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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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De Lüünken (Spazen) in den Fruchthoff,
De maakten väl Vcrdreet un Noth.
Tom Lüünken un er Snieder,
De füllen, als he schoot (schoß).

De Lüünken von den Hagel,
De Snieder von den Schreck,
De Lüünken in de Arfken (Erbsen),
De Snieder in den Dreck.


Es giebt Oldenburger, welche behaupten, diese Eseushammer Schneider-
Climage sei Original, die Goethe'sche Uebersetzung.

Schließlich muß ich noch bemerken, daß überall im Herzogthume die frie¬
sische Sprache bis auf geringe Neste von der niederdeutschen (altsächsischen) ver¬
drängt worden ist, so daß sich von ersterer nur noch Wörter, nicht aber Wortformen
erhalten haben. Auf der Insel Wangerooge und im Saterlande (auf der West¬
seite des Herzogthums) werden zwei vom oldenburger Platt stark abweichende,
unter sich verwandte Dialekte gesprochen, die dem Altfriestschen verwandt sind.

Der Oldenburg er gehört nicht zu den deutschen Volksstämmen, die sich, wie
die Schwaben z. B., durch Reichthum der Phantasie auszeichnen. Einst theilte
mir ein auf dem Lande wohnender Kaufmann, bei dem ich zum Besuche war,
mit, daß seine Tochter ihn auf den Geburtstag mit artigen Versen beschenkt
habe. Sein Knecht, der neben uns stand, ergriff hierauf das Wort, indem er
trocken sagte: "Ja, das kann sie wol; sie hat ja nichts zu schaffen". Es
war dies eine kleine Verwechslung von Muse und Muße, die Niemandem wider¬
fahren wird, der, wenn anch nur eine leise, Ahnung von der Sache hat. Olden¬
burg ist überhaupt kein Boden für Kunst irgend einer Art, wenn auch Ausnah¬
men, wie der Maler Willers in Rom, vorkommen. Volkslieder von poetischem
Werthe giebt es wenige oder keine-- woher sollten sie auch kommen, da das
Volk nicht singt? -- und auch der Märchen- und Sagenforscher findet wenig
Ausbeute. Das Schauspiel, das nnn eine Reihe von Jahren von Seiten des
Großherzogs in der Hauptstadt gepflegt wird, zählt in seinem Personale auch
nicht einen Oldenburger, welcher der Rede werth wäre; und ich glaube nicht,
daß eine auswärtige Bühne einen auszuweisen hat.

Sinn für Naturschönheit kann naturlich auch nur in geringem Maße bei
Leuten vorhanden sein, denen so wenig Gelegenheit gegeben ist/ ihn zu üben.
Ein wohlhabender Kirchspielsvogt meiner Bekanntschaft machte vor einigen Jahren
eine Rheinreise, um neben dem Wirthe seines Dorfes, der durch jene Gegenden
gekommen war, und Abends beim Biere in seiner Gegenwart davon zu erzählen
pflegte, ebenfalls als Weitgereister auftreten zu können. Die Tasche voll von
Goldfüchsen setzte er sich in guter Gesellschaft in Bewegung; aber schon in Han¬
nover wandelte ihn das Heimweh an. Als er nun in die Felsenpartien Se. Goar's


De Lüünken (Spazen) in den Fruchthoff,
De maakten väl Vcrdreet un Noth.
Tom Lüünken un er Snieder,
De füllen, als he schoot (schoß).

De Lüünken von den Hagel,
De Snieder von den Schreck,
De Lüünken in de Arfken (Erbsen),
De Snieder in den Dreck.


Es giebt Oldenburger, welche behaupten, diese Eseushammer Schneider-
Climage sei Original, die Goethe'sche Uebersetzung.

Schließlich muß ich noch bemerken, daß überall im Herzogthume die frie¬
sische Sprache bis auf geringe Neste von der niederdeutschen (altsächsischen) ver¬
drängt worden ist, so daß sich von ersterer nur noch Wörter, nicht aber Wortformen
erhalten haben. Auf der Insel Wangerooge und im Saterlande (auf der West¬
seite des Herzogthums) werden zwei vom oldenburger Platt stark abweichende,
unter sich verwandte Dialekte gesprochen, die dem Altfriestschen verwandt sind.

Der Oldenburg er gehört nicht zu den deutschen Volksstämmen, die sich, wie
die Schwaben z. B., durch Reichthum der Phantasie auszeichnen. Einst theilte
mir ein auf dem Lande wohnender Kaufmann, bei dem ich zum Besuche war,
mit, daß seine Tochter ihn auf den Geburtstag mit artigen Versen beschenkt
habe. Sein Knecht, der neben uns stand, ergriff hierauf das Wort, indem er
trocken sagte: „Ja, das kann sie wol; sie hat ja nichts zu schaffen". Es
war dies eine kleine Verwechslung von Muse und Muße, die Niemandem wider¬
fahren wird, der, wenn anch nur eine leise, Ahnung von der Sache hat. Olden¬
burg ist überhaupt kein Boden für Kunst irgend einer Art, wenn auch Ausnah¬
men, wie der Maler Willers in Rom, vorkommen. Volkslieder von poetischem
Werthe giebt es wenige oder keine— woher sollten sie auch kommen, da das
Volk nicht singt? — und auch der Märchen- und Sagenforscher findet wenig
Ausbeute. Das Schauspiel, das nnn eine Reihe von Jahren von Seiten des
Großherzogs in der Hauptstadt gepflegt wird, zählt in seinem Personale auch
nicht einen Oldenburger, welcher der Rede werth wäre; und ich glaube nicht,
daß eine auswärtige Bühne einen auszuweisen hat.

Sinn für Naturschönheit kann naturlich auch nur in geringem Maße bei
Leuten vorhanden sein, denen so wenig Gelegenheit gegeben ist/ ihn zu üben.
Ein wohlhabender Kirchspielsvogt meiner Bekanntschaft machte vor einigen Jahren
eine Rheinreise, um neben dem Wirthe seines Dorfes, der durch jene Gegenden
gekommen war, und Abends beim Biere in seiner Gegenwart davon zu erzählen
pflegte, ebenfalls als Weitgereister auftreten zu können. Die Tasche voll von
Goldfüchsen setzte er sich in guter Gesellschaft in Bewegung; aber schon in Han¬
nover wandelte ihn das Heimweh an. Als er nun in die Felsenpartien Se. Goar's


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/474>, abgerufen am 24.07.2024.