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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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manu erhielt sie. Ohne allen Anstand ward endlich das "Mehrer" der anderen
Landsbeamten zum Plebiscit erhoben.

Die Verfassungsfrage folgte. Eine Umfrage bei den Hauptleuten und Landes¬
beamten, der Volksabstimmung vorangehend, brachte lauter Voden zu Gunsten
der Revision. Die Volksabstimmung wurde gefordert. Wer in der Masse stand,
konnte auch hier bei der ersten Handerhebuug kaum irgend einen Zweifel dagegen
hegen, daß das absolute Mehr sich sür die Revision entscheide. Der Landammann
war trotzdem zweifelhaft. Eine zweite Abstimmung ergab sür die Profanen ein
noch minder fragloses Mehr; dagegen wuchs wunderbarer Weise die Zweifel-
haftigkeit des Landammanns. Anstatt nun, wie bei der Landwaibelwahl, unter¬
stützende Vertrauensmänner zur Abschätzung aus'die Tribune zu rufen, glaubte
der hochgachtete und hochwohlgeborene Herr Landammann bei der dritten Abstimmung
immer stärker zweifeln zu müssen. Die Gefahr war vorhanden, daß nach mehr
als dreistündiger Dauer der Landsgemeinde im heißen Sonnenbrande, endlich die
erhebungsmüden Hände eben nur aus Müdigkeit den Ausspruch auf die Entschei¬
dung der Verwerfung der Revision zulassen würden. Da trat noch ein Jungherr
mit dem Antrage dazwischen, man möge selbst noch ein ferneres Jahr lang prüfen,
ob wirklich die Unverträglichkeit zwischen Bundes- und Cantonenverfafsung unüber¬
windlich sei. So geschah die Vertagung des Entscheides über die innerrhodener
Lebensfrage bis zum 23. April 18S3. Voraussichtlich wird dann ein anderer
Landammann die Abstimmung zu leiten haben. Bis dahin muß auch die pentar-
chische Gegnerschaft gegen das Einwachsen der neuen Schweizer Bundesverfassung
ihren Dank versparen. Wir werden dann sehen, ob die Bundesverfassung siegt,
oder'der Cantönligeist.

Damit war der politische Act zu Ende. Von Trommel und Pfeife geführt
schritten die hochgeachteten, hochgeehrten Herren wieder in die Stadt und zum
sehnlich erwarteten Festmahl. Die Aelteren des Volkes zogen wieder heim in
ihre Berge und legten den Säbel in die Truhe. Sie trugen wol auch die Waffe
der Söhne, welche theils in Appenzell selber, theils in den Wirthshäusern am
Wege bei einem Schoppen noch einmal die Vorgänge des Tages recapituliren
und für den folgenden Tag, zur sogenannten "Narrengemeinde", Schwänke und
, Jubel ersinnen. Dabei geschieht's manchmal, daß alter Gemeindehader, scheinbar
lang begraben, wieder aus dem Weinglase aufsteigt. In solchem Falle werden
mitunter selbst die Landsgemeindesäbel gefährlich. Und mancher Bursch wäre
vielleicht morgen am Tanze verhindert, wenn hente nicht der Vater oder die
Mutter, die Schwester oder Freundin ihm das blinkende Ehrenzeichen seiner
Manneswürde heimgetragen hätte.




manu erhielt sie. Ohne allen Anstand ward endlich das „Mehrer" der anderen
Landsbeamten zum Plebiscit erhoben.

Die Verfassungsfrage folgte. Eine Umfrage bei den Hauptleuten und Landes¬
beamten, der Volksabstimmung vorangehend, brachte lauter Voden zu Gunsten
der Revision. Die Volksabstimmung wurde gefordert. Wer in der Masse stand,
konnte auch hier bei der ersten Handerhebuug kaum irgend einen Zweifel dagegen
hegen, daß das absolute Mehr sich sür die Revision entscheide. Der Landammann
war trotzdem zweifelhaft. Eine zweite Abstimmung ergab sür die Profanen ein
noch minder fragloses Mehr; dagegen wuchs wunderbarer Weise die Zweifel-
haftigkeit des Landammanns. Anstatt nun, wie bei der Landwaibelwahl, unter¬
stützende Vertrauensmänner zur Abschätzung aus'die Tribune zu rufen, glaubte
der hochgachtete und hochwohlgeborene Herr Landammann bei der dritten Abstimmung
immer stärker zweifeln zu müssen. Die Gefahr war vorhanden, daß nach mehr
als dreistündiger Dauer der Landsgemeinde im heißen Sonnenbrande, endlich die
erhebungsmüden Hände eben nur aus Müdigkeit den Ausspruch auf die Entschei¬
dung der Verwerfung der Revision zulassen würden. Da trat noch ein Jungherr
mit dem Antrage dazwischen, man möge selbst noch ein ferneres Jahr lang prüfen,
ob wirklich die Unverträglichkeit zwischen Bundes- und Cantonenverfafsung unüber¬
windlich sei. So geschah die Vertagung des Entscheides über die innerrhodener
Lebensfrage bis zum 23. April 18S3. Voraussichtlich wird dann ein anderer
Landammann die Abstimmung zu leiten haben. Bis dahin muß auch die pentar-
chische Gegnerschaft gegen das Einwachsen der neuen Schweizer Bundesverfassung
ihren Dank versparen. Wir werden dann sehen, ob die Bundesverfassung siegt,
oder'der Cantönligeist.

Damit war der politische Act zu Ende. Von Trommel und Pfeife geführt
schritten die hochgeachteten, hochgeehrten Herren wieder in die Stadt und zum
sehnlich erwarteten Festmahl. Die Aelteren des Volkes zogen wieder heim in
ihre Berge und legten den Säbel in die Truhe. Sie trugen wol auch die Waffe
der Söhne, welche theils in Appenzell selber, theils in den Wirthshäusern am
Wege bei einem Schoppen noch einmal die Vorgänge des Tages recapituliren
und für den folgenden Tag, zur sogenannten „Narrengemeinde", Schwänke und
, Jubel ersinnen. Dabei geschieht's manchmal, daß alter Gemeindehader, scheinbar
lang begraben, wieder aus dem Weinglase aufsteigt. In solchem Falle werden
mitunter selbst die Landsgemeindesäbel gefährlich. Und mancher Bursch wäre
vielleicht morgen am Tanze verhindert, wenn hente nicht der Vater oder die
Mutter, die Schwester oder Freundin ihm das blinkende Ehrenzeichen seiner
Manneswürde heimgetragen hätte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/155>, abgerufen am 22.12.2024.