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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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aufrechthaltend und als ermunternde Vorbilder. Daher unter den dunklen Bil¬
der" die erhebenden und unvergänglichen Schilderungen theils, einzelner Hand¬
lungen der Art, theils der einzelnen Charaktere, die wie Thrasea und einige ähn¬
liche mit Nvmersiun oder Philosophie in sittlicher' Freiheit den Tod vor die Er¬
niedrigung- stellten.

Zustände wie die von Tacitus geschilderten kommen hoffentlich nnter gebildeten
Völkern nicht wieder vor, auch wol die Thucydideische" i" diesen Formen nicht.
Allein zwischen diesen Marken bewegt sich in wechselnder Gestalt und sehr ver¬
schiedener Annährnng nach der einen oder nach der andern Seite das Leben'der
Staatsgesellschaft immer wieder hin und her.

Ist also jene Ansicht von den beiden Schriftstellern die richtige, so wird eS
ganz natürlich erscheinen müssen, daß wo der Sinn und Trieb für Verständniß der
Geschichte überhaupt rege ist, man um Tacitus und Thucydides geschäftig wird
-- wie das in England der Fall ist -- und sich somit in der alten und in der
griechischen Geschichte befindet.

Es wird aber ferner für die Theilnahme deö Engländers an griechischer
Geschichte in Erwägung kommen, daß örtlich ihm das Land näher liegt. Die
vielfachen bekannten Veranlassungen, welche den Engländer als Colonisten öder
Kaufmann,' als Diplomaten, als Militair, als Reisenden in alle Theile der Welt
führen, haben ihn zahlreich auch aus griechischen Boden, ans europäischen wie
kleinasiatischen geführt -- und an den Boden knüpft sich ja die Geschichte. Die
Zahl derer, welche Griechenland mit Augen gesehen, ist selbst groß; die Reisebe-
schreibungen immer im Gange, die Kanäle mündlicher und schriftlicher Mittheilung
""berechenbar: von den Briefen "ut den Erzählungen bis zu Byrons entzücke"-'
den Stanzen: die Empfänglichkeit für fremde Länder und Sitten ohne Zweifel in
einem uns kaum begreiflichen Grade angeregt. Das wirkt aber zugleich auch auf
die Art der Geschichtschreibung wesentlich. Bei jenen 'vielfachen Beziehungen
und Verbindungen mit fernen Ländern ist der Umstand nicht zu vergessen, daß
eine Zahl fremder Länder zugleich England selbst sind, und dem Interesse anch
dadurch s" viel näher gerückt werde"; andere wenigstens sehr nahe in seine Po¬
litik verflochten, wie eben auch Griechenland. So ist denn die geographische
Phantasie des Engländers außerordentlich ausgeweidet und gestärkt, und dies
kommt seiner Geschichtschreibung ans das Schönste zu Gute, und der antiken, wo
vieles sonst verloren, nur durch die Anschauung der Natur seine sichere unaus¬
bleibliche Ergänzung findet, nicht am wenigsten. Bei uns möchte von den Ge-'
. schichtschreibern des Alterthums mir Niebuhr darin mit Engländern Aehnlichkeit
haben. Niebuhr, der Sohn des großen Reisenden, dessen Aiitheil und Phantasie
früh durch den Vater in derselben Weise angeregt "ut gebildet ward, und der
überdies in seinen Lebensstellungen auch noch anderweitig bis zu einem gewissen
Grade die Vortheile faud, die dem Engländer zu Gute kommen. Da ich hier


aufrechthaltend und als ermunternde Vorbilder. Daher unter den dunklen Bil¬
der» die erhebenden und unvergänglichen Schilderungen theils, einzelner Hand¬
lungen der Art, theils der einzelnen Charaktere, die wie Thrasea und einige ähn¬
liche mit Nvmersiun oder Philosophie in sittlicher' Freiheit den Tod vor die Er¬
niedrigung- stellten.

Zustände wie die von Tacitus geschilderten kommen hoffentlich nnter gebildeten
Völkern nicht wieder vor, auch wol die Thucydideische» i» diesen Formen nicht.
Allein zwischen diesen Marken bewegt sich in wechselnder Gestalt und sehr ver¬
schiedener Annährnng nach der einen oder nach der andern Seite das Leben'der
Staatsgesellschaft immer wieder hin und her.

Ist also jene Ansicht von den beiden Schriftstellern die richtige, so wird eS
ganz natürlich erscheinen müssen, daß wo der Sinn und Trieb für Verständniß der
Geschichte überhaupt rege ist, man um Tacitus und Thucydides geschäftig wird
— wie das in England der Fall ist — und sich somit in der alten und in der
griechischen Geschichte befindet.

Es wird aber ferner für die Theilnahme deö Engländers an griechischer
Geschichte in Erwägung kommen, daß örtlich ihm das Land näher liegt. Die
vielfachen bekannten Veranlassungen, welche den Engländer als Colonisten öder
Kaufmann,' als Diplomaten, als Militair, als Reisenden in alle Theile der Welt
führen, haben ihn zahlreich auch aus griechischen Boden, ans europäischen wie
kleinasiatischen geführt — und an den Boden knüpft sich ja die Geschichte. Die
Zahl derer, welche Griechenland mit Augen gesehen, ist selbst groß; die Reisebe-
schreibungen immer im Gange, die Kanäle mündlicher und schriftlicher Mittheilung
»»berechenbar: von den Briefen »ut den Erzählungen bis zu Byrons entzücke»-'
den Stanzen: die Empfänglichkeit für fremde Länder und Sitten ohne Zweifel in
einem uns kaum begreiflichen Grade angeregt. Das wirkt aber zugleich auch auf
die Art der Geschichtschreibung wesentlich. Bei jenen 'vielfachen Beziehungen
und Verbindungen mit fernen Ländern ist der Umstand nicht zu vergessen, daß
eine Zahl fremder Länder zugleich England selbst sind, und dem Interesse anch
dadurch s» viel näher gerückt werde»; andere wenigstens sehr nahe in seine Po¬
litik verflochten, wie eben auch Griechenland. So ist denn die geographische
Phantasie des Engländers außerordentlich ausgeweidet und gestärkt, und dies
kommt seiner Geschichtschreibung ans das Schönste zu Gute, und der antiken, wo
vieles sonst verloren, nur durch die Anschauung der Natur seine sichere unaus¬
bleibliche Ergänzung findet, nicht am wenigsten. Bei uns möchte von den Ge-'
. schichtschreibern des Alterthums mir Niebuhr darin mit Engländern Aehnlichkeit
haben. Niebuhr, der Sohn des großen Reisenden, dessen Aiitheil und Phantasie
früh durch den Vater in derselben Weise angeregt »ut gebildet ward, und der
überdies in seinen Lebensstellungen auch noch anderweitig bis zu einem gewissen
Grade die Vortheile faud, die dem Engländer zu Gute kommen. Da ich hier


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[0137] aufrechthaltend und als ermunternde Vorbilder. Daher unter den dunklen Bil¬ der» die erhebenden und unvergänglichen Schilderungen theils, einzelner Hand¬ lungen der Art, theils der einzelnen Charaktere, die wie Thrasea und einige ähn¬ liche mit Nvmersiun oder Philosophie in sittlicher' Freiheit den Tod vor die Er¬ niedrigung- stellten. Zustände wie die von Tacitus geschilderten kommen hoffentlich nnter gebildeten Völkern nicht wieder vor, auch wol die Thucydideische» i» diesen Formen nicht. Allein zwischen diesen Marken bewegt sich in wechselnder Gestalt und sehr ver¬ schiedener Annährnng nach der einen oder nach der andern Seite das Leben'der Staatsgesellschaft immer wieder hin und her. Ist also jene Ansicht von den beiden Schriftstellern die richtige, so wird eS ganz natürlich erscheinen müssen, daß wo der Sinn und Trieb für Verständniß der Geschichte überhaupt rege ist, man um Tacitus und Thucydides geschäftig wird — wie das in England der Fall ist — und sich somit in der alten und in der griechischen Geschichte befindet. Es wird aber ferner für die Theilnahme deö Engländers an griechischer Geschichte in Erwägung kommen, daß örtlich ihm das Land näher liegt. Die vielfachen bekannten Veranlassungen, welche den Engländer als Colonisten öder Kaufmann,' als Diplomaten, als Militair, als Reisenden in alle Theile der Welt führen, haben ihn zahlreich auch aus griechischen Boden, ans europäischen wie kleinasiatischen geführt — und an den Boden knüpft sich ja die Geschichte. Die Zahl derer, welche Griechenland mit Augen gesehen, ist selbst groß; die Reisebe- schreibungen immer im Gange, die Kanäle mündlicher und schriftlicher Mittheilung »»berechenbar: von den Briefen »ut den Erzählungen bis zu Byrons entzücke»-' den Stanzen: die Empfänglichkeit für fremde Länder und Sitten ohne Zweifel in einem uns kaum begreiflichen Grade angeregt. Das wirkt aber zugleich auch auf die Art der Geschichtschreibung wesentlich. Bei jenen 'vielfachen Beziehungen und Verbindungen mit fernen Ländern ist der Umstand nicht zu vergessen, daß eine Zahl fremder Länder zugleich England selbst sind, und dem Interesse anch dadurch s» viel näher gerückt werde»; andere wenigstens sehr nahe in seine Po¬ litik verflochten, wie eben auch Griechenland. So ist denn die geographische Phantasie des Engländers außerordentlich ausgeweidet und gestärkt, und dies kommt seiner Geschichtschreibung ans das Schönste zu Gute, und der antiken, wo vieles sonst verloren, nur durch die Anschauung der Natur seine sichere unaus¬ bleibliche Ergänzung findet, nicht am wenigsten. Bei uns möchte von den Ge-' . schichtschreibern des Alterthums mir Niebuhr darin mit Engländern Aehnlichkeit haben. Niebuhr, der Sohn des großen Reisenden, dessen Aiitheil und Phantasie früh durch den Vater in derselben Weise angeregt »ut gebildet ward, und der überdies in seinen Lebensstellungen auch noch anderweitig bis zu einem gewissen Grade die Vortheile faud, die dem Engländer zu Gute kommen. Da ich hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/137>, abgerufen am 22.12.2024.