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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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diesem Schwanken erhob sich Narvaez auf die ganze Höhe seiner thatkräftigen
und kühnen- Natur. Er erkannte, daß Louis Philipp in Schwäche und Rath-
losigkeit zu Grunde gegangen sei, daß in dem gegenwärtigen Moment nichts als
die unbeugsamste Energie dem Ausbruch des Unheils wehren könne, daß Zagen
nud Nachgiebigkeit in das sichere Verderben führe. Seine stolze Zuversicht stählte
den sinkenden Muth seiner Partei, hielt den Hof von erniedrigenden Zugeständ¬
nissen ab und riß seine schwächeren Amtsgenossen unwiderstehlich mit sich fort.
Die Politik des unbedingten Widerstandes ward von dem Cabinet adoptirt, und
der Ministerpräsident warf (Anfangs März) in der Sitzung des Kongresses der
Revolution mit den Worten den Handschuh hin: "Man habe bisher von der
Kunst geschrieben, Revolutionen zu machen, die Regierung werde so handeln, daß man
künstig danach von der Kunst schreiben solle, Revolutionen zu unterdrücken."
Der nächste Beschluß war die schleunige Vertagung der Cortes. In einem
Lande wie Belgien suchte die Regierung die moralische Stütze der Majorität in
dem Beisammenbleiben der Kammern. In Spanien fürchtete sie mehr die auf¬
regende Debatte einer nicht numerisch, aber oratorisch starken und plötzlich von
den kühnsten Hoffnungen getragenen Opposition. Denn in Belgien war die Ma¬
jorität liberal und die Kammer zählte keine Partei, welche bei einer Revolution
gewinnen konnte. Den spanischen Progressisten, obwohl sie zum großen Theil stutzig
über die Ausschreitungen des französischen Socialismus waren, lag trotzdem die
Versuchung zu nahe, durch einen Appell an die revolutionairen Leidenschaften,
ihre lange Agonie zu beendigen und für erlittene, tiefe Unbill Vergeltung zu
üben. Doch, indem das Cabinet die Dictatur vorbereitete, wollte es durch den
Beschluß der Cortes mit den außerordentlichen Gewalten, die es brauchte, be¬
kleidet sein. Die fügsame Mehrheit bot bereitwillig die Hand dazu. Nachdem
die Forterhebung der Steuern nach dem alten Budget im Sturmschritt votirt wor¬
den, gab eine Majorität von 162 Stimmen gegen 34 Stimmen der Progressisten
und liberalen Moderados dem Ministerium die Vollmacht, falls die Umstände es
erheischten, nach Gutdünken alle constitutionellen Garantien öffentlicher Freiheit
und-persönlicher Sicherheit zu suspendiren und Belagerungszustand und Stand¬
recht, falls nothwendig, selbst über ganz Spanien zu verhängen. Gleich nach
diesem Beschluß, dem der, Senat sofort beitrat, wurden die Cortes vertagt.
.(20. März.)

Die Anzeichen eines nahen Sturms ließen sich in Madrid nicht mehr ver¬
kennen. Zwar hielt sich die parlamentarische Fraction der Progressisten fern von
jedem aufrührerischen Complot. Die gefährlichen Uebertreibungen der französischen
Bewegung ließen Charaktere, wie Olozaga, Cortina und ihre Freunde, vor dem
Gedanken einer Straßenrevolution zurückschrecken. Das Beispiel des Nachbar¬
landes zeigte, wie leicht eine solche, über Leute ihrer politischen Farbe hinweg¬
gehen konnte. Wenigstens wollten sie die Verantwortung eiues Aufstandes nicht


27* ,

diesem Schwanken erhob sich Narvaez auf die ganze Höhe seiner thatkräftigen
und kühnen- Natur. Er erkannte, daß Louis Philipp in Schwäche und Rath-
losigkeit zu Grunde gegangen sei, daß in dem gegenwärtigen Moment nichts als
die unbeugsamste Energie dem Ausbruch des Unheils wehren könne, daß Zagen
nud Nachgiebigkeit in das sichere Verderben führe. Seine stolze Zuversicht stählte
den sinkenden Muth seiner Partei, hielt den Hof von erniedrigenden Zugeständ¬
nissen ab und riß seine schwächeren Amtsgenossen unwiderstehlich mit sich fort.
Die Politik des unbedingten Widerstandes ward von dem Cabinet adoptirt, und
der Ministerpräsident warf (Anfangs März) in der Sitzung des Kongresses der
Revolution mit den Worten den Handschuh hin: „Man habe bisher von der
Kunst geschrieben, Revolutionen zu machen, die Regierung werde so handeln, daß man
künstig danach von der Kunst schreiben solle, Revolutionen zu unterdrücken."
Der nächste Beschluß war die schleunige Vertagung der Cortes. In einem
Lande wie Belgien suchte die Regierung die moralische Stütze der Majorität in
dem Beisammenbleiben der Kammern. In Spanien fürchtete sie mehr die auf¬
regende Debatte einer nicht numerisch, aber oratorisch starken und plötzlich von
den kühnsten Hoffnungen getragenen Opposition. Denn in Belgien war die Ma¬
jorität liberal und die Kammer zählte keine Partei, welche bei einer Revolution
gewinnen konnte. Den spanischen Progressisten, obwohl sie zum großen Theil stutzig
über die Ausschreitungen des französischen Socialismus waren, lag trotzdem die
Versuchung zu nahe, durch einen Appell an die revolutionairen Leidenschaften,
ihre lange Agonie zu beendigen und für erlittene, tiefe Unbill Vergeltung zu
üben. Doch, indem das Cabinet die Dictatur vorbereitete, wollte es durch den
Beschluß der Cortes mit den außerordentlichen Gewalten, die es brauchte, be¬
kleidet sein. Die fügsame Mehrheit bot bereitwillig die Hand dazu. Nachdem
die Forterhebung der Steuern nach dem alten Budget im Sturmschritt votirt wor¬
den, gab eine Majorität von 162 Stimmen gegen 34 Stimmen der Progressisten
und liberalen Moderados dem Ministerium die Vollmacht, falls die Umstände es
erheischten, nach Gutdünken alle constitutionellen Garantien öffentlicher Freiheit
und-persönlicher Sicherheit zu suspendiren und Belagerungszustand und Stand¬
recht, falls nothwendig, selbst über ganz Spanien zu verhängen. Gleich nach
diesem Beschluß, dem der, Senat sofort beitrat, wurden die Cortes vertagt.
.(20. März.)

Die Anzeichen eines nahen Sturms ließen sich in Madrid nicht mehr ver¬
kennen. Zwar hielt sich die parlamentarische Fraction der Progressisten fern von
jedem aufrührerischen Complot. Die gefährlichen Uebertreibungen der französischen
Bewegung ließen Charaktere, wie Olozaga, Cortina und ihre Freunde, vor dem
Gedanken einer Straßenrevolution zurückschrecken. Das Beispiel des Nachbar¬
landes zeigte, wie leicht eine solche, über Leute ihrer politischen Farbe hinweg¬
gehen konnte. Wenigstens wollten sie die Verantwortung eiues Aufstandes nicht


27* ,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/223>, abgerufen am 22.12.2024.