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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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sich alle Augenblicke durch fliegende Hitze, durch einen künstlich erzeugten Rausch
von sich selber zu befreien sucht, um dann sofort wieder in trübe, ironische
Nüchternheit zu verfallen, zeigt sich auch in der Schöpfung seiner Gestalten. Eine
ganz sonderbare psychologische Gedankenverbindung kann man fast bei jeder seiner
idealen Figuren verfolgen. Zuerst Entzücken über sie werdende Große des Hel¬
den, dann plötzlich halb wider Willen, aus innerer Verstimmung hervorgehend,
einzelne gemeine, rohe Züge, in Folge dieser ihn selbst überraschenden Einfälle
die Empfindung: es sei doch eigentlich nur ein Lump! und endlich der halb
faunische, halb weltschmerzliche Trost: wir sind ja alle sterbliche Menschen! --
An solchen Einfällen kann man keine unmittelbare Freude haben, man kann sich
weder über sie belustigen, noch sich für sie begeistern, und der Werth eines Ro¬
mans, der sich ausschließlich in ähnlichen Figuren bewegt, kann nur in der Bezie¬
hung auf eine bestimmte Tendenz, in der Komposition des Ganzen gesucht
werden.

Aehnlich verhält es sich mit den Geschichten, die Gutzkow erzählt. Die
naiven Romanschreiber, z. B. Dumas, siud unermüdlich in der Erfindung
spannender Ereignisse, die uns zwar nicht belehren, aber unterhalten. -- Eine
solche Naivetät des Erzählens ist für Gutzkow unmöglich, weil er eine wesentlich
reflectirende Natur ist. Ihn interessirt kein Factum, an welches sich nicht all¬
gemeine Gedanken, psychologisch ausgearbeitete Stimmungen, tiefere Gefühle an¬
knüpfen lassen. Jedes Ereigniß muß ihm eine symbolische Bedeutung haben.
Allein bei diesem lobenswerthen Bestreben vergißt er sast regelmäßig, daß die
Mittel mit den Zwecken in einem innern Zusammenhang stehen müssen. Er läßt
z. B. einen seiner Helden ausgehen, nachdem dieser sich mit "gentlemanliker" Ent¬
schiedenheit angekleidet hat; die Straßen, durch die er kommt, gewinnen eine ganz
eigenthümliche Physiognomie; er knüpft landschaftliche, vielleicht auch staatsökonomi¬
sche Betrachtungen daran. Dann geht er weiter, und begegnet einem Freund, den
"er lange nicht gesehen hat; dieser Freund ist z. B. ein Maler; sie vertiefen sich
in Gespräche über Kunst und Literatur. Der Maler entfernt sich, und unser
Held, dnrch irgend Etwas angeregt, erhebt sich zu gewaltigen Plänen über poli¬
tische Verbesserungen. Im Weitergehen verliert er den Muth, und brütet über
weltschmerzlichen Vorstellungen, bis er dieselben zu einem lyrischen Gedicht abklärt.
Dann kommt wieder ein anderer guter Freund, und fordert ihn ans, etwa in die
Reiterbude, zu kommen, oder auf den Fortunaball; eigentlich war der Zweck seines
Aufgehens irgend ein wichtiges Geschäft, und diesem entsprechend die Stimmung,
in der wir ihn zuerst antrafen, aber das hat er über den vielen Abenteuern,
die ihm widerfahren, wieder vergessen, er folgt seinem Freunde in die Neitcrbnde,
oder, thut doch irgend etwas Anderes. -- Solche Geschichten ohne Pointen, solche
Widersprüche gegen die leitende Stimmung erfüllen sast das ganze Buch. Der
Dichter will überall seine Empfindungen über den Zustand des Menschengeschlechts,
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sich alle Augenblicke durch fliegende Hitze, durch einen künstlich erzeugten Rausch
von sich selber zu befreien sucht, um dann sofort wieder in trübe, ironische
Nüchternheit zu verfallen, zeigt sich auch in der Schöpfung seiner Gestalten. Eine
ganz sonderbare psychologische Gedankenverbindung kann man fast bei jeder seiner
idealen Figuren verfolgen. Zuerst Entzücken über sie werdende Große des Hel¬
den, dann plötzlich halb wider Willen, aus innerer Verstimmung hervorgehend,
einzelne gemeine, rohe Züge, in Folge dieser ihn selbst überraschenden Einfälle
die Empfindung: es sei doch eigentlich nur ein Lump! und endlich der halb
faunische, halb weltschmerzliche Trost: wir sind ja alle sterbliche Menschen! —
An solchen Einfällen kann man keine unmittelbare Freude haben, man kann sich
weder über sie belustigen, noch sich für sie begeistern, und der Werth eines Ro¬
mans, der sich ausschließlich in ähnlichen Figuren bewegt, kann nur in der Bezie¬
hung auf eine bestimmte Tendenz, in der Komposition des Ganzen gesucht
werden.

Aehnlich verhält es sich mit den Geschichten, die Gutzkow erzählt. Die
naiven Romanschreiber, z. B. Dumas, siud unermüdlich in der Erfindung
spannender Ereignisse, die uns zwar nicht belehren, aber unterhalten. — Eine
solche Naivetät des Erzählens ist für Gutzkow unmöglich, weil er eine wesentlich
reflectirende Natur ist. Ihn interessirt kein Factum, an welches sich nicht all¬
gemeine Gedanken, psychologisch ausgearbeitete Stimmungen, tiefere Gefühle an¬
knüpfen lassen. Jedes Ereigniß muß ihm eine symbolische Bedeutung haben.
Allein bei diesem lobenswerthen Bestreben vergißt er sast regelmäßig, daß die
Mittel mit den Zwecken in einem innern Zusammenhang stehen müssen. Er läßt
z. B. einen seiner Helden ausgehen, nachdem dieser sich mit „gentlemanliker" Ent¬
schiedenheit angekleidet hat; die Straßen, durch die er kommt, gewinnen eine ganz
eigenthümliche Physiognomie; er knüpft landschaftliche, vielleicht auch staatsökonomi¬
sche Betrachtungen daran. Dann geht er weiter, und begegnet einem Freund, den
"er lange nicht gesehen hat; dieser Freund ist z. B. ein Maler; sie vertiefen sich
in Gespräche über Kunst und Literatur. Der Maler entfernt sich, und unser
Held, dnrch irgend Etwas angeregt, erhebt sich zu gewaltigen Plänen über poli¬
tische Verbesserungen. Im Weitergehen verliert er den Muth, und brütet über
weltschmerzlichen Vorstellungen, bis er dieselben zu einem lyrischen Gedicht abklärt.
Dann kommt wieder ein anderer guter Freund, und fordert ihn ans, etwa in die
Reiterbude, zu kommen, oder auf den Fortunaball; eigentlich war der Zweck seines
Aufgehens irgend ein wichtiges Geschäft, und diesem entsprechend die Stimmung,
in der wir ihn zuerst antrafen, aber das hat er über den vielen Abenteuern,
die ihm widerfahren, wieder vergessen, er folgt seinem Freunde in die Neitcrbnde,
oder, thut doch irgend etwas Anderes. — Solche Geschichten ohne Pointen, solche
Widersprüche gegen die leitende Stimmung erfüllen sast das ganze Buch. Der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/53>, abgerufen am 24.07.2024.