Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Naturgewalt die widerstrebende" Elemente unterwirft, finden. Dieser Satz, daß
das Recht mit der Macht identisch sei, ist eben so oft mißverstanden, als Hegel's
Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen; in beiden Fällen nicht ohne Schuld
der Schriftsteller, welche die Erscheinung nicht genau genng analysirten und die
Idee nicht in eine präcise, allgemein verständliche Form brachten. Aus der Com¬
bination dieser beiden Ideen ergab sich die Neigung, nur genialen Menschen im
Leben Berechtigung zuzugestehen, Menschen, in denen die' Kraft mit der Neigung,
die That mit dem Willen zusammenfällt. Aus diesen genialen Menschen bildet
sich eine Aristokratie, ungefähr wie im Platonischen Staate eine Aristokratie, die
allerdings, wenn sie ausführbar wäre, der Menschheit das traurigste Geschick
bereiten würde, die sich aber Carlyle auch nicht klar ausgemalt hat, deun er setzt
gleich darauf hinzu, sie solle sich über die ganze Menschheit ausdehnen, alle
Menschen sollten heroisch werden. Wenn man diesen Satz in der gewöhnlichen
Sprache ausdrücken wollte, so wäre eigentlich darin nichts weiter enthalten, als
daß sich in jedem Menschen neben dem allgemein Giltigen, das bei ihm in der
Form der Logik, der Sittlichkeit, oder auch der Autorität eintritt, eine gewisse
individuelle Freiheit entwickeln müsse. Zwischen diesen beiden Gegensätzen die
richtige Scheidegrenze festzustellen, wäre allerdings eine sehr fruchtbare Aufgabe,
eigentlich die Hauptaufgabe der ganzen praktischen Philosophie, aber er hat das
auch nicht einmal versucht. ' In seiner orakelmäßigen Form wird immer nur be¬
hauptet, immer nur polemistrt, aber nie mit Ruhe und Sammlung der Gegenstand
nach allen Seiten hin erläutert.

1843 erschien "Vergangenheit und Gegenwart" (l>asi ama present), das
Werk, in welchem alle seine einzelnen Ansichten wie in einem Brennpunkt concentirt
wurden. Schon die Jnhaltscmzeige dieses Buches muß einige Schrecken einflößen.
Das erste Buch/ die Einleitung, enthält folgende Capitel: Midas; die Sphinx;
der Manchesteraufstand; Morrison's Pille; die Aristokratie des Talents; der
Eultus der Heroen. Das zweite Buch hat den Titel: "der alte Mönch", und
ans den Ueberschriften der Capitel sollte man ans eine historische Novelle schließe";
aber es ist von einer solchen eben so wenig die Rede. Das dritte Buch heißt: "der
moderne Arbeiter"; die Capitel: Phänomene; Evangelium des Mammonismus
(ein von Carlyle erfundenes Wort, um seine Abneigung gegen die moderne
Geldherrschaft zu bezeichnen, welches von seinen Nachfolgern auf eine ungebührliche
Weise ausgebeutet wird); Evangelium des Dilettantismus (etwas Anderes als
man gewöhnlich darunter versteht, und was durch die beiden anderen Bezeichnungen
^onoWnxism und 8aMoWnxlsm einigermaßen erläutert wird); Glücklich; die
Englischen; zwei Jahrhunderte; Ueberproduction n. s. w. Das vierte Buch hat
den Titel; "Horoskop" und enthält die Abschnitte: Aristokratien; Bestechungsaus-
schnß; die eine Institution; Capitaine der Industrie; Permanenz u. s. w. Ge¬
rade so confus wie dieser Titel ist das ganze Buch geschrieben. Man kann ohne


Grenzboten. III. 29

mit Naturgewalt die widerstrebende» Elemente unterwirft, finden. Dieser Satz, daß
das Recht mit der Macht identisch sei, ist eben so oft mißverstanden, als Hegel's
Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen; in beiden Fällen nicht ohne Schuld
der Schriftsteller, welche die Erscheinung nicht genau genng analysirten und die
Idee nicht in eine präcise, allgemein verständliche Form brachten. Aus der Com¬
bination dieser beiden Ideen ergab sich die Neigung, nur genialen Menschen im
Leben Berechtigung zuzugestehen, Menschen, in denen die' Kraft mit der Neigung,
die That mit dem Willen zusammenfällt. Aus diesen genialen Menschen bildet
sich eine Aristokratie, ungefähr wie im Platonischen Staate eine Aristokratie, die
allerdings, wenn sie ausführbar wäre, der Menschheit das traurigste Geschick
bereiten würde, die sich aber Carlyle auch nicht klar ausgemalt hat, deun er setzt
gleich darauf hinzu, sie solle sich über die ganze Menschheit ausdehnen, alle
Menschen sollten heroisch werden. Wenn man diesen Satz in der gewöhnlichen
Sprache ausdrücken wollte, so wäre eigentlich darin nichts weiter enthalten, als
daß sich in jedem Menschen neben dem allgemein Giltigen, das bei ihm in der
Form der Logik, der Sittlichkeit, oder auch der Autorität eintritt, eine gewisse
individuelle Freiheit entwickeln müsse. Zwischen diesen beiden Gegensätzen die
richtige Scheidegrenze festzustellen, wäre allerdings eine sehr fruchtbare Aufgabe,
eigentlich die Hauptaufgabe der ganzen praktischen Philosophie, aber er hat das
auch nicht einmal versucht. ' In seiner orakelmäßigen Form wird immer nur be¬
hauptet, immer nur polemistrt, aber nie mit Ruhe und Sammlung der Gegenstand
nach allen Seiten hin erläutert.

1843 erschien „Vergangenheit und Gegenwart" (l>asi ama present), das
Werk, in welchem alle seine einzelnen Ansichten wie in einem Brennpunkt concentirt
wurden. Schon die Jnhaltscmzeige dieses Buches muß einige Schrecken einflößen.
Das erste Buch/ die Einleitung, enthält folgende Capitel: Midas; die Sphinx;
der Manchesteraufstand; Morrison's Pille; die Aristokratie des Talents; der
Eultus der Heroen. Das zweite Buch hat den Titel: „der alte Mönch", und
ans den Ueberschriften der Capitel sollte man ans eine historische Novelle schließe»;
aber es ist von einer solchen eben so wenig die Rede. Das dritte Buch heißt: „der
moderne Arbeiter"; die Capitel: Phänomene; Evangelium des Mammonismus
(ein von Carlyle erfundenes Wort, um seine Abneigung gegen die moderne
Geldherrschaft zu bezeichnen, welches von seinen Nachfolgern auf eine ungebührliche
Weise ausgebeutet wird); Evangelium des Dilettantismus (etwas Anderes als
man gewöhnlich darunter versteht, und was durch die beiden anderen Bezeichnungen
^onoWnxism und 8aMoWnxlsm einigermaßen erläutert wird); Glücklich; die
Englischen; zwei Jahrhunderte; Ueberproduction n. s. w. Das vierte Buch hat
den Titel; „Horoskop" und enthält die Abschnitte: Aristokratien; Bestechungsaus-
schnß; die eine Institution; Capitaine der Industrie; Permanenz u. s. w. Ge¬
rade so confus wie dieser Titel ist das ganze Buch geschrieben. Man kann ohne


Grenzboten. III. 29
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94678"/>
            <p xml:id="ID_759" prev="#ID_758"> mit Naturgewalt die widerstrebende» Elemente unterwirft, finden. Dieser Satz, daß<lb/>
das Recht mit der Macht identisch sei, ist eben so oft mißverstanden, als Hegel's<lb/>
Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen; in beiden Fällen nicht ohne Schuld<lb/>
der Schriftsteller, welche die Erscheinung nicht genau genng analysirten und die<lb/>
Idee nicht in eine präcise, allgemein verständliche Form brachten. Aus der Com¬<lb/>
bination dieser beiden Ideen ergab sich die Neigung, nur genialen Menschen im<lb/>
Leben Berechtigung zuzugestehen, Menschen, in denen die' Kraft mit der Neigung,<lb/>
die That mit dem Willen zusammenfällt. Aus diesen genialen Menschen bildet<lb/>
sich eine Aristokratie, ungefähr wie im Platonischen Staate eine Aristokratie, die<lb/>
allerdings, wenn sie ausführbar wäre, der Menschheit das traurigste Geschick<lb/>
bereiten würde, die sich aber Carlyle auch nicht klar ausgemalt hat, deun er setzt<lb/>
gleich darauf hinzu, sie solle sich über die ganze Menschheit ausdehnen, alle<lb/>
Menschen sollten heroisch werden. Wenn man diesen Satz in der gewöhnlichen<lb/>
Sprache ausdrücken wollte, so wäre eigentlich darin nichts weiter enthalten, als<lb/>
daß sich in jedem Menschen neben dem allgemein Giltigen, das bei ihm in der<lb/>
Form der Logik, der Sittlichkeit, oder auch der Autorität eintritt, eine gewisse<lb/>
individuelle Freiheit entwickeln müsse. Zwischen diesen beiden Gegensätzen die<lb/>
richtige Scheidegrenze festzustellen, wäre allerdings eine sehr fruchtbare Aufgabe,<lb/>
eigentlich die Hauptaufgabe der ganzen praktischen Philosophie, aber er hat das<lb/>
auch nicht einmal versucht. ' In seiner orakelmäßigen Form wird immer nur be¬<lb/>
hauptet, immer nur polemistrt, aber nie mit Ruhe und Sammlung der Gegenstand<lb/>
nach allen Seiten hin erläutert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_760" next="#ID_761"> 1843 erschien &#x201E;Vergangenheit und Gegenwart" (l&gt;asi ama present), das<lb/>
Werk, in welchem alle seine einzelnen Ansichten wie in einem Brennpunkt concentirt<lb/>
wurden. Schon die Jnhaltscmzeige dieses Buches muß einige Schrecken einflößen.<lb/>
Das erste Buch/ die Einleitung, enthält folgende Capitel: Midas; die Sphinx;<lb/>
der Manchesteraufstand; Morrison's Pille; die Aristokratie des Talents; der<lb/>
Eultus der Heroen. Das zweite Buch hat den Titel: &#x201E;der alte Mönch", und<lb/>
ans den Ueberschriften der Capitel sollte man ans eine historische Novelle schließe»;<lb/>
aber es ist von einer solchen eben so wenig die Rede. Das dritte Buch heißt: &#x201E;der<lb/>
moderne Arbeiter"; die Capitel: Phänomene; Evangelium des Mammonismus<lb/>
(ein von Carlyle erfundenes Wort, um seine Abneigung gegen die moderne<lb/>
Geldherrschaft zu bezeichnen, welches von seinen Nachfolgern auf eine ungebührliche<lb/>
Weise ausgebeutet wird); Evangelium des Dilettantismus (etwas Anderes als<lb/>
man gewöhnlich darunter versteht, und was durch die beiden anderen Bezeichnungen<lb/>
^onoWnxism und 8aMoWnxlsm einigermaßen erläutert wird); Glücklich; die<lb/>
Englischen; zwei Jahrhunderte; Ueberproduction n. s. w. Das vierte Buch hat<lb/>
den Titel; &#x201E;Horoskop" und enthält die Abschnitte: Aristokratien; Bestechungsaus-<lb/>
schnß; die eine Institution; Capitaine der Industrie; Permanenz u. s. w. Ge¬<lb/>
rade so confus wie dieser Titel ist das ganze Buch geschrieben. Man kann ohne</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 29</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] mit Naturgewalt die widerstrebende» Elemente unterwirft, finden. Dieser Satz, daß das Recht mit der Macht identisch sei, ist eben so oft mißverstanden, als Hegel's Satz von der Wirklichkeit des Vernünftigen; in beiden Fällen nicht ohne Schuld der Schriftsteller, welche die Erscheinung nicht genau genng analysirten und die Idee nicht in eine präcise, allgemein verständliche Form brachten. Aus der Com¬ bination dieser beiden Ideen ergab sich die Neigung, nur genialen Menschen im Leben Berechtigung zuzugestehen, Menschen, in denen die' Kraft mit der Neigung, die That mit dem Willen zusammenfällt. Aus diesen genialen Menschen bildet sich eine Aristokratie, ungefähr wie im Platonischen Staate eine Aristokratie, die allerdings, wenn sie ausführbar wäre, der Menschheit das traurigste Geschick bereiten würde, die sich aber Carlyle auch nicht klar ausgemalt hat, deun er setzt gleich darauf hinzu, sie solle sich über die ganze Menschheit ausdehnen, alle Menschen sollten heroisch werden. Wenn man diesen Satz in der gewöhnlichen Sprache ausdrücken wollte, so wäre eigentlich darin nichts weiter enthalten, als daß sich in jedem Menschen neben dem allgemein Giltigen, das bei ihm in der Form der Logik, der Sittlichkeit, oder auch der Autorität eintritt, eine gewisse individuelle Freiheit entwickeln müsse. Zwischen diesen beiden Gegensätzen die richtige Scheidegrenze festzustellen, wäre allerdings eine sehr fruchtbare Aufgabe, eigentlich die Hauptaufgabe der ganzen praktischen Philosophie, aber er hat das auch nicht einmal versucht. ' In seiner orakelmäßigen Form wird immer nur be¬ hauptet, immer nur polemistrt, aber nie mit Ruhe und Sammlung der Gegenstand nach allen Seiten hin erläutert. 1843 erschien „Vergangenheit und Gegenwart" (l>asi ama present), das Werk, in welchem alle seine einzelnen Ansichten wie in einem Brennpunkt concentirt wurden. Schon die Jnhaltscmzeige dieses Buches muß einige Schrecken einflößen. Das erste Buch/ die Einleitung, enthält folgende Capitel: Midas; die Sphinx; der Manchesteraufstand; Morrison's Pille; die Aristokratie des Talents; der Eultus der Heroen. Das zweite Buch hat den Titel: „der alte Mönch", und ans den Ueberschriften der Capitel sollte man ans eine historische Novelle schließe»; aber es ist von einer solchen eben so wenig die Rede. Das dritte Buch heißt: „der moderne Arbeiter"; die Capitel: Phänomene; Evangelium des Mammonismus (ein von Carlyle erfundenes Wort, um seine Abneigung gegen die moderne Geldherrschaft zu bezeichnen, welches von seinen Nachfolgern auf eine ungebührliche Weise ausgebeutet wird); Evangelium des Dilettantismus (etwas Anderes als man gewöhnlich darunter versteht, und was durch die beiden anderen Bezeichnungen ^onoWnxism und 8aMoWnxlsm einigermaßen erläutert wird); Glücklich; die Englischen; zwei Jahrhunderte; Ueberproduction n. s. w. Das vierte Buch hat den Titel; „Horoskop" und enthält die Abschnitte: Aristokratien; Bestechungsaus- schnß; die eine Institution; Capitaine der Industrie; Permanenz u. s. w. Ge¬ rade so confus wie dieser Titel ist das ganze Buch geschrieben. Man kann ohne Grenzboten. III. 29

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/237>, abgerufen am 22.12.2024.