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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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denn die Menschen sollen keine Engel sein, sondern er soll der Natur Manschen,
was sie aus ihnen machen wollte, was aber vollständig zu erreichen, ihr durch
zufällige, nicht zur Sache gehörende Umstände, versagt blieb. Und was'vom
Dichter und vom Maler gilt, genau dasselbe gilt vom Schauspieler.

Eine Schule, wie sie Devrient im Sinne hat, konnte nach dieser Richtung
hin viel Nützliches wirken/ nur darf man ihre Wirkung nicht überschätzen. Wir
sehen hier vollständig von dem Einwürfe ab, daß, wo die Anlage fehlt, anch
die beste Erziehung Nichts herausbringen wird, weil wir die Anlage eben voraus-,
setzen. Aber ein anderer Uebelstand ist schwerer zu beseitigen. Jene technische
Bildung allein würde nicht genügen. Um die Intentionen des Dichters zu ver¬
stehe", muß der Schauspieler, abgesehen vou seiner natürlichen Fähigkeit, bedeu¬
tendere Erregungen der Seele nachzuempfinden und sie wiederzugeben, auch noch
eine nicht gemeine geistige Bildung haben. Was zu einer Aufführung Jffland'scher
Stücke nicht nöthig ist, läßt sich bei Goethe und Schiller nicht entbehren. Diese
Bildung kann aber durch eine Theatcrschnle nicht vermittelt werden, denn es
kommt nicht blos aus den Umfang der Kenntnisse an, sondern auf die Art, wie
man sich dieselben erwirbt. Theaterschulen für Kinder anzulegen wäre wol
eine nie zu verzeihende Sünde gegen den heiligen Geist, und für Erwachsene
giebt es kein allgemeines Mittel, .die versäumte Schulbildung zu ergänzen. Am
wenigsten dürften ästhetische Vorlesungen dazu geeignet sein, die in der Regel
nur dazu beitragen, einen Halbgebildeten mit suffisance zu erfüllen und ihm
den Kopf vollends zu verdrehen. Hier wird wol die individuelle Thätigkeit die
Hauptsache machen müssen, und wenn ein junger Schauspieler durch deu Umgang
und das Beispiel eines so vollkommen gebildeten Mannes in dem edelsten Sinn
dieses Worts, wie Eduard Devrient ist, Gelegenheit hat, sich zu kräftigen, so
ist das ein glücklicher Zufall, aber nicht eine Nothwendigkeit, die man aus der
Natur der Sache herleiten konnte.

Wir begnügen uns mit diesen beiläufigen Bemerkungen und gehen auf den
zweiten Gegenstand unserer Betrachtung über, auf die sittliche, sociale Stellung
des Schauspielers. Das Vorurtheil gegen diesen Stand entsprang in früherer
Zeit wol zum großen Theil aus religiösen Vorstellungen. Es hatte den geist¬
lichen Hirten beliebt das Theater als eine' Gottlosigkeit anzusehen. Sie' ver¬
sagten dem Schauspieler ein ehrliches Begräbnis;, und wenn sich anch'zu allen
Zeiten aufgeklärte Köpfe genug finden, die sich gegen die kirchliche Doctrin auf¬
lehnen, so wird es ihnen doch viel schwerer, sich der mit den kirchlichen Ein¬
richtungen zusammenhängenden Sitte zu entziehen. Von diesem Vorurtheil ist
glücklicher Weise nicht mehr die Rede; was also noch dem Schauspieler eine
exceptionelle Stellung in der Gesellschaft giebt, muß in der Natur der Sache liegen.

Wir wollen zuerst^ die Künstlerinnen ins Ange fassen. Niemand wird läugnen,
daß in der Gewohnheit, die geheimsten Kräfte der Seele öffentlich preiszugeben,


denn die Menschen sollen keine Engel sein, sondern er soll der Natur Manschen,
was sie aus ihnen machen wollte, was aber vollständig zu erreichen, ihr durch
zufällige, nicht zur Sache gehörende Umstände, versagt blieb. Und was'vom
Dichter und vom Maler gilt, genau dasselbe gilt vom Schauspieler.

Eine Schule, wie sie Devrient im Sinne hat, konnte nach dieser Richtung
hin viel Nützliches wirken/ nur darf man ihre Wirkung nicht überschätzen. Wir
sehen hier vollständig von dem Einwürfe ab, daß, wo die Anlage fehlt, anch
die beste Erziehung Nichts herausbringen wird, weil wir die Anlage eben voraus-,
setzen. Aber ein anderer Uebelstand ist schwerer zu beseitigen. Jene technische
Bildung allein würde nicht genügen. Um die Intentionen des Dichters zu ver¬
stehe», muß der Schauspieler, abgesehen vou seiner natürlichen Fähigkeit, bedeu¬
tendere Erregungen der Seele nachzuempfinden und sie wiederzugeben, auch noch
eine nicht gemeine geistige Bildung haben. Was zu einer Aufführung Jffland'scher
Stücke nicht nöthig ist, läßt sich bei Goethe und Schiller nicht entbehren. Diese
Bildung kann aber durch eine Theatcrschnle nicht vermittelt werden, denn es
kommt nicht blos aus den Umfang der Kenntnisse an, sondern auf die Art, wie
man sich dieselben erwirbt. Theaterschulen für Kinder anzulegen wäre wol
eine nie zu verzeihende Sünde gegen den heiligen Geist, und für Erwachsene
giebt es kein allgemeines Mittel, .die versäumte Schulbildung zu ergänzen. Am
wenigsten dürften ästhetische Vorlesungen dazu geeignet sein, die in der Regel
nur dazu beitragen, einen Halbgebildeten mit suffisance zu erfüllen und ihm
den Kopf vollends zu verdrehen. Hier wird wol die individuelle Thätigkeit die
Hauptsache machen müssen, und wenn ein junger Schauspieler durch deu Umgang
und das Beispiel eines so vollkommen gebildeten Mannes in dem edelsten Sinn
dieses Worts, wie Eduard Devrient ist, Gelegenheit hat, sich zu kräftigen, so
ist das ein glücklicher Zufall, aber nicht eine Nothwendigkeit, die man aus der
Natur der Sache herleiten konnte.

Wir begnügen uns mit diesen beiläufigen Bemerkungen und gehen auf den
zweiten Gegenstand unserer Betrachtung über, auf die sittliche, sociale Stellung
des Schauspielers. Das Vorurtheil gegen diesen Stand entsprang in früherer
Zeit wol zum großen Theil aus religiösen Vorstellungen. Es hatte den geist¬
lichen Hirten beliebt das Theater als eine' Gottlosigkeit anzusehen. Sie' ver¬
sagten dem Schauspieler ein ehrliches Begräbnis;, und wenn sich anch'zu allen
Zeiten aufgeklärte Köpfe genug finden, die sich gegen die kirchliche Doctrin auf¬
lehnen, so wird es ihnen doch viel schwerer, sich der mit den kirchlichen Ein¬
richtungen zusammenhängenden Sitte zu entziehen. Von diesem Vorurtheil ist
glücklicher Weise nicht mehr die Rede; was also noch dem Schauspieler eine
exceptionelle Stellung in der Gesellschaft giebt, muß in der Natur der Sache liegen.

Wir wollen zuerst^ die Künstlerinnen ins Ange fassen. Niemand wird läugnen,
daß in der Gewohnheit, die geheimsten Kräfte der Seele öffentlich preiszugeben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/106>, abgerufen am 22.12.2024.