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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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antreffen, sind uns mir zu oft in den Zeiten von -1848 und später vorgekommen,
wo man selbst den Fanatismus mit einer gewissen Beschaulichkeit trieb. Aber die
Gegenstände, in denen sich Gavarui ausschließlich bewegt, gehen in dieser Aus¬
dehnung doch über deu Spaß. Zwar werden wir beim ersten Anblick von der
Anmuth der Form so bezaubert, daß wir uns das böse Wesen der Unsittlichkeit,
die sich hinter jeuer Form versteckt, gar> uicht denken; zuletzt aber kommen wir
doch daraus. Ehebruch und nichts als Ehebruch, in deu Bildern wie in den
Schauspielen! die wichtigste Grundveste der öffentlichen Sicherheit mit frecher Hand
zerschlagen! Es ist das nicht blos eine französische Eigenthümlichkeit, sondern
eine Erscheinung, die sich bei allen katholischen Völkern wieder vorfinden wird.
In der Theorie die übermenschlichste Heiligkeit, entweder ein verklärter paradiesi¬
scher Iuugserustaud oder eine im Sacrament mit unvertilglicher Kraft sür die Ewig¬
keit festgestellte Verbindung, in der Praxis dagegen die ungebundenste Lüsternheit
und die Verachtung aller gesetzlichen Schranken. Der Himmel rechts und die
Erde links, beide durch eine nnübcrsieigliche Kluft von einander getrennt. Die
protestantische Sittlichkeit erscheint uns doch zweckmäßiger, sie macht keine so über¬
menschliche" Ansprüche an den Geist und an das Fleisch, aber mit den Ansprüchen,
die sie macht, ist es ihr bitterer Ernst. Sie keunt kein Fegefeuer, durch welches
die wilde Bacchantin als büßende Magdalene zum Himmel emporsteige" kaun,
für sie liegt i" der Sünde zugleich die Hölle: und es ist besser so. In der pro¬
testantischen Welt geht es zuweilen grämlich her, und von dem lustigen Fasching
des Katholicismus ist keine Rede. Dafür bewegt sie sich' aber auch auf einem
festen Boden, während der.gottesdienstliche und der sinnliche Jubel der römischen
Kirche uns niemals vergessen läßt, daß das Erdreich, auf dem er vorgeht, vulka¬
nischer Natur ist.




Blick auf Spaniens letzte Vergangenheit und seine
gegenwärtige Lage.
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Die Zustände Spaniens fesseln bei weitem nicht mehr unsre Aufmerksamkeit
in dem Grade, wie es früher der Fall war, als die Stürme des.Bürgerkriegs
und rasch auf einander folgender Revolutionen ihnen, nicht zum Glücke des Landes,
einen dramatischen Charakter verliehen, und wir selbst noch nicht durch die schweren
Erschütterungen unsrer eigenen Verhältnisse gänzlich in Anspruch genommen waren.
Gleichwohl sind die dortigen Vorgänge weder an und für sich des Interesses baar,
noch ohne Wichtigkeit und Rückwirkung ans die allgemeine europäische Politik.


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antreffen, sind uns mir zu oft in den Zeiten von -1848 und später vorgekommen,
wo man selbst den Fanatismus mit einer gewissen Beschaulichkeit trieb. Aber die
Gegenstände, in denen sich Gavarui ausschließlich bewegt, gehen in dieser Aus¬
dehnung doch über deu Spaß. Zwar werden wir beim ersten Anblick von der
Anmuth der Form so bezaubert, daß wir uns das böse Wesen der Unsittlichkeit,
die sich hinter jeuer Form versteckt, gar> uicht denken; zuletzt aber kommen wir
doch daraus. Ehebruch und nichts als Ehebruch, in deu Bildern wie in den
Schauspielen! die wichtigste Grundveste der öffentlichen Sicherheit mit frecher Hand
zerschlagen! Es ist das nicht blos eine französische Eigenthümlichkeit, sondern
eine Erscheinung, die sich bei allen katholischen Völkern wieder vorfinden wird.
In der Theorie die übermenschlichste Heiligkeit, entweder ein verklärter paradiesi¬
scher Iuugserustaud oder eine im Sacrament mit unvertilglicher Kraft sür die Ewig¬
keit festgestellte Verbindung, in der Praxis dagegen die ungebundenste Lüsternheit
und die Verachtung aller gesetzlichen Schranken. Der Himmel rechts und die
Erde links, beide durch eine nnübcrsieigliche Kluft von einander getrennt. Die
protestantische Sittlichkeit erscheint uns doch zweckmäßiger, sie macht keine so über¬
menschliche» Ansprüche an den Geist und an das Fleisch, aber mit den Ansprüchen,
die sie macht, ist es ihr bitterer Ernst. Sie keunt kein Fegefeuer, durch welches
die wilde Bacchantin als büßende Magdalene zum Himmel emporsteige» kaun,
für sie liegt i» der Sünde zugleich die Hölle: und es ist besser so. In der pro¬
testantischen Welt geht es zuweilen grämlich her, und von dem lustigen Fasching
des Katholicismus ist keine Rede. Dafür bewegt sie sich' aber auch auf einem
festen Boden, während der.gottesdienstliche und der sinnliche Jubel der römischen
Kirche uns niemals vergessen läßt, daß das Erdreich, auf dem er vorgeht, vulka¬
nischer Natur ist.




Blick auf Spaniens letzte Vergangenheit und seine
gegenwärtige Lage.
- - ^ i. : ^ - - ' V^-.

Die Zustände Spaniens fesseln bei weitem nicht mehr unsre Aufmerksamkeit
in dem Grade, wie es früher der Fall war, als die Stürme des.Bürgerkriegs
und rasch auf einander folgender Revolutionen ihnen, nicht zum Glücke des Landes,
einen dramatischen Charakter verliehen, und wir selbst noch nicht durch die schweren
Erschütterungen unsrer eigenen Verhältnisse gänzlich in Anspruch genommen waren.
Gleichwohl sind die dortigen Vorgänge weder an und für sich des Interesses baar,
noch ohne Wichtigkeit und Rückwirkung ans die allgemeine europäische Politik.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/183>, abgerufen am 22.12.2024.