleich mit so viel ernsthafter Moral zersetzt,<lb/>
daß wir zuletzt wirklich nicht mehr wissen, ob nicht am Ende doch die ganze Sache<lb/>
ernsthaft gemeint ist. Für manche sehr fein gestimmte geniale Gemüther ist diese<lb/>
Unklarheit der Empfindung freilich ein würzender Hautgout, für uns aber schmeckt<lb/>
sie doch zu sehr nach der Fäulnis;. Vollends unbegreiflich ist es aber, wie Heine<lb/>
in seiner romantischen Schule diese Arnim'schen Erfindungen den Franzosen als<lb/>
das Höchste hat darstellen können, was die Deutschen im Gebiete des Schauer¬<lb/>
lichen geleistet haben, während doch selbst die Intention des Dichters nicht unbe¬<lb/>
dingt darauf ausging.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_824"> Wir kommen auf das Einzelne noch im Weiteren zurück, hier wollten wir<lb/>
nur so viel feststellen, daß bei einem feingebildeten Geist, wie Arnim, eine so un¬<lb/>
begreifliche Verirrung nur aus einer allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären ist,<lb/>
die sich in formaler Beziehung an die Identitätsphilosophie anknüpft. Wir<lb/>
gehen nun zunächst ans das Stoffliche ein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_825" next="#ID_826"> Die germanistische Richtung im Gegensatz zu der^ antiken mußte im Laufe<lb/>
der Zeit nothwendig eintreten; die Erschütterung der Schlacht bei Jena bat sie<lb/>
nur gefördert. Die Aufklärung wie der Classicismus hat im 18. Jahrhundert<lb/>
bei allen Nationen zu viel gethan. Man hatte das ganze Mittelalter, die große<lb/>
Vorzeit der historischen Stämme, bei Seite geworfen, und es war daher nicht<lb/>
anders möglich, als daß man endlich hinter die Einseitigkeit dieser Vorstellung</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, III. 18ö2- 32</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] man es als eine sehr komische Art von Verschwörung begreifen, und der Dichter gebt offenbar zweiten anch ans einen komischen Eindruck aus, aber im Allgemeinen ist die Stimmung eine ernste, tragische, lind so liegt für uns die Unzweckmäßig- keit des Verfahrens nicht l'los in dem dargestellten Gegenstand, sondern in der Auffassung des Dichters selbst. Der Dichter hat unstreitig das Recht, das Thörichte in jeder Form darzustellen, aber mir müssen das Gefühl habe», daß er sich darüber erhebt, und wenn das nicht der Fall ist, so wird es um so verdrießlicher, wenn wir zugleich die Empfindung habe», daß der Dichter eigentlich gebildet genug wäre, um sich wirklich darüber zu erheben. So wird in der ,,schönen Isabelle" ein todter Bärenhäuter dargestellt, ein Geizhals, der neben seinem Schatz per¬ graben liegt, und der durch seinen fortlebenden'Geiz, als dieser Schatz gehoben wird, sich angetrieben fühlt, ihm'zu folgen und um ihn wieder zu erlangen/ sich in Dienst zu geben. Er erhält täglich einen bedeutenden Lob», und hat zunächst nnr deu Gedanken, so bald wie möglich zu seinem Schatz wieder zu kommen. Nun aber ißt er sehr stark, und dadurch wächst ihm immer neues Fleisch an. In diesem neuen Fleisch liegt zugleich menschliche Gutmüthigkeit, und während er als Gespenst dem gemeinsten Egoismus folgt, läßt er sich als Halblebeudiger von natürlichen Gefühlen bestimmen. Das ist offenbar eine ans das Komische, Phantastische angelegte Erfindung; sie wird aber mit so breitem Pragmatismus ausgeführt, daß wir jene Freiheit der Phantasie, welche der komische Eindruck voraussetzt, darüber verlieren, und zugleich mit so viel ernsthafter Moral zersetzt, daß wir zuletzt wirklich nicht mehr wissen, ob nicht am Ende doch die ganze Sache ernsthaft gemeint ist. Für manche sehr fein gestimmte geniale Gemüther ist diese Unklarheit der Empfindung freilich ein würzender Hautgout, für uns aber schmeckt sie doch zu sehr nach der Fäulnis;. Vollends unbegreiflich ist es aber, wie Heine in seiner romantischen Schule diese Arnim'schen Erfindungen den Franzosen als das Höchste hat darstellen können, was die Deutschen im Gebiete des Schauer¬ lichen geleistet haben, während doch selbst die Intention des Dichters nicht unbe¬ dingt darauf ausging. Wir kommen auf das Einzelne noch im Weiteren zurück, hier wollten wir nur so viel feststellen, daß bei einem feingebildeten Geist, wie Arnim, eine so un¬ begreifliche Verirrung nur aus einer allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären ist, die sich in formaler Beziehung an die Identitätsphilosophie anknüpft. Wir gehen nun zunächst ans das Stoffliche ein. Die germanistische Richtung im Gegensatz zu der^ antiken mußte im Laufe der Zeit nothwendig eintreten; die Erschütterung der Schlacht bei Jena bat sie nur gefördert. Die Aufklärung wie der Classicismus hat im 18. Jahrhundert bei allen Nationen zu viel gethan. Man hatte das ganze Mittelalter, die große Vorzeit der historischen Stämme, bei Seite geworfen, und es war daher nicht anders möglich, als daß man endlich hinter die Einseitigkeit dieser Vorstellung Grenzboten, III. 18ö2- 32

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/261>, abgerufen am 22.12.2024.