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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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gegenüber immer drohender ein Buch nach dem andern verbrenne, und zum
Schluß war angedeutet, wie man ans der allgemeinen Gährung der Gemüther
ans einen bald bevorstehenden Ausbruch schließen könne. In Folge dieser Prophe-
zeihungen wurde das Buch mit Beschlag belegt, und der Verfasser gezwungen,
über den Rhein zu fliehen, wo er in Straßbnrg bei seinen alten Feinden Zuflucht
fand. Die preußische Negierung entzog ihm das Wartegcld, welches sie ihm
nach der Restauration zugesichert, hatte.

Der Aufstand brach in der That in allen Theilen Europa's aus, allein er
hatte nicht die erwarteten Folge". Noch war der Muth der Revolution nicht
concentrirt, die Unruhen wurden überall unterdrückt, und ein geschärftes Neactions-
systcm war das einzige Resultat. Die Wirkung, die diese Verhältnisse aus Gör-
res ausübten, ist ganz eigenthümlich. In seinen beiden nächsten Schriften:
"Europa und die Revolution" (1821) und "die heilige Allianz und
die Völker auf dem Congreß zu Verona" werdeu zwar die
Höflinge, welche die Fürsten in eine böse Richtung verleiten, noch ziemlich scharf
angegriffen, allein von der alten Siegesgewißheit list keine Spur mehr. Das
erste der genannten Bücher beginnt sogar mit der für jene Zeit wunderlichen
Erklärung, die Völker hätten so alles Maß überschritten, daß man sich versucht
fühlen müsse, nunmehr ans Seiten der Fürsten zu treten. Der Grund dieser
Wendung kauu in nichts Anderem gesucht werden, als in den neuen Kräften, die
auf beiden Seiten auf den Schanplajz traten. Die Leiter der Revolution waren
nicht mehr ausschließlich jene volksthümlichen Romantiker, die ungefähr den deut¬
schen Burschenschaftern entsprachen, sondern Aufklärer in der französischen Manier,
und die Sache der Fürsten wurde zum Theil durch geistreiche Männer vertreten,
die der Romantik nicht so sern standen. Eines der einflußreichsten Mitglieder
ans dem Congreß zu Verona war Herr von Chateaubriand, der ehemalige Ver¬
bündete unsres Mystikers im Kampf für die geschichtliche Religion und gegen das
ideenlose Weltreich des Kaisers. Görres wußte sich in diesen Gegensäjzen nicht
mehr zurecht zu finden, es fehlte ihm ein sicherer Inhalt des Glaubens, und es
kam ihm zunächst darauf an, diesen zu suchen. Die Unfehlbarkeit der katholischen
-Kirche giebt in solchen Fällen schwachen Gemüthern den sichersten Halt, und bei
Görres war nicht einmal ein Bruch mit seiner Vergangenheit nöthig, da er
geborener Katholik war und schon früher, wenn anch mit Gründen von sehr zwei¬
felhafter Orthodoxie, die Sache der Kirche vertreten hatte. Für die politischen
Verwirrungen in Deutschland sah er keinen Ausweg, er gab es also überhaupt
auf, nach einem politischen Ausweg zu suchen, und sand in der Herrschaft der
Kirche über die, in ihrem Fundament erschütterten Staaten die sicherste Zuflucht
für das uothleidendc Menschengeschlecht.

Der Mittelpunkt des Ultramontaniönnis in Deutschland war die Zeitschrift:
"der Katholik". Görres nahm an derselben von Straßbnrg aus den lebhaf-


gegenüber immer drohender ein Buch nach dem andern verbrenne, und zum
Schluß war angedeutet, wie man ans der allgemeinen Gährung der Gemüther
ans einen bald bevorstehenden Ausbruch schließen könne. In Folge dieser Prophe-
zeihungen wurde das Buch mit Beschlag belegt, und der Verfasser gezwungen,
über den Rhein zu fliehen, wo er in Straßbnrg bei seinen alten Feinden Zuflucht
fand. Die preußische Negierung entzog ihm das Wartegcld, welches sie ihm
nach der Restauration zugesichert, hatte.

Der Aufstand brach in der That in allen Theilen Europa's aus, allein er
hatte nicht die erwarteten Folge». Noch war der Muth der Revolution nicht
concentrirt, die Unruhen wurden überall unterdrückt, und ein geschärftes Neactions-
systcm war das einzige Resultat. Die Wirkung, die diese Verhältnisse aus Gör-
res ausübten, ist ganz eigenthümlich. In seinen beiden nächsten Schriften:
„Europa und die Revolution" (1821) und „die heilige Allianz und
die Völker auf dem Congreß zu Verona" werdeu zwar die
Höflinge, welche die Fürsten in eine böse Richtung verleiten, noch ziemlich scharf
angegriffen, allein von der alten Siegesgewißheit list keine Spur mehr. Das
erste der genannten Bücher beginnt sogar mit der für jene Zeit wunderlichen
Erklärung, die Völker hätten so alles Maß überschritten, daß man sich versucht
fühlen müsse, nunmehr ans Seiten der Fürsten zu treten. Der Grund dieser
Wendung kauu in nichts Anderem gesucht werden, als in den neuen Kräften, die
auf beiden Seiten auf den Schanplajz traten. Die Leiter der Revolution waren
nicht mehr ausschließlich jene volksthümlichen Romantiker, die ungefähr den deut¬
schen Burschenschaftern entsprachen, sondern Aufklärer in der französischen Manier,
und die Sache der Fürsten wurde zum Theil durch geistreiche Männer vertreten,
die der Romantik nicht so sern standen. Eines der einflußreichsten Mitglieder
ans dem Congreß zu Verona war Herr von Chateaubriand, der ehemalige Ver¬
bündete unsres Mystikers im Kampf für die geschichtliche Religion und gegen das
ideenlose Weltreich des Kaisers. Görres wußte sich in diesen Gegensäjzen nicht
mehr zurecht zu finden, es fehlte ihm ein sicherer Inhalt des Glaubens, und es
kam ihm zunächst darauf an, diesen zu suchen. Die Unfehlbarkeit der katholischen
-Kirche giebt in solchen Fällen schwachen Gemüthern den sichersten Halt, und bei
Görres war nicht einmal ein Bruch mit seiner Vergangenheit nöthig, da er
geborener Katholik war und schon früher, wenn anch mit Gründen von sehr zwei¬
felhafter Orthodoxie, die Sache der Kirche vertreten hatte. Für die politischen
Verwirrungen in Deutschland sah er keinen Ausweg, er gab es also überhaupt
auf, nach einem politischen Ausweg zu suchen, und sand in der Herrschaft der
Kirche über die, in ihrem Fundament erschütterten Staaten die sicherste Zuflucht
für das uothleidendc Menschengeschlecht.

Der Mittelpunkt des Ultramontaniönnis in Deutschland war die Zeitschrift:
„der Katholik". Görres nahm an derselben von Straßbnrg aus den lebhaf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/462>, abgerufen am 24.07.2024.