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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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kam, wo so viel Raum für Romantik, so wenig für Kornfelder ist, kehrte er
stracks um, und spricht seitdem mit wahrem Ingrimm von der Heimath der
Lurlei. Aber nicht allem der Ungebildete oder Halbgebildete zeigt, wie vielleicht
auch anderswo, diese Gleichgiltigkeit. Wenn die Stadtoldenburgcr vor's Thor
gehen, so ist es fast nie ein 'eigentliches Lustwandeln, sondern sie ziehen aus, um
die Kegelbahn oder ein Kaffeehaus zu besuchen, oder sie laufen um der Gesund¬
heit willen, was besonders von den Juristen gilt. Noch mehr: Ich kenne einen
feinfühlenden Kunstfreund und Sammler, der die Schönheit des Gebirgs voll¬
ständig in Abrede stellt. Ueberhaupt habe ich schon oft Menschen, deren Heimath
die Ebene war und die im Gebirge gewohnt hatten, klagen hören, das Gebirge
habe wie ein Alp aus ihnen gelastet. -- Daß die gebildeten Oldenburger dennoch
gern und viel reisen, ist vielleicht mehr ein Bedürfniß nach größerem Weltverkehr.

Sinn für Naturschönheit im Kleinen offenbart der Oldenburger jedoch, so
gut wie der Holländer, in seiner außerordentlichen Liebe für Blumen, wenn er
auch in der Blumenzucht und namentlich in der Blumenindustrie weit gegen diesen
zurücksteht. Die Kinder Flora's werden von ihm nicht allein in sehr reinlich
und nett gehaltenen Gärtchen, die, wo es irgend angeht, das Haus umgeben,
gepflanzt, sondern meist sind auch alle Fenstergesimse von oben bis unten damit
bedeckt, das Küchenfenster etwa ausgenommen, und auch das nicht einmal; denn
das Küchenmädchen zieht sich auch ein Heliotrop und ein Myrthenbänmchen. Da
die Fensterbänke breit sind, und, der heftigen Winde wegen, die Fenster alle
nach Außen schlagen, so ist ein bequemer Raum zu diesem Zimmerschmuck gegeben.
Wäre es nur keine förmliche Blumenbclagernng, welcher die blumenselige Haus¬
frau alle Zimmer unterwirft; denn nur sehr selbstständige Ehemänner halten sich
ein Fenster in ihrer ArbcitLstnbe frei.

Diese Blumenliebe erstreckt sich von den reichsten Häusern der Städte bis zur
ärmsten Hütte des Tagelöhners. Nicht ohne Rührung gedenk' ich eines Häus¬
chens in einer Vorstadt Oldenburgs, an dem mich meine Spaziergänge oft vor¬
überführten. Der ganze Bau war nicht größer als die Wohnstube eines geringen
Handwerkers, und diente, ohne Zwischenwände, als Wohnstube, Schlafkammer
und Küche zugleich. Ein einziges Fenster gab dem engen Raume Licht; aber selbst
dieses war, trotz seiner Kleinheit, dicht mit Blumen besetzt und mit einem kleinen
weißen Vorhange, geschmückt.

Hat der Oldenburger nicht die poetische Ader des Schwaben, so zeichnet ihn
eine andere' Eigenschaft aus, die dem Schwaben abgeht: er ist witzig. Es ist
dies "der langsame Spaß und die'fvrtspielende Ironie", die Arndt einen hervor¬
stechenden Zug des Niedersachsen nennt, und der anch in dem niederdeutschen
Reineke Fuchs ein Denkmaal gesetzt ist. Kurzen treffenden Antworten, wie man
sie den Spartanern nachrühmte, wird man in diesem Lande leicht begegnen, ja,
es giebt Witzbolde, wie der Förster Frerichs, welche um dieser Eigenschaft willen


kam, wo so viel Raum für Romantik, so wenig für Kornfelder ist, kehrte er
stracks um, und spricht seitdem mit wahrem Ingrimm von der Heimath der
Lurlei. Aber nicht allem der Ungebildete oder Halbgebildete zeigt, wie vielleicht
auch anderswo, diese Gleichgiltigkeit. Wenn die Stadtoldenburgcr vor's Thor
gehen, so ist es fast nie ein 'eigentliches Lustwandeln, sondern sie ziehen aus, um
die Kegelbahn oder ein Kaffeehaus zu besuchen, oder sie laufen um der Gesund¬
heit willen, was besonders von den Juristen gilt. Noch mehr: Ich kenne einen
feinfühlenden Kunstfreund und Sammler, der die Schönheit des Gebirgs voll¬
ständig in Abrede stellt. Ueberhaupt habe ich schon oft Menschen, deren Heimath
die Ebene war und die im Gebirge gewohnt hatten, klagen hören, das Gebirge
habe wie ein Alp aus ihnen gelastet. — Daß die gebildeten Oldenburger dennoch
gern und viel reisen, ist vielleicht mehr ein Bedürfniß nach größerem Weltverkehr.

Sinn für Naturschönheit im Kleinen offenbart der Oldenburger jedoch, so
gut wie der Holländer, in seiner außerordentlichen Liebe für Blumen, wenn er
auch in der Blumenzucht und namentlich in der Blumenindustrie weit gegen diesen
zurücksteht. Die Kinder Flora's werden von ihm nicht allein in sehr reinlich
und nett gehaltenen Gärtchen, die, wo es irgend angeht, das Haus umgeben,
gepflanzt, sondern meist sind auch alle Fenstergesimse von oben bis unten damit
bedeckt, das Küchenfenster etwa ausgenommen, und auch das nicht einmal; denn
das Küchenmädchen zieht sich auch ein Heliotrop und ein Myrthenbänmchen. Da
die Fensterbänke breit sind, und, der heftigen Winde wegen, die Fenster alle
nach Außen schlagen, so ist ein bequemer Raum zu diesem Zimmerschmuck gegeben.
Wäre es nur keine förmliche Blumenbclagernng, welcher die blumenselige Haus¬
frau alle Zimmer unterwirft; denn nur sehr selbstständige Ehemänner halten sich
ein Fenster in ihrer ArbcitLstnbe frei.

Diese Blumenliebe erstreckt sich von den reichsten Häusern der Städte bis zur
ärmsten Hütte des Tagelöhners. Nicht ohne Rührung gedenk' ich eines Häus¬
chens in einer Vorstadt Oldenburgs, an dem mich meine Spaziergänge oft vor¬
überführten. Der ganze Bau war nicht größer als die Wohnstube eines geringen
Handwerkers, und diente, ohne Zwischenwände, als Wohnstube, Schlafkammer
und Küche zugleich. Ein einziges Fenster gab dem engen Raume Licht; aber selbst
dieses war, trotz seiner Kleinheit, dicht mit Blumen besetzt und mit einem kleinen
weißen Vorhange, geschmückt.

Hat der Oldenburger nicht die poetische Ader des Schwaben, so zeichnet ihn
eine andere' Eigenschaft aus, die dem Schwaben abgeht: er ist witzig. Es ist
dies „der langsame Spaß und die'fvrtspielende Ironie", die Arndt einen hervor¬
stechenden Zug des Niedersachsen nennt, und der anch in dem niederdeutschen
Reineke Fuchs ein Denkmaal gesetzt ist. Kurzen treffenden Antworten, wie man
sie den Spartanern nachrühmte, wird man in diesem Lande leicht begegnen, ja,
es giebt Witzbolde, wie der Förster Frerichs, welche um dieser Eigenschaft willen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/475>, abgerufen am 24.07.2024.