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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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welche, rasch gedreht, schmuzig weiß erscheinen. Diphtonge werden natürlich als
Luxus erachtet; also Ule statt "Eule", Spiker (s scharf und spitz gesprochen, wie
in Westphalen) statt "Speicher", Tun statt "Zaun". Je großer das Phlegma, desto
gedehnter, schleppender, schlottriger und murmelnder die Sprache. So ist die Zunge
der Oldenburger weit träger als die der umwohnenden Bremer und Hannoveraner,
die im Gegentheil sehr mundfertig sind. In dem Herzogthum selbst sprechen die
Friesen, besonders die Jcveraner, das sanlste Platt. Während bei den Mittel-
und Süddeutschen, besonders im Königreich Sachsen, die Tonhöhe der Rede leb¬
haft auf und nieder steigt, wodurch leicht das sogenannte Singen entsteht, läuft
die Rede des Niederdeutschen beinahe auf einer Note fort, und wechselt um am
Schlüsse, so daß sie klang- und tonlos zugleich ist. Weit mehr Kraft und Mark ist
in dem Platt der Westphalen, Holsteiner und Mecklenburger, wie denn anch mehr
Energie in den Menschen ist.

Mit dem Englischen hat das oldenburger Platt viel Achnlichkeit-. Eine Menge
Wörter sind gemeinschaftlich; ganze Phrasen stimmen fast buchstäblich überein, wie
z. B. die Frage nach der Uhr: Wat is de Glock? Auch lernt der Oldenbur¬
ger das Englische leicht und gut, da ihm der Mund von Haus aus englisch
gerichtet ist. Mit dem Nachbar Holländer verständigt er sich ebenfalls leicht, so
daß die Hollandgänger, die dort in Arbeit stehen, ganz gut verstehen und ver¬
standen werden.

Auffallend sind die vielen Fremdwörter, namentlich die französischen, im
oldenburger Platt. Sollten sie vielleicht dnrch die Schiffer eingeschwärzt sein?
Von den Franken entlehnt sind nicht allein die zahlreichen Zeitwörter aus erer,
dem hochdeutschen leren (iren) entsprechend, wie mankeren ^anciuer), streit-
parleren (Streit und ps.rler) u. s. w., sondern auch Adjective und Substan¬
tive, wie bredal (brutal), kuntant (ecmtsnt, in der Bedeutung von gesund,
wohl; wofür anch tofreen (zufrieden), die wörtliche Uebersetzung von eontönt,
gesagt wird), Klör (couleur), Lewei (IsvLL, in der Bedeutung von Aufstand,
Einstellung der Arbeit), Plüm (Mus, in der Bedeutung von Bettfeder u. s. w.;
die Schreibfeder wird mit dem englischen Worte Peru bezeichnet), Beck (dee,
in der Bedeutung von Schnabel und Mund), Kurasche (cour^xo). Dieses "Ku¬
rasche" ist merkwürdiger Weise das einzige Wort, womit der Oldenburger das
Wort "Muth" ausdrückt; deun sein Mood heißt "Lust" oder "Geschmack". JK
ähnlicher Weise werden die Adjective "muthig", "entschlossen" durch resolut,
resolveert, also durch umgemünzte Franzosen, gegeben, wogegen ein Original¬
wörtern kein Mangel ist, die Hartnäckigkeit, Halsstarrigkeit, Eigensinn u. s. w.
ausdrücken, wie hartnackt, ballstürig, disig, egensinnig, wedderhaarig.
Es hat dies einen tiefen Sinn: der Oldenburger ist wol so beherzt und, wenn
es gilt, auch so tapfer, als ein Anderer; aber er besitzt von vorn herein nicht
jenes Vertrauen auf seiue Kräfte, das man Muth nennt, weil es ihm über-


welche, rasch gedreht, schmuzig weiß erscheinen. Diphtonge werden natürlich als
Luxus erachtet; also Ule statt „Eule", Spiker (s scharf und spitz gesprochen, wie
in Westphalen) statt „Speicher", Tun statt „Zaun". Je großer das Phlegma, desto
gedehnter, schleppender, schlottriger und murmelnder die Sprache. So ist die Zunge
der Oldenburger weit träger als die der umwohnenden Bremer und Hannoveraner,
die im Gegentheil sehr mundfertig sind. In dem Herzogthum selbst sprechen die
Friesen, besonders die Jcveraner, das sanlste Platt. Während bei den Mittel-
und Süddeutschen, besonders im Königreich Sachsen, die Tonhöhe der Rede leb¬
haft auf und nieder steigt, wodurch leicht das sogenannte Singen entsteht, läuft
die Rede des Niederdeutschen beinahe auf einer Note fort, und wechselt um am
Schlüsse, so daß sie klang- und tonlos zugleich ist. Weit mehr Kraft und Mark ist
in dem Platt der Westphalen, Holsteiner und Mecklenburger, wie denn anch mehr
Energie in den Menschen ist.

Mit dem Englischen hat das oldenburger Platt viel Achnlichkeit-. Eine Menge
Wörter sind gemeinschaftlich; ganze Phrasen stimmen fast buchstäblich überein, wie
z. B. die Frage nach der Uhr: Wat is de Glock? Auch lernt der Oldenbur¬
ger das Englische leicht und gut, da ihm der Mund von Haus aus englisch
gerichtet ist. Mit dem Nachbar Holländer verständigt er sich ebenfalls leicht, so
daß die Hollandgänger, die dort in Arbeit stehen, ganz gut verstehen und ver¬
standen werden.

Auffallend sind die vielen Fremdwörter, namentlich die französischen, im
oldenburger Platt. Sollten sie vielleicht dnrch die Schiffer eingeschwärzt sein?
Von den Franken entlehnt sind nicht allein die zahlreichen Zeitwörter aus erer,
dem hochdeutschen leren (iren) entsprechend, wie mankeren ^anciuer), streit-
parleren (Streit und ps.rler) u. s. w., sondern auch Adjective und Substan¬
tive, wie bredal (brutal), kuntant (ecmtsnt, in der Bedeutung von gesund,
wohl; wofür anch tofreen (zufrieden), die wörtliche Uebersetzung von eontönt,
gesagt wird), Klör (couleur), Lewei (IsvLL, in der Bedeutung von Aufstand,
Einstellung der Arbeit), Plüm (Mus, in der Bedeutung von Bettfeder u. s. w.;
die Schreibfeder wird mit dem englischen Worte Peru bezeichnet), Beck (dee,
in der Bedeutung von Schnabel und Mund), Kurasche (cour^xo). Dieses „Ku¬
rasche" ist merkwürdiger Weise das einzige Wort, womit der Oldenburger das
Wort „Muth" ausdrückt; deun sein Mood heißt „Lust" oder „Geschmack". JK
ähnlicher Weise werden die Adjective „muthig", „entschlossen" durch resolut,
resolveert, also durch umgemünzte Franzosen, gegeben, wogegen ein Original¬
wörtern kein Mangel ist, die Hartnäckigkeit, Halsstarrigkeit, Eigensinn u. s. w.
ausdrücken, wie hartnackt, ballstürig, disig, egensinnig, wedderhaarig.
Es hat dies einen tiefen Sinn: der Oldenburger ist wol so beherzt und, wenn
es gilt, auch so tapfer, als ein Anderer; aber er besitzt von vorn herein nicht
jenes Vertrauen auf seiue Kräfte, das man Muth nennt, weil es ihm über-


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[0472] welche, rasch gedreht, schmuzig weiß erscheinen. Diphtonge werden natürlich als Luxus erachtet; also Ule statt „Eule", Spiker (s scharf und spitz gesprochen, wie in Westphalen) statt „Speicher", Tun statt „Zaun". Je großer das Phlegma, desto gedehnter, schleppender, schlottriger und murmelnder die Sprache. So ist die Zunge der Oldenburger weit träger als die der umwohnenden Bremer und Hannoveraner, die im Gegentheil sehr mundfertig sind. In dem Herzogthum selbst sprechen die Friesen, besonders die Jcveraner, das sanlste Platt. Während bei den Mittel- und Süddeutschen, besonders im Königreich Sachsen, die Tonhöhe der Rede leb¬ haft auf und nieder steigt, wodurch leicht das sogenannte Singen entsteht, läuft die Rede des Niederdeutschen beinahe auf einer Note fort, und wechselt um am Schlüsse, so daß sie klang- und tonlos zugleich ist. Weit mehr Kraft und Mark ist in dem Platt der Westphalen, Holsteiner und Mecklenburger, wie denn anch mehr Energie in den Menschen ist. Mit dem Englischen hat das oldenburger Platt viel Achnlichkeit-. Eine Menge Wörter sind gemeinschaftlich; ganze Phrasen stimmen fast buchstäblich überein, wie z. B. die Frage nach der Uhr: Wat is de Glock? Auch lernt der Oldenbur¬ ger das Englische leicht und gut, da ihm der Mund von Haus aus englisch gerichtet ist. Mit dem Nachbar Holländer verständigt er sich ebenfalls leicht, so daß die Hollandgänger, die dort in Arbeit stehen, ganz gut verstehen und ver¬ standen werden. Auffallend sind die vielen Fremdwörter, namentlich die französischen, im oldenburger Platt. Sollten sie vielleicht dnrch die Schiffer eingeschwärzt sein? Von den Franken entlehnt sind nicht allein die zahlreichen Zeitwörter aus erer, dem hochdeutschen leren (iren) entsprechend, wie mankeren ^anciuer), streit- parleren (Streit und ps.rler) u. s. w., sondern auch Adjective und Substan¬ tive, wie bredal (brutal), kuntant (ecmtsnt, in der Bedeutung von gesund, wohl; wofür anch tofreen (zufrieden), die wörtliche Uebersetzung von eontönt, gesagt wird), Klör (couleur), Lewei (IsvLL, in der Bedeutung von Aufstand, Einstellung der Arbeit), Plüm (Mus, in der Bedeutung von Bettfeder u. s. w.; die Schreibfeder wird mit dem englischen Worte Peru bezeichnet), Beck (dee, in der Bedeutung von Schnabel und Mund), Kurasche (cour^xo). Dieses „Ku¬ rasche" ist merkwürdiger Weise das einzige Wort, womit der Oldenburger das Wort „Muth" ausdrückt; deun sein Mood heißt „Lust" oder „Geschmack". JK ähnlicher Weise werden die Adjective „muthig", „entschlossen" durch resolut, resolveert, also durch umgemünzte Franzosen, gegeben, wogegen ein Original¬ wörtern kein Mangel ist, die Hartnäckigkeit, Halsstarrigkeit, Eigensinn u. s. w. ausdrücken, wie hartnackt, ballstürig, disig, egensinnig, wedderhaarig. Es hat dies einen tiefen Sinn: der Oldenburger ist wol so beherzt und, wenn es gilt, auch so tapfer, als ein Anderer; aber er besitzt von vorn herein nicht jenes Vertrauen auf seiue Kräfte, das man Muth nennt, weil es ihm über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/472>, abgerufen am 24.07.2024.