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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Haupt an Selbstvertrauen fehlt. Dagegen ist er mit einem zähen passiven Wider¬
stande ausgerüstet, der ganz geeignet ist, einen weniger geduldigen Feind mürbe
zu machen.

Nach Allem, was bisher gesagt worden, wird man in der Mundart des
Oldcnbnrgers nichts Anmuthiges, Graziöses, schmeichelndes suchen, da er dies
selbst nicht hat. Gleich der nüchternen französischen Sprache kennt 'deshalb auch
sein Platt keine Diminutiva, während die italienische z. B. selbst ihre Adjectiva
mehrfach verkleinern, nud Diminutiva vou ihren Diminutiven bilden kann. In
dem Platt des geschmeidigern Münstcrländers treten schon gleich die Verkleine¬
rungsformen hervor.

Im Gegensatze zu dem Holländischen, welches ein Plattdeutsch ist, das sich
als Sprache fortgebildet hat, ist das, Platt, welches in Niederdeutschland von
dem Volke und, neben dem Hochdeutschen, zum Theil auch von den gebildeten
StändeM gesprochen wird, eine verwilderte oder versumpfte Mundart, die nicht
unverdient von dem Schicksale, das ste erleidet, betroffen wird, nämlich täglich
immer mehr Boden zu verlieren. Während der zwölf Jahre, die ich in der
Stadt Oldenburg verlebte, habe' ich den Gebrauch des Platts sehr zusammen¬
schrumpfen sehen; schwerer hält es in den Landstädtchen, am schwersten vielleicht
bei den zähen Jeveranern. Von Letzteren hab' ich sogar Disputationen über
die schwierigsten Sätze aus Hegel's Logik auf Platt führen hören, wobei natür¬
lich alle wissenschaftlichen Ausdrücke aus dem Hochdeutschen geborgt werden mu߬
ten, so daß sich ein solcher Discours ungefähr ausnahm, wie eine alte Jacke mit
hundert Flicken von anderem Stoff und anderer Farbe. In den Städten sind
übrigens alle Klassen, anch die Handwerker und Dienstboten, im Besitze zweier
Zungen, des Hochs und des Platts; woher es erklärbar ist, daß ihr Hochdeutsch,
als ein künstlich Erlerntes, reiner ist, als das der oberdeutschen Länder, wo Hoch¬
deutsch und Dialekt sich meist näher stehen und zusammenfließen. Eine zweite
Folge ist, daß die niederen Stände im Allgemeinen sehr orthographisch schreiben,
so daß manches Dienstmädchen in Oldenburg mancher süddeutschen Dame in dieser
Kunst -- bei den im Allgemeinen recht guten Schulen -- an die Seite gesetzt
werden kann.

Um eine Probe des oldenburger Platts zu geben, setze ich Goethe's Schnei¬
der-Courage in der Übersetzung Hieher, wie sie ein Bekannter von mir einem
Mädchen von Esenshamm (Butjadingen), das darüber weiter keine Auskunft zu
geben wußte, nachschrieb:


Puff! Ha! hört! War den knallen?

Kick (Guck)! Rüukt (Riecht) den Pulverstoff!

Dar deit de junge Jäger,

De Schutt (schießt) in den Appelhoff."


Haupt an Selbstvertrauen fehlt. Dagegen ist er mit einem zähen passiven Wider¬
stande ausgerüstet, der ganz geeignet ist, einen weniger geduldigen Feind mürbe
zu machen.

Nach Allem, was bisher gesagt worden, wird man in der Mundart des
Oldcnbnrgers nichts Anmuthiges, Graziöses, schmeichelndes suchen, da er dies
selbst nicht hat. Gleich der nüchternen französischen Sprache kennt 'deshalb auch
sein Platt keine Diminutiva, während die italienische z. B. selbst ihre Adjectiva
mehrfach verkleinern, nud Diminutiva vou ihren Diminutiven bilden kann. In
dem Platt des geschmeidigern Münstcrländers treten schon gleich die Verkleine¬
rungsformen hervor.

Im Gegensatze zu dem Holländischen, welches ein Plattdeutsch ist, das sich
als Sprache fortgebildet hat, ist das, Platt, welches in Niederdeutschland von
dem Volke und, neben dem Hochdeutschen, zum Theil auch von den gebildeten
StändeM gesprochen wird, eine verwilderte oder versumpfte Mundart, die nicht
unverdient von dem Schicksale, das ste erleidet, betroffen wird, nämlich täglich
immer mehr Boden zu verlieren. Während der zwölf Jahre, die ich in der
Stadt Oldenburg verlebte, habe' ich den Gebrauch des Platts sehr zusammen¬
schrumpfen sehen; schwerer hält es in den Landstädtchen, am schwersten vielleicht
bei den zähen Jeveranern. Von Letzteren hab' ich sogar Disputationen über
die schwierigsten Sätze aus Hegel's Logik auf Platt führen hören, wobei natür¬
lich alle wissenschaftlichen Ausdrücke aus dem Hochdeutschen geborgt werden mu߬
ten, so daß sich ein solcher Discours ungefähr ausnahm, wie eine alte Jacke mit
hundert Flicken von anderem Stoff und anderer Farbe. In den Städten sind
übrigens alle Klassen, anch die Handwerker und Dienstboten, im Besitze zweier
Zungen, des Hochs und des Platts; woher es erklärbar ist, daß ihr Hochdeutsch,
als ein künstlich Erlerntes, reiner ist, als das der oberdeutschen Länder, wo Hoch¬
deutsch und Dialekt sich meist näher stehen und zusammenfließen. Eine zweite
Folge ist, daß die niederen Stände im Allgemeinen sehr orthographisch schreiben,
so daß manches Dienstmädchen in Oldenburg mancher süddeutschen Dame in dieser
Kunst — bei den im Allgemeinen recht guten Schulen — an die Seite gesetzt
werden kann.

Um eine Probe des oldenburger Platts zu geben, setze ich Goethe's Schnei¬
der-Courage in der Übersetzung Hieher, wie sie ein Bekannter von mir einem
Mädchen von Esenshamm (Butjadingen), das darüber weiter keine Auskunft zu
geben wußte, nachschrieb:


Puff! Ha! hört! War den knallen?

Kick (Guck)! Rüukt (Riecht) den Pulverstoff!

Dar deit de junge Jäger,

De Schutt (schießt) in den Appelhoff."


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[0473] Haupt an Selbstvertrauen fehlt. Dagegen ist er mit einem zähen passiven Wider¬ stande ausgerüstet, der ganz geeignet ist, einen weniger geduldigen Feind mürbe zu machen. Nach Allem, was bisher gesagt worden, wird man in der Mundart des Oldcnbnrgers nichts Anmuthiges, Graziöses, schmeichelndes suchen, da er dies selbst nicht hat. Gleich der nüchternen französischen Sprache kennt 'deshalb auch sein Platt keine Diminutiva, während die italienische z. B. selbst ihre Adjectiva mehrfach verkleinern, nud Diminutiva vou ihren Diminutiven bilden kann. In dem Platt des geschmeidigern Münstcrländers treten schon gleich die Verkleine¬ rungsformen hervor. Im Gegensatze zu dem Holländischen, welches ein Plattdeutsch ist, das sich als Sprache fortgebildet hat, ist das, Platt, welches in Niederdeutschland von dem Volke und, neben dem Hochdeutschen, zum Theil auch von den gebildeten StändeM gesprochen wird, eine verwilderte oder versumpfte Mundart, die nicht unverdient von dem Schicksale, das ste erleidet, betroffen wird, nämlich täglich immer mehr Boden zu verlieren. Während der zwölf Jahre, die ich in der Stadt Oldenburg verlebte, habe' ich den Gebrauch des Platts sehr zusammen¬ schrumpfen sehen; schwerer hält es in den Landstädtchen, am schwersten vielleicht bei den zähen Jeveranern. Von Letzteren hab' ich sogar Disputationen über die schwierigsten Sätze aus Hegel's Logik auf Platt führen hören, wobei natür¬ lich alle wissenschaftlichen Ausdrücke aus dem Hochdeutschen geborgt werden mu߬ ten, so daß sich ein solcher Discours ungefähr ausnahm, wie eine alte Jacke mit hundert Flicken von anderem Stoff und anderer Farbe. In den Städten sind übrigens alle Klassen, anch die Handwerker und Dienstboten, im Besitze zweier Zungen, des Hochs und des Platts; woher es erklärbar ist, daß ihr Hochdeutsch, als ein künstlich Erlerntes, reiner ist, als das der oberdeutschen Länder, wo Hoch¬ deutsch und Dialekt sich meist näher stehen und zusammenfließen. Eine zweite Folge ist, daß die niederen Stände im Allgemeinen sehr orthographisch schreiben, so daß manches Dienstmädchen in Oldenburg mancher süddeutschen Dame in dieser Kunst — bei den im Allgemeinen recht guten Schulen — an die Seite gesetzt werden kann. Um eine Probe des oldenburger Platts zu geben, setze ich Goethe's Schnei¬ der-Courage in der Übersetzung Hieher, wie sie ein Bekannter von mir einem Mädchen von Esenshamm (Butjadingen), das darüber weiter keine Auskunft zu geben wußte, nachschrieb: Puff! Ha! hört! War den knallen? Kick (Guck)! Rüukt (Riecht) den Pulverstoff! Dar deit de junge Jäger, De Schutt (schießt) in den Appelhoff."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/473>, abgerufen am 24.07.2024.