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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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niedermachen/wenn das Meer und seine kühnen kräftigen Reize, Arbeiten und
Geschäfte, das Menschengeschlecht nicht aufschüttelten und ihm den Stab des
Gemüths und den Flug der Phantasie gäben, welchen die Anderen durch die
Berge bekommen." Diesen treffenden Worten wird Jeder, der den Norden
Deutschlands kennt, beistimmen. Es ist, als ob die Bewohner jener Länder es
fühlten, daß eine Heilung ihrer Trägheit in dem Verkehr mit der See gegeben
sei: so sehr drängt sie ein mächtiger Trieb zu ihr sur. Ich habe nie eine grö¬
ßere Wandlung mit Menschen vor sich gehen sehen, als mit den jungen Olden¬
burgern, die sich dem Seeleben gewidmet hatten. Blühend, breitschulterig, von
Gesundheit und Kraft strotzend und dabei flink und aufgeweckt, kamen sie wieder,
nachdem sie ein oder ein Paar Jahre in der Matrosenjacke gesteckt hatten, der
eigenen Mutter kaum erkennbar. Mancher, der mit hektischer Anlage fortge¬
gangen war, kehrte davon befreit zurück, indeß seine Geschwister dahinsiechten.

Ans allen Ständen widmen sich junge Leute dem Seeleben und "werden
Schiffer", wie sie sagen. Die Söhne angesehener Familien durchlaufen die ge¬
wöhnlichen Stufen des Dienstes auf den Kauffahrteischiffen vom Schiffsjungen,
Leichtmatrosen, schweren Matrosen bis zum Steuermann und Capitain. Um die
zwei letzten Stufen zu erreichen, bedarf es der Prüfungen, wazu sie sich im
Winter, wenn die Schiffahrt ruht, auf nautischen Schulen vorbereiten.

Auf das kleine Herzogthum Oldenburg kommen nach statistischen Nachrichten
vom vorigen Jahre 210 Schiffe mit 18000 Tonnen (die Tonne zu 2000 Pfd.)
Gehalt. Es sind darunter keine Dreimaster; denn zu so großen Unternehmun¬
gen fehlen dem Oldenburger die Mittel und der Speculationsgeist. Viele sehr
wackere Schiffscapitaiue aus dem Oldenburgischen führen die stolzen Fregatten der
Bremer Kaufherren durch alle Meere der Welt. Obschon sie den größten Theil
des Jahres auf dem Wasser schweben, oder in den verschiedensten Häfen der
alten und neuen Welt liegen, so sind sie doch meist verheirathet und besitzen ein
Häuschen in Brake, Elsfleth oder sonstwo an der Weser, wo sie den Winter,
so lange das Eis ans der Weser zu laufen verbietet, in Mitten ihrer Familie
zubringen. Immer den Hut auf dem Kopfe, das jüngste Kind auf dem Knie
schaukelnd -- und man sagt, daß sie jedesmal einen neuen Sprößling treffen, so
oft sie wiederkehren -- sitzen sie dann am Herd, von den Wundern fremder'
Welten erzählend, müßig, wie alle Schiffer zu Hause. Es sind rauhe, aber
gerade und biedere Menschen, von sehr schlichter Erscheinung, mitunter anch etwas
barock, wie jener alte Schiffscapitain von Atems, der einen dunkblaueu Rock
vom greulichsten Schnitte Jahr aus Jahr ein trug, um, wie er sagte, seinen
Schneider zu strafen, indem er die Leute von ihm abschreckte. --

Man giebt die bösen Buben, an denen alle Kunst der Erziehung und des
Unterrichts sich erfolglos zeigt, zur See, und mancher Capitain ist mit oder ohne
Anwendung des Tauendes zu den glücklichsten pädagogischen Resultaten gelangt.


niedermachen/wenn das Meer und seine kühnen kräftigen Reize, Arbeiten und
Geschäfte, das Menschengeschlecht nicht aufschüttelten und ihm den Stab des
Gemüths und den Flug der Phantasie gäben, welchen die Anderen durch die
Berge bekommen." Diesen treffenden Worten wird Jeder, der den Norden
Deutschlands kennt, beistimmen. Es ist, als ob die Bewohner jener Länder es
fühlten, daß eine Heilung ihrer Trägheit in dem Verkehr mit der See gegeben
sei: so sehr drängt sie ein mächtiger Trieb zu ihr sur. Ich habe nie eine grö¬
ßere Wandlung mit Menschen vor sich gehen sehen, als mit den jungen Olden¬
burgern, die sich dem Seeleben gewidmet hatten. Blühend, breitschulterig, von
Gesundheit und Kraft strotzend und dabei flink und aufgeweckt, kamen sie wieder,
nachdem sie ein oder ein Paar Jahre in der Matrosenjacke gesteckt hatten, der
eigenen Mutter kaum erkennbar. Mancher, der mit hektischer Anlage fortge¬
gangen war, kehrte davon befreit zurück, indeß seine Geschwister dahinsiechten.

Ans allen Ständen widmen sich junge Leute dem Seeleben und „werden
Schiffer", wie sie sagen. Die Söhne angesehener Familien durchlaufen die ge¬
wöhnlichen Stufen des Dienstes auf den Kauffahrteischiffen vom Schiffsjungen,
Leichtmatrosen, schweren Matrosen bis zum Steuermann und Capitain. Um die
zwei letzten Stufen zu erreichen, bedarf es der Prüfungen, wazu sie sich im
Winter, wenn die Schiffahrt ruht, auf nautischen Schulen vorbereiten.

Auf das kleine Herzogthum Oldenburg kommen nach statistischen Nachrichten
vom vorigen Jahre 210 Schiffe mit 18000 Tonnen (die Tonne zu 2000 Pfd.)
Gehalt. Es sind darunter keine Dreimaster; denn zu so großen Unternehmun¬
gen fehlen dem Oldenburger die Mittel und der Speculationsgeist. Viele sehr
wackere Schiffscapitaiue aus dem Oldenburgischen führen die stolzen Fregatten der
Bremer Kaufherren durch alle Meere der Welt. Obschon sie den größten Theil
des Jahres auf dem Wasser schweben, oder in den verschiedensten Häfen der
alten und neuen Welt liegen, so sind sie doch meist verheirathet und besitzen ein
Häuschen in Brake, Elsfleth oder sonstwo an der Weser, wo sie den Winter,
so lange das Eis ans der Weser zu laufen verbietet, in Mitten ihrer Familie
zubringen. Immer den Hut auf dem Kopfe, das jüngste Kind auf dem Knie
schaukelnd — und man sagt, daß sie jedesmal einen neuen Sprößling treffen, so
oft sie wiederkehren — sitzen sie dann am Herd, von den Wundern fremder'
Welten erzählend, müßig, wie alle Schiffer zu Hause. Es sind rauhe, aber
gerade und biedere Menschen, von sehr schlichter Erscheinung, mitunter anch etwas
barock, wie jener alte Schiffscapitain von Atems, der einen dunkblaueu Rock
vom greulichsten Schnitte Jahr aus Jahr ein trug, um, wie er sagte, seinen
Schneider zu strafen, indem er die Leute von ihm abschreckte. —

Man giebt die bösen Buben, an denen alle Kunst der Erziehung und des
Unterrichts sich erfolglos zeigt, zur See, und mancher Capitain ist mit oder ohne
Anwendung des Tauendes zu den glücklichsten pädagogischen Resultaten gelangt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/507>, abgerufen am 24.07.2024.