Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.Kolorit, wie es die Rembrandt'sche Schule liebt. Die Sprache ist sehr barock -1839 sammelte er seine kritischen Versuche aus den verschiedenen Zeitschriften, 18i',v hielt er eine Reihe von Vorlesungen über den Cultus der Heroen. Kolorit, wie es die Rembrandt'sche Schule liebt. Die Sprache ist sehr barock -1839 sammelte er seine kritischen Versuche aus den verschiedenen Zeitschriften, 18i',v hielt er eine Reihe von Vorlesungen über den Cultus der Heroen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94677"/> <p xml:id="ID_756" prev="#ID_755"> Kolorit, wie es die Rembrandt'sche Schule liebt. Die Sprache ist sehr barock<lb/> und reich an neuen Erfindungen von zweifelhaftem Werth: ein sicheres Zeichen,<lb/> daß die Gedanken noch nicht zur völligen Reife gediehen sind, denn für wirklich<lb/> reise Gedanken findet man in jeder Sprache, die überhaupt geistigen Inhalt hat,<lb/> den entsprechenden Ausdruck. Trotz dieser Mängel ist das Buch doch unendlich<lb/> werthvoller, als die Versuche der neuesten Nevolutionsschriftsteller, z. B. Lamar¬<lb/> tine'S, die nach denselben Richtungen hingehen, aber viel weniger plastisches Ta¬<lb/> lent und namentlich viel weniger gesunden Menschenverstand entwickeln. Denn<lb/> trotz der Extravaganzen seiner Phantasie und der unverständlichen Sprünge in<lb/> seinen Gedanken, die zu den seltsamsten Folgen sichren, liegt eigentlich doch im¬<lb/> mer jener praktische Verstand zu Grunde, der den Engländer selten verläßt.<lb/> Wenn man auch häufig für seine Combinationen den Faden vollständig verliert,<lb/> so tritt man doch nie aus der Sphäre der Natur und der Vernunft heraus.<lb/> Carlyle ist immer guter Protestant gewesen, und das zeigt sich auch in seinem<lb/> Denken und in seiner Sprache, die zwar barock wird, aber nie die Erde verläßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_757"> -1839 sammelte er seine kritischen Versuche aus den verschiedenen Zeitschriften,<lb/> in die sie verstreut waren. Sie machten fünf Bände aus. Zugleich schrieb er<lb/> sein Werk über den Chartismus; eine Untersuchung über die sociale Lage der ver¬<lb/> schiedenen Staude in England, die eben ihrer fragmentarischen Behandlung wegen<lb/> nach der einen Seite hin als reactionair, nach der andern als socialistisch ver¬<lb/> schrien wurde. Es ist auch nicht zu läugnen, daß man aus «seinen Ansichten mit<lb/> gleichem Recht nach der einen wie nach der andern Seite hin Folgerungen ziehen<lb/> könnte, und das ist eben ein Zeichen, daß er mit seinen Gedanken nicht fertig<lb/> geworden ist. Vorwiegend ist nur Eins: der Haß gegen die Phrase, gegen die<lb/> Formel; ein Haß, der aus einer großen Wahrheitsliebe entspringt, und der in<lb/> sofern vollkommen berechtigt ist, als man die Phrase gewöhnlich als ein Resultat<lb/> ungenügender Untersuchung und gedankenloser Bequemlichkeit betrachten muß, der<lb/> aber auf der andern Seite doch einen Irrthum enthält, denn jede Untersuchung,<lb/> so tief sie sich auch auf das Einzelne einläßt, und so sehr sie sich auch vor dem<lb/> voreiligen Abschluß scheut, um ja nicht eine wesentliche Seite auszulassen und<lb/> dadurch unwahr zu werden, muß doch zuletzt zu einem Abschluß, zu einer Formel,<lb/> zu einer allgemeinen, positiv ausgedrückten und daher in der Form eines Glau¬<lb/> benssatzes auftretenden allgemeinen Wahrheit führen, denn sonst ist sie zwecklos<lb/> und verläuft in ein unfruchtbares Hin- und Herreden. Das ist ein Umstand,<lb/> den namentlich die deutsche Gelehrsamkeit mir zu häufig aus den Augen verliert.</p><lb/> <p xml:id="ID_758" next="#ID_759"> 18i',v hielt er eine Reihe von Vorlesungen über den Cultus der Heroen.<lb/> Eine Idee, die bekanntlich auch von unsrem Strauß sehr lebhaft aufgefaßt wurde.<lb/> Bei seiner Abneigung gegen allgemeine Abstractionen und Formeln konnte sich<lb/> ihm einerseits die Idee des Göttlichen nur im Individuellen offenbaren, andererseits<lb/> konnte er die Idee des Rechts nur in der wirklichen Stärke, in der Kraft, die</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
Kolorit, wie es die Rembrandt'sche Schule liebt. Die Sprache ist sehr barock
und reich an neuen Erfindungen von zweifelhaftem Werth: ein sicheres Zeichen,
daß die Gedanken noch nicht zur völligen Reife gediehen sind, denn für wirklich
reise Gedanken findet man in jeder Sprache, die überhaupt geistigen Inhalt hat,
den entsprechenden Ausdruck. Trotz dieser Mängel ist das Buch doch unendlich
werthvoller, als die Versuche der neuesten Nevolutionsschriftsteller, z. B. Lamar¬
tine'S, die nach denselben Richtungen hingehen, aber viel weniger plastisches Ta¬
lent und namentlich viel weniger gesunden Menschenverstand entwickeln. Denn
trotz der Extravaganzen seiner Phantasie und der unverständlichen Sprünge in
seinen Gedanken, die zu den seltsamsten Folgen sichren, liegt eigentlich doch im¬
mer jener praktische Verstand zu Grunde, der den Engländer selten verläßt.
Wenn man auch häufig für seine Combinationen den Faden vollständig verliert,
so tritt man doch nie aus der Sphäre der Natur und der Vernunft heraus.
Carlyle ist immer guter Protestant gewesen, und das zeigt sich auch in seinem
Denken und in seiner Sprache, die zwar barock wird, aber nie die Erde verläßt.
-1839 sammelte er seine kritischen Versuche aus den verschiedenen Zeitschriften,
in die sie verstreut waren. Sie machten fünf Bände aus. Zugleich schrieb er
sein Werk über den Chartismus; eine Untersuchung über die sociale Lage der ver¬
schiedenen Staude in England, die eben ihrer fragmentarischen Behandlung wegen
nach der einen Seite hin als reactionair, nach der andern als socialistisch ver¬
schrien wurde. Es ist auch nicht zu läugnen, daß man aus «seinen Ansichten mit
gleichem Recht nach der einen wie nach der andern Seite hin Folgerungen ziehen
könnte, und das ist eben ein Zeichen, daß er mit seinen Gedanken nicht fertig
geworden ist. Vorwiegend ist nur Eins: der Haß gegen die Phrase, gegen die
Formel; ein Haß, der aus einer großen Wahrheitsliebe entspringt, und der in
sofern vollkommen berechtigt ist, als man die Phrase gewöhnlich als ein Resultat
ungenügender Untersuchung und gedankenloser Bequemlichkeit betrachten muß, der
aber auf der andern Seite doch einen Irrthum enthält, denn jede Untersuchung,
so tief sie sich auch auf das Einzelne einläßt, und so sehr sie sich auch vor dem
voreiligen Abschluß scheut, um ja nicht eine wesentliche Seite auszulassen und
dadurch unwahr zu werden, muß doch zuletzt zu einem Abschluß, zu einer Formel,
zu einer allgemeinen, positiv ausgedrückten und daher in der Form eines Glau¬
benssatzes auftretenden allgemeinen Wahrheit führen, denn sonst ist sie zwecklos
und verläuft in ein unfruchtbares Hin- und Herreden. Das ist ein Umstand,
den namentlich die deutsche Gelehrsamkeit mir zu häufig aus den Augen verliert.
18i',v hielt er eine Reihe von Vorlesungen über den Cultus der Heroen.
Eine Idee, die bekanntlich auch von unsrem Strauß sehr lebhaft aufgefaßt wurde.
Bei seiner Abneigung gegen allgemeine Abstractionen und Formeln konnte sich
ihm einerseits die Idee des Göttlichen nur im Individuellen offenbaren, andererseits
konnte er die Idee des Rechts nur in der wirklichen Stärke, in der Kraft, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |