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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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den Grundgedanken, die Grundempfindung herauszufühlen, und das ist wol
neben seiner barocken Form der Hauptgrund, warum seine Schriften so ganz
unpopulair geblieben sind. Denn das Publicum will mit Recht wissen, woher und
wohin; es ist mit den buntesten Bildern nicht zufrieden, wenn es nicht wenigstens
ungefähr den Zweck errathen kann, aus dem diese Bilder zusammengestellt werden.
Bei Bettiue dagegen ist die leitende Intention überall sehr klar, und es fehlt
nur die Ausführung. Vielleicht haben sich diese beiden seltsamen Charaktere im
Leben angemessen ergänzt; ein künstlerisches Verhältniß findet nicht statt.

Im Jahre 1840 gab Bettine einen neuen Briefwechsel heraus, mit dem
Stistsfräulein Günderode, deren trauriges Ende in dem Goethe'schen Briefwechsel
eine sehr anziehende und rührende Episode gebildet hatte. Dieser neue Brief¬
wechsel ist in die Jahre 1801--1806 verlegt, und er enthält auch wol viele
wirkliche Reminiscenzen. Am liebenswürdigsten ist Bettine, wenn sie sich ganz
in ihrer Natur gehen läßt, als verzogenes anmuthiges Kind, welches sich das
Recht beilegt, nach allen Seiten hin ungezogen zu sein, das aber 'auch nach allen
Seiten hin schmeichelt, versöhnt und coquettirt. Aber das ewige Springen über
Tische und Stühle, das ewige Klettern auf die höchsten Pappeln wird um so
langweiliger, da diese Eulenspiegeleien in einer Art religiösem Licht dargestellt
werden sollen. Sie erfindet eine eigene "Schwebereligion", eine Religion, deren
Mysterien ebeu in jenem Klettern gefeiert werden. "Der Tanz", sagt sie einmal,
"ist der Schlüssel meiner Ahnung von der anderen Welt". Sie macht sich Ge¬
danken über die Weltseele, "Gott ist die Leidenschaft," bemerkt sie gelegentlich, und
diesen Einfall hat die jungdeutsche Literatur eben so ausgebeutet, wie ihre Theorie
vom heiligen Wahnsinn. Sie ist niemals im Stande, einen bestimmten Gedanken
ganz zu verfolgen, von Gott kommt sie ans die Studenten, und von dem Gebet
auf's Klettern. "Man braucht mich nicht zu beschuldigen," sagt sie deshalb, "daß
ich Alles durch einander werfe und von Einem zum Andren springe; es giebt
Etwas, das Andere gar nicht fassen, von dem springe ich eben nicht ab, mein
Geist bildet sich selbst seine Uebergänge." Solche und ähnliche Reflexionen sind
offenbar in der spätern Zeit eingeschoben, wo sie bereits eine berühmte Frau war,
und wo das Publicum sich viel mit ihr beschäftigte. Jenes Etwas ist aber nichts
Anderes, als der Cultus der eigenen Persönlichkeit, der sich zuweilen zu einer
vollständigen Verzückung steigert. "Ich wundere mich über meine Gedanken!
Dinge, über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, stehen hell und deut¬
lich in meinem Geist." So hat sie einmal, und wol im besten Glauben, be¬
hauptet, sie hätte die in der That sehr artig und geistvoll erdachte Zeichnung zu
Goethe's Denkmal, die das Titelkupfer zu ihrem Briefwechsel mit Goethe bildet,
erfunden, ohne je einem Unterricht im Zeichnen gehabt zu haben. Es ist unglaub¬
lich, was man sich selber vorlügt, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat,
den Traum mit der Wirklichkeit zu vermischen.

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den Grundgedanken, die Grundempfindung herauszufühlen, und das ist wol
neben seiner barocken Form der Hauptgrund, warum seine Schriften so ganz
unpopulair geblieben sind. Denn das Publicum will mit Recht wissen, woher und
wohin; es ist mit den buntesten Bildern nicht zufrieden, wenn es nicht wenigstens
ungefähr den Zweck errathen kann, aus dem diese Bilder zusammengestellt werden.
Bei Bettiue dagegen ist die leitende Intention überall sehr klar, und es fehlt
nur die Ausführung. Vielleicht haben sich diese beiden seltsamen Charaktere im
Leben angemessen ergänzt; ein künstlerisches Verhältniß findet nicht statt.

Im Jahre 1840 gab Bettine einen neuen Briefwechsel heraus, mit dem
Stistsfräulein Günderode, deren trauriges Ende in dem Goethe'schen Briefwechsel
eine sehr anziehende und rührende Episode gebildet hatte. Dieser neue Brief¬
wechsel ist in die Jahre 1801—1806 verlegt, und er enthält auch wol viele
wirkliche Reminiscenzen. Am liebenswürdigsten ist Bettine, wenn sie sich ganz
in ihrer Natur gehen läßt, als verzogenes anmuthiges Kind, welches sich das
Recht beilegt, nach allen Seiten hin ungezogen zu sein, das aber 'auch nach allen
Seiten hin schmeichelt, versöhnt und coquettirt. Aber das ewige Springen über
Tische und Stühle, das ewige Klettern auf die höchsten Pappeln wird um so
langweiliger, da diese Eulenspiegeleien in einer Art religiösem Licht dargestellt
werden sollen. Sie erfindet eine eigene „Schwebereligion", eine Religion, deren
Mysterien ebeu in jenem Klettern gefeiert werden. „Der Tanz", sagt sie einmal,
„ist der Schlüssel meiner Ahnung von der anderen Welt". Sie macht sich Ge¬
danken über die Weltseele, „Gott ist die Leidenschaft," bemerkt sie gelegentlich, und
diesen Einfall hat die jungdeutsche Literatur eben so ausgebeutet, wie ihre Theorie
vom heiligen Wahnsinn. Sie ist niemals im Stande, einen bestimmten Gedanken
ganz zu verfolgen, von Gott kommt sie ans die Studenten, und von dem Gebet
auf's Klettern. „Man braucht mich nicht zu beschuldigen," sagt sie deshalb, „daß
ich Alles durch einander werfe und von Einem zum Andren springe; es giebt
Etwas, das Andere gar nicht fassen, von dem springe ich eben nicht ab, mein
Geist bildet sich selbst seine Uebergänge." Solche und ähnliche Reflexionen sind
offenbar in der spätern Zeit eingeschoben, wo sie bereits eine berühmte Frau war,
und wo das Publicum sich viel mit ihr beschäftigte. Jenes Etwas ist aber nichts
Anderes, als der Cultus der eigenen Persönlichkeit, der sich zuweilen zu einer
vollständigen Verzückung steigert. „Ich wundere mich über meine Gedanken!
Dinge, über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, stehen hell und deut¬
lich in meinem Geist." So hat sie einmal, und wol im besten Glauben, be¬
hauptet, sie hätte die in der That sehr artig und geistvoll erdachte Zeichnung zu
Goethe's Denkmal, die das Titelkupfer zu ihrem Briefwechsel mit Goethe bildet,
erfunden, ohne je einem Unterricht im Zeichnen gehabt zu haben. Es ist unglaub¬
lich, was man sich selber vorlügt, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat,
den Traum mit der Wirklichkeit zu vermischen.


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[0499] den Grundgedanken, die Grundempfindung herauszufühlen, und das ist wol neben seiner barocken Form der Hauptgrund, warum seine Schriften so ganz unpopulair geblieben sind. Denn das Publicum will mit Recht wissen, woher und wohin; es ist mit den buntesten Bildern nicht zufrieden, wenn es nicht wenigstens ungefähr den Zweck errathen kann, aus dem diese Bilder zusammengestellt werden. Bei Bettiue dagegen ist die leitende Intention überall sehr klar, und es fehlt nur die Ausführung. Vielleicht haben sich diese beiden seltsamen Charaktere im Leben angemessen ergänzt; ein künstlerisches Verhältniß findet nicht statt. Im Jahre 1840 gab Bettine einen neuen Briefwechsel heraus, mit dem Stistsfräulein Günderode, deren trauriges Ende in dem Goethe'schen Briefwechsel eine sehr anziehende und rührende Episode gebildet hatte. Dieser neue Brief¬ wechsel ist in die Jahre 1801—1806 verlegt, und er enthält auch wol viele wirkliche Reminiscenzen. Am liebenswürdigsten ist Bettine, wenn sie sich ganz in ihrer Natur gehen läßt, als verzogenes anmuthiges Kind, welches sich das Recht beilegt, nach allen Seiten hin ungezogen zu sein, das aber 'auch nach allen Seiten hin schmeichelt, versöhnt und coquettirt. Aber das ewige Springen über Tische und Stühle, das ewige Klettern auf die höchsten Pappeln wird um so langweiliger, da diese Eulenspiegeleien in einer Art religiösem Licht dargestellt werden sollen. Sie erfindet eine eigene „Schwebereligion", eine Religion, deren Mysterien ebeu in jenem Klettern gefeiert werden. „Der Tanz", sagt sie einmal, „ist der Schlüssel meiner Ahnung von der anderen Welt". Sie macht sich Ge¬ danken über die Weltseele, „Gott ist die Leidenschaft," bemerkt sie gelegentlich, und diesen Einfall hat die jungdeutsche Literatur eben so ausgebeutet, wie ihre Theorie vom heiligen Wahnsinn. Sie ist niemals im Stande, einen bestimmten Gedanken ganz zu verfolgen, von Gott kommt sie ans die Studenten, und von dem Gebet auf's Klettern. „Man braucht mich nicht zu beschuldigen," sagt sie deshalb, „daß ich Alles durch einander werfe und von Einem zum Andren springe; es giebt Etwas, das Andere gar nicht fassen, von dem springe ich eben nicht ab, mein Geist bildet sich selbst seine Uebergänge." Solche und ähnliche Reflexionen sind offenbar in der spätern Zeit eingeschoben, wo sie bereits eine berühmte Frau war, und wo das Publicum sich viel mit ihr beschäftigte. Jenes Etwas ist aber nichts Anderes, als der Cultus der eigenen Persönlichkeit, der sich zuweilen zu einer vollständigen Verzückung steigert. „Ich wundere mich über meine Gedanken! Dinge, über die ich nie etwas erfahren, die ich nie gelernt, stehen hell und deut¬ lich in meinem Geist." So hat sie einmal, und wol im besten Glauben, be¬ hauptet, sie hätte die in der That sehr artig und geistvoll erdachte Zeichnung zu Goethe's Denkmal, die das Titelkupfer zu ihrem Briefwechsel mit Goethe bildet, erfunden, ohne je einem Unterricht im Zeichnen gehabt zu haben. Es ist unglaub¬ lich, was man sich selber vorlügt, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, den Traum mit der Wirklichkeit zu vermischen. /«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/499>, abgerufen am 24.07.2024.