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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Sohn zum Arzte, Etwas, was nicht viel kostet; denn es wird ja doch nicht besser."
""Ja, fällt der Kranke ein, mit mir ist's vorbei, an mich ist nicht viel mehr zu
wenden."" "Wenn unser Herr Gott doch nur bald ein Ende machen wollte,"
sagt dann wieder der naive Sohn.--- Der oldenburger Landmann zeigt über¬
haupt niM selten eine gewisse Virtuosität des Sterbens. Wenn ein zum Tode
Erkrankter dem Arzte sein wassersüchtiges Bein aus der Decke hervorstreckt, und
ihn mit heiterem Gesicht bittet, sich weiter nicht um ihn-zu bemühen; er habe
ja, wie er sehe, schon die dicken Reisestiefeln zur Fahrt angezogen, so darf das
doch wol Tapferkeit heißen? Und dergleichen Fälle sind gar nichts Seltenes.

Charakteristisch ist auch das Wort jener Landhebamme, die nicht wollte, daß
ein Beamter, dem, nach langem Harren auf Kinder, prächtige Zwillinge geboren
worden waren, dieselben in harter Winterszeit, gegen die Sitte, im Hause, statt
in der entfernten Kirche, laufen ließe. "Lassen Sie sie ja nicht im Hause laufen,
sagte sie; Sie kommen ins Gerede der Leute. Und was riskiren Sie? Sie
haben ja zwei." (He het ja cent for't Braten, eigentlich: Er hat ja eines
zum Brechen).

In dem köstlichen plattdeutschen Märchen: Dat Wettlopen twüschen.
den Hasen und den Swinegel, besiegt der Schweinigel den Hasen dadurch
im Wettlauf, daß er sich am obern, und seine ihm ganz ähnliche Frau am untern
Ende des Ackers aufstellt, und so den Hasen, der in einer Furche des Ackers
aus und nieder jagt, jedesmal glauben macht, daß er vor ihm ans Ziel gelangt
sei. Dieser Triumph der schlauen Ruhe über die rastlose Eile ist so recht aus
der Seele des Oldenburgers genommen.

Wenn ich hier ein Wort über die platte Sprache einschalte, so geschieht
es nur, um den Charakter des Oldenburgers auch von dieser Seite zu beleuchten;
sein Dialekt ist wesentlich ein Ausfluß seines Phlegmas. Wie dem Munde des
Engländers, sieht man auch seinem Munde nicht an, wenn er spricht. Nach dem
Princip der Bequemlichkeit laßt er sich nur auf Sätze, Worte, Sylben und Buch¬
staben ein, die keine Anstrengung kosten, und selbst diese werden mehr gemurmelt
als gesprochen.. Ans Pfeifer, Schneider, Schnauze, Gesellschaft macht er Piper,
Snider, Sünde, Sellschupp: dabei köunen die Organe auf der Faulbank
liegen, bleiben. Daß dabei die Konsonanten dnjzendweis über Bord fallen, ver¬
steht sich, und für's Ohr ist wahrlich kein Schade dabei. Schlimmer wird den
Vocalen mitgespielt; diese trüben sich, wie im Englischen. In "Licht" steht
das i.zwischen i und e; "Dieb" lautet beinahe Das; in "Adler" klingt der erste
Selbstlauter zwischen a und v; dabei wird dieses Wort jambisch gesprochen, so daß
der Haupttor auf die zweite Sylbe fällt. In "Anna", stehen beide a zwischen
a und o, jedoch so, daß das anlautende dem a, das auslautende dem o näher kommt.
Die Aussprache anderer Vocale ist gar nicht zu beschreiben; sie erinnern, indem
a, e, i, o, u in einen! Laut verschmelzen, an die Scheiben mit den sieben Farben,


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Sohn zum Arzte, Etwas, was nicht viel kostet; denn es wird ja doch nicht besser."
„„Ja, fällt der Kranke ein, mit mir ist's vorbei, an mich ist nicht viel mehr zu
wenden."" „Wenn unser Herr Gott doch nur bald ein Ende machen wollte,"
sagt dann wieder der naive Sohn.-— Der oldenburger Landmann zeigt über¬
haupt niM selten eine gewisse Virtuosität des Sterbens. Wenn ein zum Tode
Erkrankter dem Arzte sein wassersüchtiges Bein aus der Decke hervorstreckt, und
ihn mit heiterem Gesicht bittet, sich weiter nicht um ihn-zu bemühen; er habe
ja, wie er sehe, schon die dicken Reisestiefeln zur Fahrt angezogen, so darf das
doch wol Tapferkeit heißen? Und dergleichen Fälle sind gar nichts Seltenes.

Charakteristisch ist auch das Wort jener Landhebamme, die nicht wollte, daß
ein Beamter, dem, nach langem Harren auf Kinder, prächtige Zwillinge geboren
worden waren, dieselben in harter Winterszeit, gegen die Sitte, im Hause, statt
in der entfernten Kirche, laufen ließe. „Lassen Sie sie ja nicht im Hause laufen,
sagte sie; Sie kommen ins Gerede der Leute. Und was riskiren Sie? Sie
haben ja zwei." (He het ja cent for't Braten, eigentlich: Er hat ja eines
zum Brechen).

In dem köstlichen plattdeutschen Märchen: Dat Wettlopen twüschen.
den Hasen und den Swinegel, besiegt der Schweinigel den Hasen dadurch
im Wettlauf, daß er sich am obern, und seine ihm ganz ähnliche Frau am untern
Ende des Ackers aufstellt, und so den Hasen, der in einer Furche des Ackers
aus und nieder jagt, jedesmal glauben macht, daß er vor ihm ans Ziel gelangt
sei. Dieser Triumph der schlauen Ruhe über die rastlose Eile ist so recht aus
der Seele des Oldenburgers genommen.

Wenn ich hier ein Wort über die platte Sprache einschalte, so geschieht
es nur, um den Charakter des Oldenburgers auch von dieser Seite zu beleuchten;
sein Dialekt ist wesentlich ein Ausfluß seines Phlegmas. Wie dem Munde des
Engländers, sieht man auch seinem Munde nicht an, wenn er spricht. Nach dem
Princip der Bequemlichkeit laßt er sich nur auf Sätze, Worte, Sylben und Buch¬
staben ein, die keine Anstrengung kosten, und selbst diese werden mehr gemurmelt
als gesprochen.. Ans Pfeifer, Schneider, Schnauze, Gesellschaft macht er Piper,
Snider, Sünde, Sellschupp: dabei köunen die Organe auf der Faulbank
liegen, bleiben. Daß dabei die Konsonanten dnjzendweis über Bord fallen, ver¬
steht sich, und für's Ohr ist wahrlich kein Schade dabei. Schlimmer wird den
Vocalen mitgespielt; diese trüben sich, wie im Englischen. In „Licht" steht
das i.zwischen i und e; „Dieb" lautet beinahe Das; in „Adler" klingt der erste
Selbstlauter zwischen a und v; dabei wird dieses Wort jambisch gesprochen, so daß
der Haupttor auf die zweite Sylbe fällt. In „Anna", stehen beide a zwischen
a und o, jedoch so, daß das anlautende dem a, das auslautende dem o näher kommt.
Die Aussprache anderer Vocale ist gar nicht zu beschreiben; sie erinnern, indem
a, e, i, o, u in einen! Laut verschmelzen, an die Scheiben mit den sieben Farben,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/471>, abgerufen am 24.07.2024.