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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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über trat. Bettine ist keineswegs immer mit ihm zufrieden, sie macht ihm in
Beziehung auf seine Dichtungen die heftigsten und zum Theil sehr gegründete
Vorwürfe, wenn sie auch zuweilen Unbilliges verlangt. Aber in keinem Augen¬
blick hört sie auf, ihn, ganz wie er ist, zu lieben und zu bewundern, und das
ist wol auch der richtige Ausdruck sür das Verhältniß der Nation zu Goethe. Wir '
müssen ihn lieben, denn er ist unser Fleisch und Blut, er ist der ideale Ausdruck
unsrer eigenen Natur, und wenn wir mit ihm rechten, so geschieht das auf keine
andere Weise, als wie wir in uns selbst das Schiefe und Verkehrte bekämpfen.

Der Briefwechsel hat einen seltnen Erfolg gehabt, und man hat ihn auch
wol überschätzt. Ein wahres Kunstwerk ist er doch nicht, weil künstlerische Ge¬
bilde sich von der Subjectivität des Verfassers ablösen und frei in die Welt
heraustreten müssen. Aber es war wieder die Zeit gekommen, die ganz der
Jugendzeit Bettinens, der Zeit der Schleiermacher'schen Monologe, der Wacken-
roder'schen Herzensergießungen, der Novalis'schen Fragmente entsprach. Mau
hatte keine Hoffnung mehr für das Objective, für das Wirkliche, man ließ sich
an dem Ausdruck einer interessanten Persönlichkeit genügen. In der Wissenschaft
löste man die Realität in Mythen 'auf, in der Kunst ließ man die Bestimmtheit
der endlichen Gestalten in ein verschwommenes Traumleben untergehen.

Eine Reihe schöner Seelen drängte sich um Bettine und verehrte in ihr die
Prophetin einer neuen Zeit. Ans den jungen Leuten, die damals ihre Schule
bildeten, ist bis jetzt noch nicht viel Bedeutendes geworden, aber ans sie selbst,
hatte diese Stellung einen nachtheiligen Einfluß. Sie legte ihren Gedanken,
ihren Empfindungen und selbst ihren Einfällen eine Wichtigkeit bei, die etwas
Unweiblicheres hatte, als selbst ihre frühere reflectirte Kindlichkeit. Sie legte
sich daraus, in der Religion wie in der Politik etwas Neues produciren zu
wollen; sie machte den Cultus interessanter Persönlichkeiten, der unter den
feinen Berliner Damen damals auf eine bedenkliche Weise einriß, auf das Red¬
lichste mit, und sie suchte in jedem ihrer neuen Werke einen unmittelbaren Ein¬
fluß. Wir wollen aus diese Werke hier noch in Kurzem eingehn.

Zunächst verband sie sich mit den Gebrüdern Grimm zur Herausgabe der sämmt¬
licher Werke ihres verstorbenen Mannes, Ludwig Achin von Arnim. Daß sie densel¬
ben die vollste Anerkennung zu Theil werden ließ, liegt in der Natur der Sache, auch
wenn diese Anerkennung etwas über das Maß hinausging. Aber über das Verhältniß
der beiden Persönlichkeiten finden wir keinen rechten Schlüssel. Arnim's Haupt¬
verdienst ist die große Virtuosität, mit der er einzelne Anschauungen, einzelne Ge¬
stalten, einzelne Begebenheiten, einzelne Gedanken so objectiv und plastisch heraus¬
treibt, daß seine eigene Persönlichkeit sich ganz verliert. Aus seinen Schriften
würden wir vergebens versuchen, uns ein Bild seiner Eigenthümlichkeit herzuleiten.
Bettine ist dagegen durchaus subjectiv; wir sehen in allen ihren Schriften nur
ihre Persönlichkeit, alles Uebrige ist Staffage. Bei Arnim wird es uns schwer,


über trat. Bettine ist keineswegs immer mit ihm zufrieden, sie macht ihm in
Beziehung auf seine Dichtungen die heftigsten und zum Theil sehr gegründete
Vorwürfe, wenn sie auch zuweilen Unbilliges verlangt. Aber in keinem Augen¬
blick hört sie auf, ihn, ganz wie er ist, zu lieben und zu bewundern, und das
ist wol auch der richtige Ausdruck sür das Verhältniß der Nation zu Goethe. Wir '
müssen ihn lieben, denn er ist unser Fleisch und Blut, er ist der ideale Ausdruck
unsrer eigenen Natur, und wenn wir mit ihm rechten, so geschieht das auf keine
andere Weise, als wie wir in uns selbst das Schiefe und Verkehrte bekämpfen.

Der Briefwechsel hat einen seltnen Erfolg gehabt, und man hat ihn auch
wol überschätzt. Ein wahres Kunstwerk ist er doch nicht, weil künstlerische Ge¬
bilde sich von der Subjectivität des Verfassers ablösen und frei in die Welt
heraustreten müssen. Aber es war wieder die Zeit gekommen, die ganz der
Jugendzeit Bettinens, der Zeit der Schleiermacher'schen Monologe, der Wacken-
roder'schen Herzensergießungen, der Novalis'schen Fragmente entsprach. Mau
hatte keine Hoffnung mehr für das Objective, für das Wirkliche, man ließ sich
an dem Ausdruck einer interessanten Persönlichkeit genügen. In der Wissenschaft
löste man die Realität in Mythen 'auf, in der Kunst ließ man die Bestimmtheit
der endlichen Gestalten in ein verschwommenes Traumleben untergehen.

Eine Reihe schöner Seelen drängte sich um Bettine und verehrte in ihr die
Prophetin einer neuen Zeit. Ans den jungen Leuten, die damals ihre Schule
bildeten, ist bis jetzt noch nicht viel Bedeutendes geworden, aber ans sie selbst,
hatte diese Stellung einen nachtheiligen Einfluß. Sie legte ihren Gedanken,
ihren Empfindungen und selbst ihren Einfällen eine Wichtigkeit bei, die etwas
Unweiblicheres hatte, als selbst ihre frühere reflectirte Kindlichkeit. Sie legte
sich daraus, in der Religion wie in der Politik etwas Neues produciren zu
wollen; sie machte den Cultus interessanter Persönlichkeiten, der unter den
feinen Berliner Damen damals auf eine bedenkliche Weise einriß, auf das Red¬
lichste mit, und sie suchte in jedem ihrer neuen Werke einen unmittelbaren Ein¬
fluß. Wir wollen aus diese Werke hier noch in Kurzem eingehn.

Zunächst verband sie sich mit den Gebrüdern Grimm zur Herausgabe der sämmt¬
licher Werke ihres verstorbenen Mannes, Ludwig Achin von Arnim. Daß sie densel¬
ben die vollste Anerkennung zu Theil werden ließ, liegt in der Natur der Sache, auch
wenn diese Anerkennung etwas über das Maß hinausging. Aber über das Verhältniß
der beiden Persönlichkeiten finden wir keinen rechten Schlüssel. Arnim's Haupt¬
verdienst ist die große Virtuosität, mit der er einzelne Anschauungen, einzelne Ge¬
stalten, einzelne Begebenheiten, einzelne Gedanken so objectiv und plastisch heraus¬
treibt, daß seine eigene Persönlichkeit sich ganz verliert. Aus seinen Schriften
würden wir vergebens versuchen, uns ein Bild seiner Eigenthümlichkeit herzuleiten.
Bettine ist dagegen durchaus subjectiv; wir sehen in allen ihren Schriften nur
ihre Persönlichkeit, alles Uebrige ist Staffage. Bei Arnim wird es uns schwer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/498>, abgerufen am 24.07.2024.