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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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klärten Königin zur Seite stehen sollte, und durch eine ziemlich durchgreifende
Revision der Verfassung auf parlamentarischem Wege. Aus den leinleitenden
'Worten derselben ward der verhaßte Passus von der Volkssouverainität gestrichen,
der im Wesentlichen elective Senat in einen durch königliche Ernennung auf Le¬
benszeit zusammengesetzten verwandelt, das Wahlgesetz auf einen hohen Census
zurückgeführt. Gesetze, welche die Freiheit der Presse und die Selbstständigkeit
der Muuicipalverwaltung beschränkten, folgten. Das ganze Staatswesen Spaniens
ward nach dem Bilde der französischen Verfassung, und, so viel es die zähen Ei¬
genthümlichkeiten des Nationalcharakters erlaubten, anch nach dem der französischen
Administration umgeformt. Dieser keineswegs erfreulichen Richtung standen jedoch
wichtige Fortschritte in der materiellen Entwickelung zur Seite. Eine kräftige
und wenigstens gegen ihre Vorgänger geschickt zu nennende Finanzverwaltung
hob die Einnahmen des Staates und gestattete die durchgreifende Reorganisation
des Heeres, das, besser equipirt und bezahlt, endlich sich wieder an Mannszucht
gewöhnte. Der Wohlstand des Landes, der zwar durch die langjährigen, politi¬
schen Stürme, durch innere und äußere Kriege schwer geschädigt war, dem
andererseits aber durch die neue Gesetzgebung manche bisher verschlossenen Bah¬
nen der Entwickelung eröffnet waren, fing sich, wenn auch langsam, an zu heben.

Verschiedene progressistische Anfstandsvcrsnche wurden mit Kraft und blutiger
Ahndung niedergeschlagen. Fast zwei Jahre dauerte diese strenge und oft will¬
kürliche, aber energische und frnchtreiche Verwaltung unter Leitung des Narvaez.
Das Cabinet zerfiel im Anfang des Jahres 18i6, an inneren Zwistigkeiten, die
theils ans der Auflehnung mehrerer College" des Premierministers gegen dessen
oft herrschsüchtigcs und eigenmächtiges Verfahren, theils ans Intriguen des
Palastes entsprangen, die bis jetzt nicht gehörig aufgedeckt sind. Narvaez Ver¬
such, aus anderen Mitgliedern ein neues Cabinet zusammenzusetzen,, mißlang, und
eine gemäßigtere Nuance der Moderadvs unter Miraflores Leitung ergriff das
Staatsruder. Dieser Wechsel, von dem man sich eine neue Aera des parlamen¬
tarischen Lebens in Spanien versprach, war jedoch nnr der Beginn rasch auf¬
einanderfolgender Krisen und Schwankungen. Schon nach einem Monat wurde
Miraflores durch eine neue Intrigue der verwegensten Art gestürzt. Narvaez,
diesmal im Conflict mit dem ganzen Gros der Mvderadopartei und zerfallen mit
der Mehrheit des Kongresses, gelangte abermals und zwar in Gesellschaft von
College" der zweideutigsten Art, theils serviler und corrnmpirter Charaktere, theils
erklärter Absolutisten, zur Macht. Maßregeln der' heftigsten Reaction wurden
ergriffen, die alle Welt in um so größere Bestürzung versetzten, je weniger man
sich die Absichten des Hoff, d. h. der allmächtigen Königin Mutter dabei zu er¬
klären wußte. Es schien als wolle man die Nation muthwillig an den Abgrund
neuer Umwälzungen drängen. Doch in wenigen Wochen zerfiel schon dieses
Cabinet, das mit dem maßlosesten Uebermuth aufgetreten war, in der allerkläg-


klärten Königin zur Seite stehen sollte, und durch eine ziemlich durchgreifende
Revision der Verfassung auf parlamentarischem Wege. Aus den leinleitenden
'Worten derselben ward der verhaßte Passus von der Volkssouverainität gestrichen,
der im Wesentlichen elective Senat in einen durch königliche Ernennung auf Le¬
benszeit zusammengesetzten verwandelt, das Wahlgesetz auf einen hohen Census
zurückgeführt. Gesetze, welche die Freiheit der Presse und die Selbstständigkeit
der Muuicipalverwaltung beschränkten, folgten. Das ganze Staatswesen Spaniens
ward nach dem Bilde der französischen Verfassung, und, so viel es die zähen Ei¬
genthümlichkeiten des Nationalcharakters erlaubten, anch nach dem der französischen
Administration umgeformt. Dieser keineswegs erfreulichen Richtung standen jedoch
wichtige Fortschritte in der materiellen Entwickelung zur Seite. Eine kräftige
und wenigstens gegen ihre Vorgänger geschickt zu nennende Finanzverwaltung
hob die Einnahmen des Staates und gestattete die durchgreifende Reorganisation
des Heeres, das, besser equipirt und bezahlt, endlich sich wieder an Mannszucht
gewöhnte. Der Wohlstand des Landes, der zwar durch die langjährigen, politi¬
schen Stürme, durch innere und äußere Kriege schwer geschädigt war, dem
andererseits aber durch die neue Gesetzgebung manche bisher verschlossenen Bah¬
nen der Entwickelung eröffnet waren, fing sich, wenn auch langsam, an zu heben.

Verschiedene progressistische Anfstandsvcrsnche wurden mit Kraft und blutiger
Ahndung niedergeschlagen. Fast zwei Jahre dauerte diese strenge und oft will¬
kürliche, aber energische und frnchtreiche Verwaltung unter Leitung des Narvaez.
Das Cabinet zerfiel im Anfang des Jahres 18i6, an inneren Zwistigkeiten, die
theils ans der Auflehnung mehrerer College» des Premierministers gegen dessen
oft herrschsüchtigcs und eigenmächtiges Verfahren, theils ans Intriguen des
Palastes entsprangen, die bis jetzt nicht gehörig aufgedeckt sind. Narvaez Ver¬
such, aus anderen Mitgliedern ein neues Cabinet zusammenzusetzen,, mißlang, und
eine gemäßigtere Nuance der Moderadvs unter Miraflores Leitung ergriff das
Staatsruder. Dieser Wechsel, von dem man sich eine neue Aera des parlamen¬
tarischen Lebens in Spanien versprach, war jedoch nnr der Beginn rasch auf¬
einanderfolgender Krisen und Schwankungen. Schon nach einem Monat wurde
Miraflores durch eine neue Intrigue der verwegensten Art gestürzt. Narvaez,
diesmal im Conflict mit dem ganzen Gros der Mvderadopartei und zerfallen mit
der Mehrheit des Kongresses, gelangte abermals und zwar in Gesellschaft von
College» der zweideutigsten Art, theils serviler und corrnmpirter Charaktere, theils
erklärter Absolutisten, zur Macht. Maßregeln der' heftigsten Reaction wurden
ergriffen, die alle Welt in um so größere Bestürzung versetzten, je weniger man
sich die Absichten des Hoff, d. h. der allmächtigen Königin Mutter dabei zu er¬
klären wußte. Es schien als wolle man die Nation muthwillig an den Abgrund
neuer Umwälzungen drängen. Doch in wenigen Wochen zerfiel schon dieses
Cabinet, das mit dem maßlosesten Uebermuth aufgetreten war, in der allerkläg-


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[0188] klärten Königin zur Seite stehen sollte, und durch eine ziemlich durchgreifende Revision der Verfassung auf parlamentarischem Wege. Aus den leinleitenden 'Worten derselben ward der verhaßte Passus von der Volkssouverainität gestrichen, der im Wesentlichen elective Senat in einen durch königliche Ernennung auf Le¬ benszeit zusammengesetzten verwandelt, das Wahlgesetz auf einen hohen Census zurückgeführt. Gesetze, welche die Freiheit der Presse und die Selbstständigkeit der Muuicipalverwaltung beschränkten, folgten. Das ganze Staatswesen Spaniens ward nach dem Bilde der französischen Verfassung, und, so viel es die zähen Ei¬ genthümlichkeiten des Nationalcharakters erlaubten, anch nach dem der französischen Administration umgeformt. Dieser keineswegs erfreulichen Richtung standen jedoch wichtige Fortschritte in der materiellen Entwickelung zur Seite. Eine kräftige und wenigstens gegen ihre Vorgänger geschickt zu nennende Finanzverwaltung hob die Einnahmen des Staates und gestattete die durchgreifende Reorganisation des Heeres, das, besser equipirt und bezahlt, endlich sich wieder an Mannszucht gewöhnte. Der Wohlstand des Landes, der zwar durch die langjährigen, politi¬ schen Stürme, durch innere und äußere Kriege schwer geschädigt war, dem andererseits aber durch die neue Gesetzgebung manche bisher verschlossenen Bah¬ nen der Entwickelung eröffnet waren, fing sich, wenn auch langsam, an zu heben. Verschiedene progressistische Anfstandsvcrsnche wurden mit Kraft und blutiger Ahndung niedergeschlagen. Fast zwei Jahre dauerte diese strenge und oft will¬ kürliche, aber energische und frnchtreiche Verwaltung unter Leitung des Narvaez. Das Cabinet zerfiel im Anfang des Jahres 18i6, an inneren Zwistigkeiten, die theils ans der Auflehnung mehrerer College» des Premierministers gegen dessen oft herrschsüchtigcs und eigenmächtiges Verfahren, theils ans Intriguen des Palastes entsprangen, die bis jetzt nicht gehörig aufgedeckt sind. Narvaez Ver¬ such, aus anderen Mitgliedern ein neues Cabinet zusammenzusetzen,, mißlang, und eine gemäßigtere Nuance der Moderadvs unter Miraflores Leitung ergriff das Staatsruder. Dieser Wechsel, von dem man sich eine neue Aera des parlamen¬ tarischen Lebens in Spanien versprach, war jedoch nnr der Beginn rasch auf¬ einanderfolgender Krisen und Schwankungen. Schon nach einem Monat wurde Miraflores durch eine neue Intrigue der verwegensten Art gestürzt. Narvaez, diesmal im Conflict mit dem ganzen Gros der Mvderadopartei und zerfallen mit der Mehrheit des Kongresses, gelangte abermals und zwar in Gesellschaft von College» der zweideutigsten Art, theils serviler und corrnmpirter Charaktere, theils erklärter Absolutisten, zur Macht. Maßregeln der' heftigsten Reaction wurden ergriffen, die alle Welt in um so größere Bestürzung versetzten, je weniger man sich die Absichten des Hoff, d. h. der allmächtigen Königin Mutter dabei zu er¬ klären wußte. Es schien als wolle man die Nation muthwillig an den Abgrund neuer Umwälzungen drängen. Doch in wenigen Wochen zerfiel schon dieses Cabinet, das mit dem maßlosesten Uebermuth aufgetreten war, in der allerkläg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/188>, abgerufen am 22.12.2024.