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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Kritiken durch die Mengen und man konnte manchen Blick in die inneren Lcbens-
gestaltungen dieses Berglandes thun, ohne nach der, unsres Erachtens sehr unzu¬
verlässigen Art mancher Touristen die Leute inquisitorisch auszufragen und von
jeder Antwort mit gewichtiger Miene Akt zu nehmen. Wer dies thut, wird sicherlich
überall, am bestimmtesten jedoch in Appenzell Jnnerrhoden eben nur solche Ant¬
worten erhalten, wie man sie jetzt für den Ausländer, für den "Dütschen" passend
erachtet. Dies nicht etwa aus Scheu vor der Oeffentlichkeit, sondern mehr aus
einer gewissen Geringschätzung des Fragers, der ja doch mit seinen fragmentari¬
schen Erkundigungen und der ihm anerkennbaren fremden Auffassung der Dinge
keine wirkliche Einsicht, keine klare, unbefangene Anschauung gewinnt. Zudem
spötteln die Appenzeller gern, über den Fremden, er paßt ihnen weder in ihre
Bergwelt, noch auch in ihr alltägliches Leben. Sie haben ferner einen wirklich überaus
feinen Instinkt dafür, ob's Jenem eben nur um Befriedigung einer objectiven Wi߬
begier zu thun ist, oder ob er ein näheres Interesse an ihnen und ihrem Leben
nimmt. Deshalb muß man hier solche zufällige Belehrungen und Erfahrungen
über die Innerlichkeit der Zustände viel aufmerksamer hinnehmen, als Alles, was
man etwa durch directe Fragen herausbringt. -- -- Die widerlich berührenden
Bitten um die Landwaibelstelle als um eine melkende Kuh, machen augenscheinlich
auch auf den stimmfähigen Appenzeller einen höchst geringen Eindruck. Er weiß
es recht wohl, daß der Landwaibel in jedem Jahr an 1000 Gulden verdienen
kann, aber da derselbe auch bei den einzelnen Gemeindegliedern die Kost hat, so
will er für das immerhin seitliche Amt Niemanden, dem er etwa zutrauen könnte,
er bevorzuge aus unlautern Gründen und Rücksichten den Einen und Andern.
Er kennt schon deren, die eben wieder darauf spekuliren. Also nicht etwa vor¬
zugsweise persönliche Motive, sondern das wirklich eingewachsene Bewußtsein von
der Gleichberechtigung Aller drängt ihn zur Stimmabgabe für Denjenigen, welchen
er in Betracht der allgemeinen Verhältnisse für den Tüchtigsten erachtet. Trotz
der flehentlichen Bitten und kläglichen Geberden der des Schreibens und Lesens
Unkundigen, erhoben sich bei ihren Namen ans Tausenden kaum -10 -- 12 ver¬
wandte oder sonst engbefreundcte Hände. Auch für den vorigen Landwaibel, den
man vielseitig lobte, der aber 6 Jahre im Amte gesessen, stimmte nur eine kleine
'Zahl. Nun aber wurden die Stimmen getheilt; sechs zähe Scrutinien konnten
kein absolutes Mehr entscheiden. Mit immer lebhafterem "Hui" fuhren die Hände
bei den einzelnen Wahlen empor; immer lauter, immer dringender erscholl das
"Habet" (sehet, haltet hoch), je zweifelhafter die Blicke des Landammanns, Land¬
schreibers und Landwaibels das Mehr oder Minder der zustimmenden Hände,
erwogen. Endlich blieben noch drei Kandidaten übrig und vier Hauptleute mußten
ans die Tribune beschieden werden, um die Abzahlung zu unterstützen, bis die¬
selbe endlich zu einem zweifellosen Ergebniß führte.

Rascher ging die Besetzung der Landschreiberstelle. Ein Contingenthaupt-


Kritiken durch die Mengen und man konnte manchen Blick in die inneren Lcbens-
gestaltungen dieses Berglandes thun, ohne nach der, unsres Erachtens sehr unzu¬
verlässigen Art mancher Touristen die Leute inquisitorisch auszufragen und von
jeder Antwort mit gewichtiger Miene Akt zu nehmen. Wer dies thut, wird sicherlich
überall, am bestimmtesten jedoch in Appenzell Jnnerrhoden eben nur solche Ant¬
worten erhalten, wie man sie jetzt für den Ausländer, für den „Dütschen" passend
erachtet. Dies nicht etwa aus Scheu vor der Oeffentlichkeit, sondern mehr aus
einer gewissen Geringschätzung des Fragers, der ja doch mit seinen fragmentari¬
schen Erkundigungen und der ihm anerkennbaren fremden Auffassung der Dinge
keine wirkliche Einsicht, keine klare, unbefangene Anschauung gewinnt. Zudem
spötteln die Appenzeller gern, über den Fremden, er paßt ihnen weder in ihre
Bergwelt, noch auch in ihr alltägliches Leben. Sie haben ferner einen wirklich überaus
feinen Instinkt dafür, ob's Jenem eben nur um Befriedigung einer objectiven Wi߬
begier zu thun ist, oder ob er ein näheres Interesse an ihnen und ihrem Leben
nimmt. Deshalb muß man hier solche zufällige Belehrungen und Erfahrungen
über die Innerlichkeit der Zustände viel aufmerksamer hinnehmen, als Alles, was
man etwa durch directe Fragen herausbringt. — — Die widerlich berührenden
Bitten um die Landwaibelstelle als um eine melkende Kuh, machen augenscheinlich
auch auf den stimmfähigen Appenzeller einen höchst geringen Eindruck. Er weiß
es recht wohl, daß der Landwaibel in jedem Jahr an 1000 Gulden verdienen
kann, aber da derselbe auch bei den einzelnen Gemeindegliedern die Kost hat, so
will er für das immerhin seitliche Amt Niemanden, dem er etwa zutrauen könnte,
er bevorzuge aus unlautern Gründen und Rücksichten den Einen und Andern.
Er kennt schon deren, die eben wieder darauf spekuliren. Also nicht etwa vor¬
zugsweise persönliche Motive, sondern das wirklich eingewachsene Bewußtsein von
der Gleichberechtigung Aller drängt ihn zur Stimmabgabe für Denjenigen, welchen
er in Betracht der allgemeinen Verhältnisse für den Tüchtigsten erachtet. Trotz
der flehentlichen Bitten und kläglichen Geberden der des Schreibens und Lesens
Unkundigen, erhoben sich bei ihren Namen ans Tausenden kaum -10 — 12 ver¬
wandte oder sonst engbefreundcte Hände. Auch für den vorigen Landwaibel, den
man vielseitig lobte, der aber 6 Jahre im Amte gesessen, stimmte nur eine kleine
'Zahl. Nun aber wurden die Stimmen getheilt; sechs zähe Scrutinien konnten
kein absolutes Mehr entscheiden. Mit immer lebhafterem „Hui" fuhren die Hände
bei den einzelnen Wahlen empor; immer lauter, immer dringender erscholl das
„Habet" (sehet, haltet hoch), je zweifelhafter die Blicke des Landammanns, Land¬
schreibers und Landwaibels das Mehr oder Minder der zustimmenden Hände,
erwogen. Endlich blieben noch drei Kandidaten übrig und vier Hauptleute mußten
ans die Tribune beschieden werden, um die Abzahlung zu unterstützen, bis die¬
selbe endlich zu einem zweifellosen Ergebniß führte.

Rascher ging die Besetzung der Landschreiberstelle. Ein Contingenthaupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/154>, abgerufen am 22.12.2024.