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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Geschichte überliefern wird. Sie ist mit größerer Erregung aufgenommen, als
irgend ein anderes deutsches Journal; ob sie aber eine diesem Aufsehn entsprechende
Wirksamkeit ausgeübt hat, möchte zu bezweifeln sei". Der Ton, der in ihr herrscht,
ist zwar leidenschaftlich bewegt, und spielt in allen möglichen Modulationen, vom
burlesken Humor bis zum tragischen Pathos, ihr Inhalt ist aber keineswegs so
extremer Natur, als man nach dem Eindruck, den die Sprache macht, erwarten
sollte. Die Zeitschrift repräsentirte eigentlich nur die Stimmung des Volks, und
trug dazu bei, den Idealismus so wie deu Unmuth über die Enttäuschung zu
steigern; aber sie gab ihm keine neuen Gedanken. Das Bild, welches sie von
dem restaurirten Deutschland aufstellt, ist eben so verwaschen, als dasjenige, wel¬
ches zu Anfang der Bewegung -1848 in der Paulskirche entworfen wurde. Die
damaligen Machthaber können zwar in keiner Weise damit entschuldigt werden,
daß die Verhältnisse sehr schwierig waren, denn sie haben diese Schwierigkeiten
durch bösen Willen verstärkt, aber man muß doch gestehen, daß sich an's den
Anforderungen der liberalen Schriftsteller nicht viel machen ließ. Mit den
Ideen der allgemeinen deutschen Nationalität und der freien Verfassung in
einzelnen Staaten war es noch nicht gethan, obgleich die Fürsten sich damals
schwer versündigten, als sie diesen einfachen Forderungen Widerstand leisteten.
Die Hauptsache war, ein Bild von der politischen Verfassung des gesammten Reichs
zu entwerfen. Republikanische Ideen lagen damals, wo die Pietät gegen die
Fürsten ans den Tagen der Noth noch frisch war, dem allgemeinen Gesichtskreise
fern. "Es ist kein Mensch", sagt Görres in einer seiner ersten Nummern, "der
also, unsinnig wäre, die Grundvesten der Throne im Vaterlande zu untergraben;
es ist vielmehr Aller Wille, sie zu befestigen, damit sie, stark von innen und
außen, eine Gewähr geben dem Volk für seine künftige Ruhe und Sicherheit".
Aber wie dieses Fortbestehen der einzelnen Throne mit dem Gedanken der deutschen
Einheit zu versöhnen sei, darüber finden wir kaum einen Wink. Görres scheint
zwar geneigt, die Wiederherstellung des vstreichisch-deutschen Kaiserthums zu bean¬
tragen, ans der andern Seite ist er aber schonend gegen Preußen. Er verlangt
ein Repräsentativsystem für ganz Deutschland und doch das Fortbestehen der
souverainen Mächte Oestreich und Preußen, die nur eine innige Allianz mit
einander schließen sollen. Daß man damals in der Verwirrung auf dergleichen
absurde Einfälle kommen konnte, eine repräsentative Versammlung über eine Reihe
souverainer Fürsten stellen zu wollen, ist freilich noch eher begreiflich, als daß man
die nämliche Idee 24 Jahre später wieder aufnahm.

Erreichte Görres also nicht, dem Liberalismus ein klares Bild von dem,
was er eigentlich wollen sollte, darzustellen, so gelang es ihm wenigstens voll¬
ständig, den Particularismus zu erbittern. Die bayrische Regierung, noch erfüllt
von ihrer Nheiubuudsouveraiuetät, gründete eine eigene Zeitschrift gegen Görres,
die Alemannia. Die Bureaukratie bemächtigte sich wieder der Geschäfte, die


Geschichte überliefern wird. Sie ist mit größerer Erregung aufgenommen, als
irgend ein anderes deutsches Journal; ob sie aber eine diesem Aufsehn entsprechende
Wirksamkeit ausgeübt hat, möchte zu bezweifeln sei». Der Ton, der in ihr herrscht,
ist zwar leidenschaftlich bewegt, und spielt in allen möglichen Modulationen, vom
burlesken Humor bis zum tragischen Pathos, ihr Inhalt ist aber keineswegs so
extremer Natur, als man nach dem Eindruck, den die Sprache macht, erwarten
sollte. Die Zeitschrift repräsentirte eigentlich nur die Stimmung des Volks, und
trug dazu bei, den Idealismus so wie deu Unmuth über die Enttäuschung zu
steigern; aber sie gab ihm keine neuen Gedanken. Das Bild, welches sie von
dem restaurirten Deutschland aufstellt, ist eben so verwaschen, als dasjenige, wel¬
ches zu Anfang der Bewegung -1848 in der Paulskirche entworfen wurde. Die
damaligen Machthaber können zwar in keiner Weise damit entschuldigt werden,
daß die Verhältnisse sehr schwierig waren, denn sie haben diese Schwierigkeiten
durch bösen Willen verstärkt, aber man muß doch gestehen, daß sich an's den
Anforderungen der liberalen Schriftsteller nicht viel machen ließ. Mit den
Ideen der allgemeinen deutschen Nationalität und der freien Verfassung in
einzelnen Staaten war es noch nicht gethan, obgleich die Fürsten sich damals
schwer versündigten, als sie diesen einfachen Forderungen Widerstand leisteten.
Die Hauptsache war, ein Bild von der politischen Verfassung des gesammten Reichs
zu entwerfen. Republikanische Ideen lagen damals, wo die Pietät gegen die
Fürsten ans den Tagen der Noth noch frisch war, dem allgemeinen Gesichtskreise
fern. „Es ist kein Mensch", sagt Görres in einer seiner ersten Nummern, „der
also, unsinnig wäre, die Grundvesten der Throne im Vaterlande zu untergraben;
es ist vielmehr Aller Wille, sie zu befestigen, damit sie, stark von innen und
außen, eine Gewähr geben dem Volk für seine künftige Ruhe und Sicherheit".
Aber wie dieses Fortbestehen der einzelnen Throne mit dem Gedanken der deutschen
Einheit zu versöhnen sei, darüber finden wir kaum einen Wink. Görres scheint
zwar geneigt, die Wiederherstellung des vstreichisch-deutschen Kaiserthums zu bean¬
tragen, ans der andern Seite ist er aber schonend gegen Preußen. Er verlangt
ein Repräsentativsystem für ganz Deutschland und doch das Fortbestehen der
souverainen Mächte Oestreich und Preußen, die nur eine innige Allianz mit
einander schließen sollen. Daß man damals in der Verwirrung auf dergleichen
absurde Einfälle kommen konnte, eine repräsentative Versammlung über eine Reihe
souverainer Fürsten stellen zu wollen, ist freilich noch eher begreiflich, als daß man
die nämliche Idee 24 Jahre später wieder aufnahm.

Erreichte Görres also nicht, dem Liberalismus ein klares Bild von dem,
was er eigentlich wollen sollte, darzustellen, so gelang es ihm wenigstens voll¬
ständig, den Particularismus zu erbittern. Die bayrische Regierung, noch erfüllt
von ihrer Nheiubuudsouveraiuetät, gründete eine eigene Zeitschrift gegen Görres,
die Alemannia. Die Bureaukratie bemächtigte sich wieder der Geschäfte, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/460>, abgerufen am 24.07.2024.