Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Polizei verdoppelte ihre Wachsamkeit. Auch von Seiten der preußischen Regie¬
rung erfolgten Warnungen, namentlich wegen der Anregungen zur Wiederher¬
stellung der deutsch-östreichischen Kaiserwürde. Endlich gab ein scharfer Artikel
gegen die preußische Reaction den Ausschlag. Das Journal mußte den 10. Ja-
nuar 1816 aufhören, nachdem es zwei Jahre bestanden hatte.

Statt dessen veröffentlichte Görres eine Reihe von Flugschriften und größeren
Werken. Zuerst "Deutschlands künftige Verfassung" (1816), in welchem
die Idee des östreichische" Kaiserthums schärfer und bestimmter vertreten wurde.
Die Besorgniß, in die Görres wegen dieses Werks um seiue Sicherheit gerieth,
trieb ihn nach Heidelberg, wo er 1817 die "altdeutschen Volks- und Meister¬
lieder" herausgab. Die Furcht war übrigens grundlos, er durste schon 1817
nach Coblenz zurückkehren, wo er zu Anfang des folgenden Jahres im Namen
der Rheinprovinz dem Staatskanzler eine Beschwerdeschrift überreichte. 1819
erschien "Deutschland und die Revolution", ein höchst sonderbares Buch,
in dem wir heute nur noch mit Befremden lesen können. Der positive politische
Inhalt desselben war sehr gering, wenn es auch an stbyllinischen Warnungen,
Prophezeihungen und wohlmeinenden Ideen nicht fehlte. Die Hauptsache war eine
historisch-philosophische Auseinandersetzung der beiden widerstrebenden Principien,
des konservativen und des revolutionairen, die sich im Laufe der Weltgeschichte, im
Staatsleben wie in der Religion und Poesie, geltend gemacht hätten. Den Einen
gilt die ganze Geschichte für einen fortgesetzten Sündenfall/ den Anderen für eine
beständige Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Görres giebt keiner dieser
Parteien Recht, sondern sucht ein philosophisches Justemilieu herzustellen, in wel¬
chem beide Principien als mitwirkende Momente aufgenommen werden. Im Ein¬
zelnen sind viele geistreiche Einfälle, das Ganze macht aber doch einen unbehag¬
lichen Eindruck, da, wie bei allen Constructionen der Geschichte, den Thatsachen
nicht blos von den Extremen, sondern auch von der Vermittelung Gewalt ange¬
than wird. Am sonderbarsten ist aber die Sprache. Die Bibel, die Edda, die
indische Mythologie, die Naturphilosophie wird ausgebeutet, um die einfachsten
Begriffe in ein mystisches Dunkel zu hüllen. Es steht fast so aus, als ob es
damals zur Popularität nothwendig war, so verworren als möglich zu schreiben.
Wenn man sich nach der Lectüre fragt, was man durch diese Fälle confnser
Gelehrsamkeit für die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gewonnen hat, so ist
das Ergebniß sehr unbedeutend, und der Umstand, daß in den meisten gleichzei¬
tigen Schriften, z. B. inj den "Caricaturen des Heiligsten" von Steffens ein
ähnlicher Ton angeschlagen wurde, kann den Verfasser nicht rechtfertigen.

Indessen in einem Punkt that die Schrift doch ihre Wirkung. In der Ein¬
leitung hatte Görres das seitdem wieder häufig angewandte Bild von der
Cumäischeu Sibylle, die dem Tarquinius für denselben Preis einen immer gerin¬
gern Werth anbietet, auf die Zeit angewendet, welche dem Widerstand der Fürsten


Grenzlwten. II. -18os, J7 '

Polizei verdoppelte ihre Wachsamkeit. Auch von Seiten der preußischen Regie¬
rung erfolgten Warnungen, namentlich wegen der Anregungen zur Wiederher¬
stellung der deutsch-östreichischen Kaiserwürde. Endlich gab ein scharfer Artikel
gegen die preußische Reaction den Ausschlag. Das Journal mußte den 10. Ja-
nuar 1816 aufhören, nachdem es zwei Jahre bestanden hatte.

Statt dessen veröffentlichte Görres eine Reihe von Flugschriften und größeren
Werken. Zuerst „Deutschlands künftige Verfassung" (1816), in welchem
die Idee des östreichische» Kaiserthums schärfer und bestimmter vertreten wurde.
Die Besorgniß, in die Görres wegen dieses Werks um seiue Sicherheit gerieth,
trieb ihn nach Heidelberg, wo er 1817 die „altdeutschen Volks- und Meister¬
lieder" herausgab. Die Furcht war übrigens grundlos, er durste schon 1817
nach Coblenz zurückkehren, wo er zu Anfang des folgenden Jahres im Namen
der Rheinprovinz dem Staatskanzler eine Beschwerdeschrift überreichte. 1819
erschien „Deutschland und die Revolution", ein höchst sonderbares Buch,
in dem wir heute nur noch mit Befremden lesen können. Der positive politische
Inhalt desselben war sehr gering, wenn es auch an stbyllinischen Warnungen,
Prophezeihungen und wohlmeinenden Ideen nicht fehlte. Die Hauptsache war eine
historisch-philosophische Auseinandersetzung der beiden widerstrebenden Principien,
des konservativen und des revolutionairen, die sich im Laufe der Weltgeschichte, im
Staatsleben wie in der Religion und Poesie, geltend gemacht hätten. Den Einen
gilt die ganze Geschichte für einen fortgesetzten Sündenfall/ den Anderen für eine
beständige Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Görres giebt keiner dieser
Parteien Recht, sondern sucht ein philosophisches Justemilieu herzustellen, in wel¬
chem beide Principien als mitwirkende Momente aufgenommen werden. Im Ein¬
zelnen sind viele geistreiche Einfälle, das Ganze macht aber doch einen unbehag¬
lichen Eindruck, da, wie bei allen Constructionen der Geschichte, den Thatsachen
nicht blos von den Extremen, sondern auch von der Vermittelung Gewalt ange¬
than wird. Am sonderbarsten ist aber die Sprache. Die Bibel, die Edda, die
indische Mythologie, die Naturphilosophie wird ausgebeutet, um die einfachsten
Begriffe in ein mystisches Dunkel zu hüllen. Es steht fast so aus, als ob es
damals zur Popularität nothwendig war, so verworren als möglich zu schreiben.
Wenn man sich nach der Lectüre fragt, was man durch diese Fälle confnser
Gelehrsamkeit für die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gewonnen hat, so ist
das Ergebniß sehr unbedeutend, und der Umstand, daß in den meisten gleichzei¬
tigen Schriften, z. B. inj den „Caricaturen des Heiligsten" von Steffens ein
ähnlicher Ton angeschlagen wurde, kann den Verfasser nicht rechtfertigen.

Indessen in einem Punkt that die Schrift doch ihre Wirkung. In der Ein¬
leitung hatte Görres das seitdem wieder häufig angewandte Bild von der
Cumäischeu Sibylle, die dem Tarquinius für denselben Preis einen immer gerin¬
gern Werth anbietet, auf die Zeit angewendet, welche dem Widerstand der Fürsten


Grenzlwten. II. -18os, J7 '
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0461" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94362"/>
            <p xml:id="ID_1351" prev="#ID_1350"> Polizei verdoppelte ihre Wachsamkeit. Auch von Seiten der preußischen Regie¬<lb/>
rung erfolgten Warnungen, namentlich wegen der Anregungen zur Wiederher¬<lb/>
stellung der deutsch-östreichischen Kaiserwürde. Endlich gab ein scharfer Artikel<lb/>
gegen die preußische Reaction den Ausschlag. Das Journal mußte den 10. Ja-<lb/>
nuar 1816 aufhören, nachdem es zwei Jahre bestanden hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1352"> Statt dessen veröffentlichte Görres eine Reihe von Flugschriften und größeren<lb/>
Werken. Zuerst &#x201E;Deutschlands künftige Verfassung" (1816), in welchem<lb/>
die Idee des östreichische» Kaiserthums schärfer und bestimmter vertreten wurde.<lb/>
Die Besorgniß, in die Görres wegen dieses Werks um seiue Sicherheit gerieth,<lb/>
trieb ihn nach Heidelberg, wo er 1817 die &#x201E;altdeutschen Volks- und Meister¬<lb/>
lieder" herausgab. Die Furcht war übrigens grundlos, er durste schon 1817<lb/>
nach Coblenz zurückkehren, wo er zu Anfang des folgenden Jahres im Namen<lb/>
der Rheinprovinz dem Staatskanzler eine Beschwerdeschrift überreichte. 1819<lb/>
erschien &#x201E;Deutschland und die Revolution", ein höchst sonderbares Buch,<lb/>
in dem wir heute nur noch mit Befremden lesen können. Der positive politische<lb/>
Inhalt desselben war sehr gering, wenn es auch an stbyllinischen Warnungen,<lb/>
Prophezeihungen und wohlmeinenden Ideen nicht fehlte. Die Hauptsache war eine<lb/>
historisch-philosophische Auseinandersetzung der beiden widerstrebenden Principien,<lb/>
des konservativen und des revolutionairen, die sich im Laufe der Weltgeschichte, im<lb/>
Staatsleben wie in der Religion und Poesie, geltend gemacht hätten. Den Einen<lb/>
gilt die ganze Geschichte für einen fortgesetzten Sündenfall/ den Anderen für eine<lb/>
beständige Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Görres giebt keiner dieser<lb/>
Parteien Recht, sondern sucht ein philosophisches Justemilieu herzustellen, in wel¬<lb/>
chem beide Principien als mitwirkende Momente aufgenommen werden. Im Ein¬<lb/>
zelnen sind viele geistreiche Einfälle, das Ganze macht aber doch einen unbehag¬<lb/>
lichen Eindruck, da, wie bei allen Constructionen der Geschichte, den Thatsachen<lb/>
nicht blos von den Extremen, sondern auch von der Vermittelung Gewalt ange¬<lb/>
than wird. Am sonderbarsten ist aber die Sprache. Die Bibel, die Edda, die<lb/>
indische Mythologie, die Naturphilosophie wird ausgebeutet, um die einfachsten<lb/>
Begriffe in ein mystisches Dunkel zu hüllen. Es steht fast so aus, als ob es<lb/>
damals zur Popularität nothwendig war, so verworren als möglich zu schreiben.<lb/>
Wenn man sich nach der Lectüre fragt, was man durch diese Fälle confnser<lb/>
Gelehrsamkeit für die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gewonnen hat, so ist<lb/>
das Ergebniß sehr unbedeutend, und der Umstand, daß in den meisten gleichzei¬<lb/>
tigen Schriften, z. B. inj den &#x201E;Caricaturen des Heiligsten" von Steffens ein<lb/>
ähnlicher Ton angeschlagen wurde, kann den Verfasser nicht rechtfertigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Indessen in einem Punkt that die Schrift doch ihre Wirkung. In der Ein¬<lb/>
leitung hatte Görres das seitdem wieder häufig angewandte Bild von der<lb/>
Cumäischeu Sibylle, die dem Tarquinius für denselben Preis einen immer gerin¬<lb/>
gern Werth anbietet, auf die Zeit angewendet, welche dem Widerstand der Fürsten</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwten. II. -18os, J7 '</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0461] Polizei verdoppelte ihre Wachsamkeit. Auch von Seiten der preußischen Regie¬ rung erfolgten Warnungen, namentlich wegen der Anregungen zur Wiederher¬ stellung der deutsch-östreichischen Kaiserwürde. Endlich gab ein scharfer Artikel gegen die preußische Reaction den Ausschlag. Das Journal mußte den 10. Ja- nuar 1816 aufhören, nachdem es zwei Jahre bestanden hatte. Statt dessen veröffentlichte Görres eine Reihe von Flugschriften und größeren Werken. Zuerst „Deutschlands künftige Verfassung" (1816), in welchem die Idee des östreichische» Kaiserthums schärfer und bestimmter vertreten wurde. Die Besorgniß, in die Görres wegen dieses Werks um seiue Sicherheit gerieth, trieb ihn nach Heidelberg, wo er 1817 die „altdeutschen Volks- und Meister¬ lieder" herausgab. Die Furcht war übrigens grundlos, er durste schon 1817 nach Coblenz zurückkehren, wo er zu Anfang des folgenden Jahres im Namen der Rheinprovinz dem Staatskanzler eine Beschwerdeschrift überreichte. 1819 erschien „Deutschland und die Revolution", ein höchst sonderbares Buch, in dem wir heute nur noch mit Befremden lesen können. Der positive politische Inhalt desselben war sehr gering, wenn es auch an stbyllinischen Warnungen, Prophezeihungen und wohlmeinenden Ideen nicht fehlte. Die Hauptsache war eine historisch-philosophische Auseinandersetzung der beiden widerstrebenden Principien, des konservativen und des revolutionairen, die sich im Laufe der Weltgeschichte, im Staatsleben wie in der Religion und Poesie, geltend gemacht hätten. Den Einen gilt die ganze Geschichte für einen fortgesetzten Sündenfall/ den Anderen für eine beständige Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Görres giebt keiner dieser Parteien Recht, sondern sucht ein philosophisches Justemilieu herzustellen, in wel¬ chem beide Principien als mitwirkende Momente aufgenommen werden. Im Ein¬ zelnen sind viele geistreiche Einfälle, das Ganze macht aber doch einen unbehag¬ lichen Eindruck, da, wie bei allen Constructionen der Geschichte, den Thatsachen nicht blos von den Extremen, sondern auch von der Vermittelung Gewalt ange¬ than wird. Am sonderbarsten ist aber die Sprache. Die Bibel, die Edda, die indische Mythologie, die Naturphilosophie wird ausgebeutet, um die einfachsten Begriffe in ein mystisches Dunkel zu hüllen. Es steht fast so aus, als ob es damals zur Popularität nothwendig war, so verworren als möglich zu schreiben. Wenn man sich nach der Lectüre fragt, was man durch diese Fälle confnser Gelehrsamkeit für die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse gewonnen hat, so ist das Ergebniß sehr unbedeutend, und der Umstand, daß in den meisten gleichzei¬ tigen Schriften, z. B. inj den „Caricaturen des Heiligsten" von Steffens ein ähnlicher Ton angeschlagen wurde, kann den Verfasser nicht rechtfertigen. Indessen in einem Punkt that die Schrift doch ihre Wirkung. In der Ein¬ leitung hatte Görres das seitdem wieder häufig angewandte Bild von der Cumäischeu Sibylle, die dem Tarquinius für denselben Preis einen immer gerin¬ gern Werth anbietet, auf die Zeit angewendet, welche dem Widerstand der Fürsten Grenzlwten. II. -18os, J7 '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/461
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/461>, abgerufen am 24.07.2024.