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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die Entwickelung der europäischen Völker während dreier" Jhrhunderte als eine krank¬
hafte Erscheinung auf ein Nichts zurückzuführen, daß er mit einem puren Gleichniß
Thatsachen abzuthun versuchen möchte, -- und doch bezog sich der ganze Kreis der
Darstellung zunächst aus die Illustration dieses einen medicinischen Bildes.

Hiermit könnte eigentlich genug gesagt sein, wenn die Eigenthümlichkeiten der be¬
sprochenen Vorlesungen im Einzelnen nicht zu reichhaltig wären, nicht zu viel Stoff zu
humoristischen Lnftblicken gäben. Die großdeutsche Richtung des Herrn Sepp ist be¬
kannt, man kennt seinen Kriegsmuth gegen die Ottomanen, man hat sich die bayrische
Fahne mit dem: "Reize den Löwen nicht!" (Haltet mich, oder ich schlag' ihn todt!)
als östliche Culturträgcrin auf den Zinnen von Belgrad gedacht, aber daß Oestreich
eigentlich zu Bayern gehört, weil -- es von dem bayrischen Volksstamme bewohnt wird,
das ist dock) neu und erquickt die Imagination, und wenn dagegen die Behauptung,
daß Se. Pauls in London -- das Bauwerk der nüchternen Aufklärung den romanischen
und gothischen Domen gegenüber -- nur ein Ding aus Stein und "Speiß" sei, den
Nichteingeweihten sehr natürlich erscheint, so entschädigt uns wieder die Angabe, daß in
England "das Haus Coburg -- auch nur ein Haus xsr "heff usurpativnis --
vermittelst einer Erbtochter aus dem Haus Hannover succedirt hat." Ueber einzelne
Schwierigkeiten kommt Herr Sepp glatt hinweg. So verträgt sich z. V. die Un¬
fehlbarkeit der Kirche sehr wohl mit der Verfolgung des Galilei: "der Stillstand
der Sonne aus Josua's Befehl" war, wie Vieles, nnr bildlich gemeint, das wußte
die Kirche sehr wohl, und würde es auch schon zu seiner Zeit gesagt haben;
allzuviel Wissen macht dem Volk Kopfweh. Galilei aber war ein anmaßender
Bursche, dem eine kleine Züchtigung sehr gut war, und ein schlechter .Poltron
obendrein, sonst hätte er nicht widerrufen (und sich verbrennen lassen); man sperrte
ihn ein, allerdings, allein aus einem sehr schönen Schloß, wo er eine hübsche
Aussicht hatte und die prächtigsten Studien machen konnte. Die Bartholomäusnacht
wird unter der rhetorischen Form der Zugabe in Angriff genommen: Herr Sepp ist
nicht so schlimm, wie das Univers, welches darin nur eine gerechte, aber gelinde Reaction
des Volksuuwillcns gegen eine steche Anstührcrbande erblickte; er hat sittliche Entrüstung,
nur will er die einleitende Verschwörung nicht gelten lassen, auch hatten die Calvinisten
viel Schlimmeres verübt, der Tage von 1793 gar nicht zu gedenkcnn (!) und endlich
kamen ja auch gar nicht so viele Leute dabei um, als man gewöhnlich glaubt; "für
diesmal war es nur ein Tröpfchen Fegefeuer!"




Herausgegeben von Gustav Fveytag und InUau Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimivt: F. W. Grnuow., -- Verlag von F. L. Herbig
tu Leipzig.
Druck von (5, E, Elbert in Leipzig.

die Entwickelung der europäischen Völker während dreier« Jhrhunderte als eine krank¬
hafte Erscheinung auf ein Nichts zurückzuführen, daß er mit einem puren Gleichniß
Thatsachen abzuthun versuchen möchte, — und doch bezog sich der ganze Kreis der
Darstellung zunächst aus die Illustration dieses einen medicinischen Bildes.

Hiermit könnte eigentlich genug gesagt sein, wenn die Eigenthümlichkeiten der be¬
sprochenen Vorlesungen im Einzelnen nicht zu reichhaltig wären, nicht zu viel Stoff zu
humoristischen Lnftblicken gäben. Die großdeutsche Richtung des Herrn Sepp ist be¬
kannt, man kennt seinen Kriegsmuth gegen die Ottomanen, man hat sich die bayrische
Fahne mit dem: „Reize den Löwen nicht!" (Haltet mich, oder ich schlag' ihn todt!)
als östliche Culturträgcrin auf den Zinnen von Belgrad gedacht, aber daß Oestreich
eigentlich zu Bayern gehört, weil — es von dem bayrischen Volksstamme bewohnt wird,
das ist dock) neu und erquickt die Imagination, und wenn dagegen die Behauptung,
daß Se. Pauls in London — das Bauwerk der nüchternen Aufklärung den romanischen
und gothischen Domen gegenüber — nur ein Ding aus Stein und „Speiß" sei, den
Nichteingeweihten sehr natürlich erscheint, so entschädigt uns wieder die Angabe, daß in
England „das Haus Coburg — auch nur ein Haus xsr »heff usurpativnis —
vermittelst einer Erbtochter aus dem Haus Hannover succedirt hat." Ueber einzelne
Schwierigkeiten kommt Herr Sepp glatt hinweg. So verträgt sich z. V. die Un¬
fehlbarkeit der Kirche sehr wohl mit der Verfolgung des Galilei: „der Stillstand
der Sonne aus Josua's Befehl" war, wie Vieles, nnr bildlich gemeint, das wußte
die Kirche sehr wohl, und würde es auch schon zu seiner Zeit gesagt haben;
allzuviel Wissen macht dem Volk Kopfweh. Galilei aber war ein anmaßender
Bursche, dem eine kleine Züchtigung sehr gut war, und ein schlechter .Poltron
obendrein, sonst hätte er nicht widerrufen (und sich verbrennen lassen); man sperrte
ihn ein, allerdings, allein aus einem sehr schönen Schloß, wo er eine hübsche
Aussicht hatte und die prächtigsten Studien machen konnte. Die Bartholomäusnacht
wird unter der rhetorischen Form der Zugabe in Angriff genommen: Herr Sepp ist
nicht so schlimm, wie das Univers, welches darin nur eine gerechte, aber gelinde Reaction
des Volksuuwillcns gegen eine steche Anstührcrbande erblickte; er hat sittliche Entrüstung,
nur will er die einleitende Verschwörung nicht gelten lassen, auch hatten die Calvinisten
viel Schlimmeres verübt, der Tage von 1793 gar nicht zu gedenkcnn (!) und endlich
kamen ja auch gar nicht so viele Leute dabei um, als man gewöhnlich glaubt; „für
diesmal war es nur ein Tröpfchen Fegefeuer!"




Herausgegeben von Gustav Fveytag und InUau Schmidt.
Als verantwort!. Redacteur legitimivt: F. W. Grnuow., — Verlag von F. L. Herbig
tu Leipzig.
Druck von (5, E, Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/90>, abgerufen am 24.07.2024.