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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Die Gerechtigkeitspflege ist in hohem Grade unbestechlich und unparteiisch';
die Richter und Verwaltungsbeamten-- de Heerens, wie sie heißen -- stehen
in nicht geringem Ansehen auf dem Lande, und wenn eine Verordnung bekrittelt
wird, so geschieht es nicht, weil man Böses dabei argwöhnt, sondern weil sie
für unpraktisch gehalten wird. Schon das Scherzwort: Wer kann gegen de
Obrigkeit? sa de Deern: do kam se von 'n Feldhüter in Walen (in
die Wochen) drückt Achtung mitten in Spaß und Spott aus. Ueberhaupt ist
dem Oldenburger ein tiefer Sinn für Alles, was Rechtens ist, eingeboren; er
hält sein Recht oft bis zum Eigensinn und zur Starrheit fest; deun Recht moot
sin Gang hebben. Schon in den Kinderspielen tritt dieser Rechtssinn stark
hervor. Wenn z. B. beim Murmelspiel ein zweifelhafter Wurf gethan worden,
so heißt es meistens: Sinn wedder um; wat Recht is, kummt Recht
wedder (Wirf noch einmal; was Recht ist, kehrt auch als-Recht wieder).

Daß es im Oldenburgischen keine Diebe giebt, wäre lächerlich zu behaupten.
In der Strafanstalt zu Vechta sitzen neben den Ausländern natürlich auch In¬
länder, die mit Frau Jnstitia ausgespannten Fuß leben; was ich sage, ist nur,
daß in jenem Lande das Verhältniß der ehrlichen Leute zu den unehrlichen ein
sehr günstiges sei. Mitunter ist die Spitzbüberei des Oldenburgers naiver, fast
möcht' ich sagen harmloser Art; sie tritt mit einer gewissen Offenheit auf, die
ihr den bittern Beigeschmack nimmt, wie die Spitzbüberei jenes Knechtes, der
sich fortwährend kleine Mausercien^ bei seinem Herrn, einem reichen Bauern,
erlaubte. Der Bauer, der recht wohl darum wußte, sah der Sache eine Zeit
lang ruhig zu; endlich aber sagte er zu dem Knechte: "Jan, ich weiß wohl, daß
Du mir zuweilen Etwas wegkriegst. Ich lege Dir jährlich drei Pistolen zu,
wenn Du mir die Hand daraus giebst, daß Du es nicht wieder thun willst."
Worauf Jan nach einigem Besinnen antwortete: "Wi wollt 'et man lewer
so laden (Wir wollen es lieber so lassen).

Die meisten Diebstähle und Einbrüche geschehen nach Neujahr, um welche
Zeit hauptsächlich das Schlachten der Schweine stattfindet. Von den wenigen
Armen, die selber nicht schlachten, läßt sich mancher wol verleiten, bei dem
Nachbar einzusteigen. Mir ist ein Fall bekannt, wo ein solcher Dieb, nachdem
er sich den Wanst gefüllt hatte, an Ort, und Stelle sich schlafen legte und am
folgenden Morgen von dem Bauer betroffen wurde. Guten Morgen! rief ihn
der Bauer an. Guten Morgen! erwiderte der Andere gemüthlich, raffte sich
auf und ging unangefochten von bannen.

Arndt sagt in seinem Versuche einer vergleichenden Völkergeschichte: "Im
Nordwesten Deutschlands, wo sich oft dicke Nebel lagern und die bösen, na߬
kalten Seewinde wehen, muß sich eine gewisse natürliche und klimatische Schlaff¬
heit und Trägheit einstellen. So ist es in der That, und' eine gewisse dumpfe
Redlichkeit und Faulheit des Daseins würde endlich die Lust und Kraft des Lebens


Die Gerechtigkeitspflege ist in hohem Grade unbestechlich und unparteiisch';
die Richter und Verwaltungsbeamten— de Heerens, wie sie heißen — stehen
in nicht geringem Ansehen auf dem Lande, und wenn eine Verordnung bekrittelt
wird, so geschieht es nicht, weil man Böses dabei argwöhnt, sondern weil sie
für unpraktisch gehalten wird. Schon das Scherzwort: Wer kann gegen de
Obrigkeit? sa de Deern: do kam se von 'n Feldhüter in Walen (in
die Wochen) drückt Achtung mitten in Spaß und Spott aus. Ueberhaupt ist
dem Oldenburger ein tiefer Sinn für Alles, was Rechtens ist, eingeboren; er
hält sein Recht oft bis zum Eigensinn und zur Starrheit fest; deun Recht moot
sin Gang hebben. Schon in den Kinderspielen tritt dieser Rechtssinn stark
hervor. Wenn z. B. beim Murmelspiel ein zweifelhafter Wurf gethan worden,
so heißt es meistens: Sinn wedder um; wat Recht is, kummt Recht
wedder (Wirf noch einmal; was Recht ist, kehrt auch als-Recht wieder).

Daß es im Oldenburgischen keine Diebe giebt, wäre lächerlich zu behaupten.
In der Strafanstalt zu Vechta sitzen neben den Ausländern natürlich auch In¬
länder, die mit Frau Jnstitia ausgespannten Fuß leben; was ich sage, ist nur,
daß in jenem Lande das Verhältniß der ehrlichen Leute zu den unehrlichen ein
sehr günstiges sei. Mitunter ist die Spitzbüberei des Oldenburgers naiver, fast
möcht' ich sagen harmloser Art; sie tritt mit einer gewissen Offenheit auf, die
ihr den bittern Beigeschmack nimmt, wie die Spitzbüberei jenes Knechtes, der
sich fortwährend kleine Mausercien^ bei seinem Herrn, einem reichen Bauern,
erlaubte. Der Bauer, der recht wohl darum wußte, sah der Sache eine Zeit
lang ruhig zu; endlich aber sagte er zu dem Knechte: „Jan, ich weiß wohl, daß
Du mir zuweilen Etwas wegkriegst. Ich lege Dir jährlich drei Pistolen zu,
wenn Du mir die Hand daraus giebst, daß Du es nicht wieder thun willst."
Worauf Jan nach einigem Besinnen antwortete: „Wi wollt 'et man lewer
so laden (Wir wollen es lieber so lassen).

Die meisten Diebstähle und Einbrüche geschehen nach Neujahr, um welche
Zeit hauptsächlich das Schlachten der Schweine stattfindet. Von den wenigen
Armen, die selber nicht schlachten, läßt sich mancher wol verleiten, bei dem
Nachbar einzusteigen. Mir ist ein Fall bekannt, wo ein solcher Dieb, nachdem
er sich den Wanst gefüllt hatte, an Ort, und Stelle sich schlafen legte und am
folgenden Morgen von dem Bauer betroffen wurde. Guten Morgen! rief ihn
der Bauer an. Guten Morgen! erwiderte der Andere gemüthlich, raffte sich
auf und ging unangefochten von bannen.

Arndt sagt in seinem Versuche einer vergleichenden Völkergeschichte: „Im
Nordwesten Deutschlands, wo sich oft dicke Nebel lagern und die bösen, na߬
kalten Seewinde wehen, muß sich eine gewisse natürliche und klimatische Schlaff¬
heit und Trägheit einstellen. So ist es in der That, und' eine gewisse dumpfe
Redlichkeit und Faulheit des Daseins würde endlich die Lust und Kraft des Lebens


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[0506] Die Gerechtigkeitspflege ist in hohem Grade unbestechlich und unparteiisch'; die Richter und Verwaltungsbeamten— de Heerens, wie sie heißen — stehen in nicht geringem Ansehen auf dem Lande, und wenn eine Verordnung bekrittelt wird, so geschieht es nicht, weil man Böses dabei argwöhnt, sondern weil sie für unpraktisch gehalten wird. Schon das Scherzwort: Wer kann gegen de Obrigkeit? sa de Deern: do kam se von 'n Feldhüter in Walen (in die Wochen) drückt Achtung mitten in Spaß und Spott aus. Ueberhaupt ist dem Oldenburger ein tiefer Sinn für Alles, was Rechtens ist, eingeboren; er hält sein Recht oft bis zum Eigensinn und zur Starrheit fest; deun Recht moot sin Gang hebben. Schon in den Kinderspielen tritt dieser Rechtssinn stark hervor. Wenn z. B. beim Murmelspiel ein zweifelhafter Wurf gethan worden, so heißt es meistens: Sinn wedder um; wat Recht is, kummt Recht wedder (Wirf noch einmal; was Recht ist, kehrt auch als-Recht wieder). Daß es im Oldenburgischen keine Diebe giebt, wäre lächerlich zu behaupten. In der Strafanstalt zu Vechta sitzen neben den Ausländern natürlich auch In¬ länder, die mit Frau Jnstitia ausgespannten Fuß leben; was ich sage, ist nur, daß in jenem Lande das Verhältniß der ehrlichen Leute zu den unehrlichen ein sehr günstiges sei. Mitunter ist die Spitzbüberei des Oldenburgers naiver, fast möcht' ich sagen harmloser Art; sie tritt mit einer gewissen Offenheit auf, die ihr den bittern Beigeschmack nimmt, wie die Spitzbüberei jenes Knechtes, der sich fortwährend kleine Mausercien^ bei seinem Herrn, einem reichen Bauern, erlaubte. Der Bauer, der recht wohl darum wußte, sah der Sache eine Zeit lang ruhig zu; endlich aber sagte er zu dem Knechte: „Jan, ich weiß wohl, daß Du mir zuweilen Etwas wegkriegst. Ich lege Dir jährlich drei Pistolen zu, wenn Du mir die Hand daraus giebst, daß Du es nicht wieder thun willst." Worauf Jan nach einigem Besinnen antwortete: „Wi wollt 'et man lewer so laden (Wir wollen es lieber so lassen). Die meisten Diebstähle und Einbrüche geschehen nach Neujahr, um welche Zeit hauptsächlich das Schlachten der Schweine stattfindet. Von den wenigen Armen, die selber nicht schlachten, läßt sich mancher wol verleiten, bei dem Nachbar einzusteigen. Mir ist ein Fall bekannt, wo ein solcher Dieb, nachdem er sich den Wanst gefüllt hatte, an Ort, und Stelle sich schlafen legte und am folgenden Morgen von dem Bauer betroffen wurde. Guten Morgen! rief ihn der Bauer an. Guten Morgen! erwiderte der Andere gemüthlich, raffte sich auf und ging unangefochten von bannen. Arndt sagt in seinem Versuche einer vergleichenden Völkergeschichte: „Im Nordwesten Deutschlands, wo sich oft dicke Nebel lagern und die bösen, na߬ kalten Seewinde wehen, muß sich eine gewisse natürliche und klimatische Schlaff¬ heit und Trägheit einstellen. So ist es in der That, und' eine gewisse dumpfe Redlichkeit und Faulheit des Daseins würde endlich die Lust und Kraft des Lebens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/506>, abgerufen am 24.07.2024.