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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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in naturtrener Idealität. Es wird eine wahrhaft stamienöwerthe Fülle von
Ungezogenheit und spitzbübischer Tölpelei entwickelt, und man findet doch, daß
diese Rangen in ihrer naturwüchsigen Tollheit viel liebenswürdiger und idealer
sind, als die rosenblutfarbigen Chernbime unsrer Modekupser und Düsseldorfer
Genrebilder. Es ist in dem französischen Volk von der frühesten Kindheit auf
eine qnecksilberartige Lebhaftigkeit, die im spätern Alter die Tanzmeister, Komö¬
dianten und Helden hervorbringt, und die in ihrer Erscheinung immer erfreulich
ist, wenn, wir auch das Wesen nicht ohne Besorgnis; betrachten können.

Eben so brillant als die Darstellung der kleinen Verführer und Verführerinnen
ist die geistreiche Mannichfaltigkeit in dem Ausdruck der Betrogenen. Für uns
ist Molisres George Daudin immer ein widerwärtiges Stück geblieben, so oft
wir es gelesen haben, und wir haben nicht begreifen können, wie man sich an
einem so trüben Sujet belustigen kann. Aus der Anschauung dieser Bilder aber
begreifen wir es vollständig. Wenn die betrogenen Ehemänner solche Gesichter
schneiden, wie sie Gavarni nachbildet, so lassen wir uns eine Stunde lang auch einen
George Daudin gefallen.

Der Gegensatz zwischen der deutschen und französischen Malerei tritt uns
recht lebhaft entgegen, wenn wir Gavarni z. B. mit Ludwig Richter ver¬
gleichen, den wir vor einigen Wochen besprochen haben. Es ist derselbe Gegen¬
satz, der zwischen Böranger und Uhland besteht. Das innige Behagen am Guten,
jenes heimathliche Gefühl innerhalb der engen Grenzen der bekannten sittlichen
Welt spricht sich bei Richter nicht blos in. seinen menschlichen Figuren, fodern auch
in seinen Staffage" ans. Das ist allerdings eine Seite des Humors, welche
den Franzosen unbekannt ist. Kein Franzose würde im Stande sein, das Still¬
leben der Natur, die alterthümlichen Bauernhäuser, die Brunnen und Erkerfenster so
gemüthlich zu durchgeistigen, als Richter versteht; keiner würde im Stande sein,
auch dem Schwachen, Hilflosen und Unvvllkommnen so viel herzliche innige Theil¬
nahme zuzuwenden. Diese Frivolität ist ein Mangel des französischen Wesens.
Dagegen verdient der Franzose einen großen Vorzug in Beziehung aus seine
Fähigkeit, das Leben in seiner Bewegung zu schildern. Das Ideal des deutschen
Malers ist sast ausschließlich ein ruhendes, beschauliches, eine fertige Situation, die
uns gemüthlich anheimelt/bei den Franzosen dagegen ist jede Linie, jede Falte
des Kleides Leben und Bewegung. Wir dürfen nicht einseitig der einen oder
andern Richtung den Vorzug geben, denn wenn wir die Lebhaftigkeit anerkennen,
anch wo sie zur Ausgelassenheit wird, so hat die Andacht und Sammlung gleichfalls
ihre Rechte. Das Eine muß das Andere ergänzen.'

Aber in einem Punkt müssen wir uns doch'patriotisch aussprechen, in Be¬
ziehung auf die Stoffe. Freilich liegt anch in den deutschen Genrebildern etwas,
was uns über manche Schwäche unserer Entwickelung aufklärt. Diese treuherzig
komödienhaften Studenten und Künstler, die wir bei Richter und anderen Malern


in naturtrener Idealität. Es wird eine wahrhaft stamienöwerthe Fülle von
Ungezogenheit und spitzbübischer Tölpelei entwickelt, und man findet doch, daß
diese Rangen in ihrer naturwüchsigen Tollheit viel liebenswürdiger und idealer
sind, als die rosenblutfarbigen Chernbime unsrer Modekupser und Düsseldorfer
Genrebilder. Es ist in dem französischen Volk von der frühesten Kindheit auf
eine qnecksilberartige Lebhaftigkeit, die im spätern Alter die Tanzmeister, Komö¬
dianten und Helden hervorbringt, und die in ihrer Erscheinung immer erfreulich
ist, wenn, wir auch das Wesen nicht ohne Besorgnis; betrachten können.

Eben so brillant als die Darstellung der kleinen Verführer und Verführerinnen
ist die geistreiche Mannichfaltigkeit in dem Ausdruck der Betrogenen. Für uns
ist Molisres George Daudin immer ein widerwärtiges Stück geblieben, so oft
wir es gelesen haben, und wir haben nicht begreifen können, wie man sich an
einem so trüben Sujet belustigen kann. Aus der Anschauung dieser Bilder aber
begreifen wir es vollständig. Wenn die betrogenen Ehemänner solche Gesichter
schneiden, wie sie Gavarni nachbildet, so lassen wir uns eine Stunde lang auch einen
George Daudin gefallen.

Der Gegensatz zwischen der deutschen und französischen Malerei tritt uns
recht lebhaft entgegen, wenn wir Gavarni z. B. mit Ludwig Richter ver¬
gleichen, den wir vor einigen Wochen besprochen haben. Es ist derselbe Gegen¬
satz, der zwischen Böranger und Uhland besteht. Das innige Behagen am Guten,
jenes heimathliche Gefühl innerhalb der engen Grenzen der bekannten sittlichen
Welt spricht sich bei Richter nicht blos in. seinen menschlichen Figuren, fodern auch
in seinen Staffage» ans. Das ist allerdings eine Seite des Humors, welche
den Franzosen unbekannt ist. Kein Franzose würde im Stande sein, das Still¬
leben der Natur, die alterthümlichen Bauernhäuser, die Brunnen und Erkerfenster so
gemüthlich zu durchgeistigen, als Richter versteht; keiner würde im Stande sein,
auch dem Schwachen, Hilflosen und Unvvllkommnen so viel herzliche innige Theil¬
nahme zuzuwenden. Diese Frivolität ist ein Mangel des französischen Wesens.
Dagegen verdient der Franzose einen großen Vorzug in Beziehung aus seine
Fähigkeit, das Leben in seiner Bewegung zu schildern. Das Ideal des deutschen
Malers ist sast ausschließlich ein ruhendes, beschauliches, eine fertige Situation, die
uns gemüthlich anheimelt/bei den Franzosen dagegen ist jede Linie, jede Falte
des Kleides Leben und Bewegung. Wir dürfen nicht einseitig der einen oder
andern Richtung den Vorzug geben, denn wenn wir die Lebhaftigkeit anerkennen,
anch wo sie zur Ausgelassenheit wird, so hat die Andacht und Sammlung gleichfalls
ihre Rechte. Das Eine muß das Andere ergänzen.'

Aber in einem Punkt müssen wir uns doch'patriotisch aussprechen, in Be¬
ziehung auf die Stoffe. Freilich liegt anch in den deutschen Genrebildern etwas,
was uns über manche Schwäche unserer Entwickelung aufklärt. Diese treuherzig
komödienhaften Studenten und Künstler, die wir bei Richter und anderen Malern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/182>, abgerufen am 22.12.2024.