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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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liebsten Weise durch Cabalen, die wie AlleZ, was die geheinie Geschichte des spa¬
nischen Palastes in den letzten Jahren betrifft, mit Dunkel bedeckt sind und der
verschiedenartigsten Auslegung unterliegen. So viel ist gewiß, daß derselbe all¬
mächtige Einfluß, der Narvaez wieder aus Ruder gebracht hatte, sich plötzlich
gegen ihn kehrte, ihn mit seinen Collegen entzweite und, als der General, sich
verrathen sehend, auf Gewaltschritte sann, ohne Weiteres die beleidigten Chefs
der Moderadopartei mit der Macht bekleidete,' während Narvaez, von allen Stützen
verlassen, in eine Entfernung aus Spanien willigen mußte, die wenig von einer
Verbannung sich unterschied (April 18i6). Dieser jähe und. wenig ehrenvolle
Sturz war die gerechte Strafe für ein Benehmen, das in leidenschaftlicher Liebe
zur Macht alle politischen Grundsätze und Rücksichten des öffentlichen Wohls
hintansetzend, der tiefste Fleck auf der bewegten und wechselvollen Laufbahn
des Narvaez bleiben wird. Nicht aufgeklärt ist ferner die Rolle, welche die
französische Diplomatie in diesen Ereignissen gespielt hat, die damals schon alle
Hebel in Bewegung setzte zu jenem unseligen Heiralhsproject, daß ein scheinbar
glänzender Erfolg so verderblich auf seiue Urheber zurückfiel. So viel ist gewiß,
daß Narvaez seit dieser Zeit sich niemals wieder aufrichtig mit der Politik Louis
Philipp's versöhnt hat.

Es muß erwähnt werden, daß die progresfistische Partei in den parlamen¬
tarischen und höfischen Intriguen seit Olozaga's Sturz, dem eine Vertagung und
später Auflösung der damaligen Cortes folgte, die Rolle des Zuschauers
und Kritikers, etwa wie gegenwärtig die Demokratie in Preußen zu dessen jetziger
Kammerpolitik, spielte. Gleich dieser hatten sich die Progressisteu der Mitwirkung
bei den Wahlen enthalten, ein Entschluß, dessen Folgen sie noch heute in einer
langjährigen, politischem Ohnmacht zu tragen habend In Ermangelung einer pro-
grcssistischen Opposition (nur Ein progresststischer Abgeordneter saß im Kongreß),
bildete eine solche aus dissentirenden ModeradvS, die im Gegensatz zu der oft mit
der Verfassung gewaltsam umgebenden Politik des Narvaez eine gewissenhaft con-
stitutionelle und parlamentarische Regierung verlangten. Sie erhielten in Folge
dessen den Namen " Puritanos." Zu ihnen, die eine Anzahl überzeugungstreuer
und begabter Männer zählten, gesellte sich hie nud da unzufriedener Ehrgeiz un¬
glücklicher Ministercandidaten und gekränkter Stellenjägcr niederer Ordnung,
der wieder absprang, sobald er seine Zwecke erreicht hatte. Das Cabinet Mira-
flores neigte sich bereits etwas ihnen zu und bald gelang es ihnen, wenn auch
nur auf kurze Zeit einen noch directerer Einfluß auf die öffentlichen Geschäfte zu
bekommen.

Nach Narvaez Entfernung traten unter Jsturiz Präsidentschaft zwei moderirte
Staatsmänner wieder ins Amt, die schon in dem ersten Ministerium des Ersteren
eine hervorstechende Rolle gespielt, und deren völlige Entzweiung mit dein da¬
maligen Ministerpräsidenten das Zerfallen der Verwaltung desselben veranlaßt


Grenzboten. III. Z3

liebsten Weise durch Cabalen, die wie AlleZ, was die geheinie Geschichte des spa¬
nischen Palastes in den letzten Jahren betrifft, mit Dunkel bedeckt sind und der
verschiedenartigsten Auslegung unterliegen. So viel ist gewiß, daß derselbe all¬
mächtige Einfluß, der Narvaez wieder aus Ruder gebracht hatte, sich plötzlich
gegen ihn kehrte, ihn mit seinen Collegen entzweite und, als der General, sich
verrathen sehend, auf Gewaltschritte sann, ohne Weiteres die beleidigten Chefs
der Moderadopartei mit der Macht bekleidete,' während Narvaez, von allen Stützen
verlassen, in eine Entfernung aus Spanien willigen mußte, die wenig von einer
Verbannung sich unterschied (April 18i6). Dieser jähe und. wenig ehrenvolle
Sturz war die gerechte Strafe für ein Benehmen, das in leidenschaftlicher Liebe
zur Macht alle politischen Grundsätze und Rücksichten des öffentlichen Wohls
hintansetzend, der tiefste Fleck auf der bewegten und wechselvollen Laufbahn
des Narvaez bleiben wird. Nicht aufgeklärt ist ferner die Rolle, welche die
französische Diplomatie in diesen Ereignissen gespielt hat, die damals schon alle
Hebel in Bewegung setzte zu jenem unseligen Heiralhsproject, daß ein scheinbar
glänzender Erfolg so verderblich auf seiue Urheber zurückfiel. So viel ist gewiß,
daß Narvaez seit dieser Zeit sich niemals wieder aufrichtig mit der Politik Louis
Philipp's versöhnt hat.

Es muß erwähnt werden, daß die progresfistische Partei in den parlamen¬
tarischen und höfischen Intriguen seit Olozaga's Sturz, dem eine Vertagung und
später Auflösung der damaligen Cortes folgte, die Rolle des Zuschauers
und Kritikers, etwa wie gegenwärtig die Demokratie in Preußen zu dessen jetziger
Kammerpolitik, spielte. Gleich dieser hatten sich die Progressisteu der Mitwirkung
bei den Wahlen enthalten, ein Entschluß, dessen Folgen sie noch heute in einer
langjährigen, politischem Ohnmacht zu tragen habend In Ermangelung einer pro-
grcssistischen Opposition (nur Ein progresststischer Abgeordneter saß im Kongreß),
bildete eine solche aus dissentirenden ModeradvS, die im Gegensatz zu der oft mit
der Verfassung gewaltsam umgebenden Politik des Narvaez eine gewissenhaft con-
stitutionelle und parlamentarische Regierung verlangten. Sie erhielten in Folge
dessen den Namen „ Puritanos." Zu ihnen, die eine Anzahl überzeugungstreuer
und begabter Männer zählten, gesellte sich hie nud da unzufriedener Ehrgeiz un¬
glücklicher Ministercandidaten und gekränkter Stellenjägcr niederer Ordnung,
der wieder absprang, sobald er seine Zwecke erreicht hatte. Das Cabinet Mira-
flores neigte sich bereits etwas ihnen zu und bald gelang es ihnen, wenn auch
nur auf kurze Zeit einen noch directerer Einfluß auf die öffentlichen Geschäfte zu
bekommen.

Nach Narvaez Entfernung traten unter Jsturiz Präsidentschaft zwei moderirte
Staatsmänner wieder ins Amt, die schon in dem ersten Ministerium des Ersteren
eine hervorstechende Rolle gespielt, und deren völlige Entzweiung mit dein da¬
maligen Ministerpräsidenten das Zerfallen der Verwaltung desselben veranlaßt


Grenzboten. III. Z3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/189>, abgerufen am 22.12.2024.