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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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möchte sich sonst in Versuchung gesetzt sehen, einige ihrer eKsvaUerg Ä'inäustrie
nach Oldenburg zu senden, um jenem noch unberührten Lande ihre Aufmerksam¬
keit zu schenken. Welche Gefühle würden bei ihnen rege werden, wenn ich ihnen
sagte, daß sogar in der Hauptstadt die meisten Kellerlnt'en ohne Gitter und
Laden sind; daß viele Hausthüren, selbst in Straßen vor dem Thor, die nen
angelegt und ohne Laternen sich im Acker verlaufen, durch bloße Glasschei¬
ben ohne weitern Schutz von der Straße getrennt sind, so daß es
blos des Zusammendrückens der Scheiben bedürfte, um in den Keller oder anf
die Hausflur zu gelangen; daß anch die Fenster Nachts nicht durch äußere oder
innere Laden geschützt, sondern blos durch Papierrouleaux verdeckt werden (die,
beiläufig gesagt, von abscheulich grüner, giftiger Farbe siud); daß die Schau¬
fenster der Läden, selbst solcher, die einen werthvollen Inhalt in sich hegen, zum
Theil ebenfalls viae allen Schutz sind. Auch siud die meiste" Häuser und Stu-
ben den Tag durch unverschlossen, und man kann, wenn sich etwa die Familie
in dem anstoßenden Garten befindet, ganze Wohnungen ungehindert durchwan¬
dern, ohne anf eine Seele zu stoßen.. Nimmt dann ein fremder Handwerks¬
bursche, was sich bisweilen denn doch ereignet, ein Paletot von der Hausflur
mit, so ist große Entrüstung über diesen Mißbrauch des öffentlichen Vertrauens;
aber mau verharrt nach wie vor in seiner behaglichen Sorglosigkeit. Ein Nach¬
bar von mir pflegte halbe Tage lang sein Beinkleid ans dem Geländer der
Außentreppe seines Hauses, wie einen Blumenstock, zu sonnen; alle Vorüber¬
gehenden sahen das nah vor ihren Augen ausgestellte gabelförmige Kleidungs¬
stück; niemals hat sich aber, eine frevelnde Hand darnach ausgestreckt.

Die oldenburger Händler lassen nicht mit sich markten. Die Weiber, welche
Gemüse, Hühner, Fische und andere Lebensmittel von Haus zu Haus tragen
(daher es auch, in Ermangelung eines täglichen oder mehrmals in der Woche
sich wiederholenden Marktes, häufig von dem bloßen Zufall abhängt, ob die
Hausfrau dieses oder jenes gewöhnliche Lebensmittel sich verschaffen kann) nennen
gewöhnlich einfach den Gegenstand und den Preis der Waare, ohne sich irgend
auf Lobeserhebungen derselben oder auf sonstige Uebcredungskünste einzulassen;
worauf von Seiten der Hausfrau oder der Köchin ein schlichtes Jo oder Nee
erfolgt; nein würde gar nicht verstanden werden.

Diese naive Redlichkeit, die, nach meiner Erfahrung, nur den stadtolden-
burger Torfbauern und, wie wir unten sehen werden, in geringen Dingen den
Stadtdienstmädchen nicht nachgerühmt werden kann, geht sonst durch alle Stande.
Obgleich der Qldenburger keine Neigung zum Militairstande hat, so versucht er
es doch fast nie, den Necrutirungsarzt zu bestechen, was anderwärts so häufig
geschieht. Bietet er ihm einmal ein Geschenk, so thut er es mehr in der Ab¬
sicht, für den wirklichen Schaden, den er bat, die Aufmerksamkeit des Arztes zu
spannen, und seine, wie er denkt, besondere Mühe zu lohnen.


möchte sich sonst in Versuchung gesetzt sehen, einige ihrer eKsvaUerg Ä'inäustrie
nach Oldenburg zu senden, um jenem noch unberührten Lande ihre Aufmerksam¬
keit zu schenken. Welche Gefühle würden bei ihnen rege werden, wenn ich ihnen
sagte, daß sogar in der Hauptstadt die meisten Kellerlnt'en ohne Gitter und
Laden sind; daß viele Hausthüren, selbst in Straßen vor dem Thor, die nen
angelegt und ohne Laternen sich im Acker verlaufen, durch bloße Glasschei¬
ben ohne weitern Schutz von der Straße getrennt sind, so daß es
blos des Zusammendrückens der Scheiben bedürfte, um in den Keller oder anf
die Hausflur zu gelangen; daß anch die Fenster Nachts nicht durch äußere oder
innere Laden geschützt, sondern blos durch Papierrouleaux verdeckt werden (die,
beiläufig gesagt, von abscheulich grüner, giftiger Farbe siud); daß die Schau¬
fenster der Läden, selbst solcher, die einen werthvollen Inhalt in sich hegen, zum
Theil ebenfalls viae allen Schutz sind. Auch siud die meiste» Häuser und Stu-
ben den Tag durch unverschlossen, und man kann, wenn sich etwa die Familie
in dem anstoßenden Garten befindet, ganze Wohnungen ungehindert durchwan¬
dern, ohne anf eine Seele zu stoßen.. Nimmt dann ein fremder Handwerks¬
bursche, was sich bisweilen denn doch ereignet, ein Paletot von der Hausflur
mit, so ist große Entrüstung über diesen Mißbrauch des öffentlichen Vertrauens;
aber mau verharrt nach wie vor in seiner behaglichen Sorglosigkeit. Ein Nach¬
bar von mir pflegte halbe Tage lang sein Beinkleid ans dem Geländer der
Außentreppe seines Hauses, wie einen Blumenstock, zu sonnen; alle Vorüber¬
gehenden sahen das nah vor ihren Augen ausgestellte gabelförmige Kleidungs¬
stück; niemals hat sich aber, eine frevelnde Hand darnach ausgestreckt.

Die oldenburger Händler lassen nicht mit sich markten. Die Weiber, welche
Gemüse, Hühner, Fische und andere Lebensmittel von Haus zu Haus tragen
(daher es auch, in Ermangelung eines täglichen oder mehrmals in der Woche
sich wiederholenden Marktes, häufig von dem bloßen Zufall abhängt, ob die
Hausfrau dieses oder jenes gewöhnliche Lebensmittel sich verschaffen kann) nennen
gewöhnlich einfach den Gegenstand und den Preis der Waare, ohne sich irgend
auf Lobeserhebungen derselben oder auf sonstige Uebcredungskünste einzulassen;
worauf von Seiten der Hausfrau oder der Köchin ein schlichtes Jo oder Nee
erfolgt; nein würde gar nicht verstanden werden.

Diese naive Redlichkeit, die, nach meiner Erfahrung, nur den stadtolden-
burger Torfbauern und, wie wir unten sehen werden, in geringen Dingen den
Stadtdienstmädchen nicht nachgerühmt werden kann, geht sonst durch alle Stande.
Obgleich der Qldenburger keine Neigung zum Militairstande hat, so versucht er
es doch fast nie, den Necrutirungsarzt zu bestechen, was anderwärts so häufig
geschieht. Bietet er ihm einmal ein Geschenk, so thut er es mehr in der Ab¬
sicht, für den wirklichen Schaden, den er bat, die Aufmerksamkeit des Arztes zu
spannen, und seine, wie er denkt, besondere Mühe zu lohnen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/505>, abgerufen am 24.07.2024.