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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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übernehmen, mochten gleich die Früchte desselben ihnen zufallen. Die Regierung
ließ überdies die geringsten ihrer Handlungen aufs Schärfste bewachen. Dieser
genauen Aufmerksamkeit entging es auch nicht, daß französische und italienische
Emissaire in der Hauptstadt waren, daß sie in Verbindung mit dem revolu-
tionairen Schweif der Progresststen eifrig am Zustandekommen einer Emente
arbeiteten. Narvaez beschloß der Empörung nicht zuvorzukommen, sondern sie
mit gewaffneter Faust niederzuwerfen. Die Garnison von Madrid war Tag und
Nacht in Bereitschaft.

Am 26. März (es war ein Sonntag), als gegen Abend die Madrider Be¬
völkerung zu Fuß, zu Roß und in zahllosen Equipagen in den Prado geströmt
war, erhielt Narvaez, der ebendaselbst befindlich, plötzlich die Nachricht, daß die
Revolte in der Stadt losgebrochen und in mehreren Straßen starke Barrikaden
errichtet seien. Sofort warf er sich ans ein Reitpferd, das er sich hatte nach¬
führen lassen, und sprengte nach der Stadt zurück. Seine Reitgerte schwingend,
rief er: "hiemit werd' ich sie zu Paaren treiben." Ein blutiger, zehnstündiger
Straßenkampf folgte. Ueberall nahm die Truppe die Barrikaden mit der größten
Entschlossenheit. Narvaez selbst commandirte in der Nähe des heftigsten Kampfes,
und feuerte die Soldaten an. Einmal führte er sogar persönlich eine Schwadron
Kürassiere zur Attake gegen einen Jnsurgentenhaufen. Gegen i Uhr Morgens
hörte der letzte Widerstand auf, nachdem das leatro ctsl Orients, in welchem
sich eine große Anzahl entlassener Esparteristischer Officiere verschanzt hatte, ge¬
nommen war. Der anbrechende Morgen zeigte die Regierung als vollkommene
Meisterin des Schlachtfeldes. , Schon um 8 Uhr durchritt der Ministerpräsident
in großer Uniform, nnr von zwei Ordonnanzen begleitet, die Hauptstraßen Madrids.
'

Der Belagerungszustand ward sofort für die Hauptstadt verkündigt und das
Kriegsrecht gegen, die Aufrührer gehandhabt. Es fanden indeß keine militairi-
schen Hinrichtungen statt. Man begnügte sich mit zahlreichen Deportationen.
Der Grund dieser unter den obwaltenden Verhältnißen ausfallenden Milde ist
darin zu suchen, daß unter den ergriffenen Jnsurgenten sich eine Anzahl Franzosen
befand, und das spanische Cabinet, isolirt und bedrängt, wie es in dem revolutio-
nirten Europa dastand, der republikanischen Regierung Frankreichs keinen Vor¬
wand zu einem Conflict geben wollte. Im Uebrigen riß die ungestüme Leiden¬
schaftlichkeit seines Charakters Narvaez auch diesmal mitten in einer lobenswerthen
Energie zu Handlungen fort, die nicht hart genug getadelt werden können.
In der Aufwallung eines ganz ungerechten Verdachtes, ließ er drei Tage nach dem
Aufstande Olozaga verhaften und schickte ihn unter Escorte nach Cadix zur Ein¬
schiffung nach den Philippinen. Dieser brutale Act gegen einen ebenbürtigen,
politischen Gegner, einen Mann, der trotz unläugbar begangener Mißgriffe, das
hohe Verdienst hat, weder in den trübsten Wechselfällen des Geschicks seine poli¬
tische Ueberzeugung gebeugt, noch trotz der empörendsten Behandlung Seitens


übernehmen, mochten gleich die Früchte desselben ihnen zufallen. Die Regierung
ließ überdies die geringsten ihrer Handlungen aufs Schärfste bewachen. Dieser
genauen Aufmerksamkeit entging es auch nicht, daß französische und italienische
Emissaire in der Hauptstadt waren, daß sie in Verbindung mit dem revolu-
tionairen Schweif der Progresststen eifrig am Zustandekommen einer Emente
arbeiteten. Narvaez beschloß der Empörung nicht zuvorzukommen, sondern sie
mit gewaffneter Faust niederzuwerfen. Die Garnison von Madrid war Tag und
Nacht in Bereitschaft.

Am 26. März (es war ein Sonntag), als gegen Abend die Madrider Be¬
völkerung zu Fuß, zu Roß und in zahllosen Equipagen in den Prado geströmt
war, erhielt Narvaez, der ebendaselbst befindlich, plötzlich die Nachricht, daß die
Revolte in der Stadt losgebrochen und in mehreren Straßen starke Barrikaden
errichtet seien. Sofort warf er sich ans ein Reitpferd, das er sich hatte nach¬
führen lassen, und sprengte nach der Stadt zurück. Seine Reitgerte schwingend,
rief er: „hiemit werd' ich sie zu Paaren treiben." Ein blutiger, zehnstündiger
Straßenkampf folgte. Ueberall nahm die Truppe die Barrikaden mit der größten
Entschlossenheit. Narvaez selbst commandirte in der Nähe des heftigsten Kampfes,
und feuerte die Soldaten an. Einmal führte er sogar persönlich eine Schwadron
Kürassiere zur Attake gegen einen Jnsurgentenhaufen. Gegen i Uhr Morgens
hörte der letzte Widerstand auf, nachdem das leatro ctsl Orients, in welchem
sich eine große Anzahl entlassener Esparteristischer Officiere verschanzt hatte, ge¬
nommen war. Der anbrechende Morgen zeigte die Regierung als vollkommene
Meisterin des Schlachtfeldes. , Schon um 8 Uhr durchritt der Ministerpräsident
in großer Uniform, nnr von zwei Ordonnanzen begleitet, die Hauptstraßen Madrids.
'

Der Belagerungszustand ward sofort für die Hauptstadt verkündigt und das
Kriegsrecht gegen, die Aufrührer gehandhabt. Es fanden indeß keine militairi-
schen Hinrichtungen statt. Man begnügte sich mit zahlreichen Deportationen.
Der Grund dieser unter den obwaltenden Verhältnißen ausfallenden Milde ist
darin zu suchen, daß unter den ergriffenen Jnsurgenten sich eine Anzahl Franzosen
befand, und das spanische Cabinet, isolirt und bedrängt, wie es in dem revolutio-
nirten Europa dastand, der republikanischen Regierung Frankreichs keinen Vor¬
wand zu einem Conflict geben wollte. Im Uebrigen riß die ungestüme Leiden¬
schaftlichkeit seines Charakters Narvaez auch diesmal mitten in einer lobenswerthen
Energie zu Handlungen fort, die nicht hart genug getadelt werden können.
In der Aufwallung eines ganz ungerechten Verdachtes, ließ er drei Tage nach dem
Aufstande Olozaga verhaften und schickte ihn unter Escorte nach Cadix zur Ein¬
schiffung nach den Philippinen. Dieser brutale Act gegen einen ebenbürtigen,
politischen Gegner, einen Mann, der trotz unläugbar begangener Mißgriffe, das
hohe Verdienst hat, weder in den trübsten Wechselfällen des Geschicks seine poli¬
tische Ueberzeugung gebeugt, noch trotz der empörendsten Behandlung Seitens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/224>, abgerufen am 22.12.2024.