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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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oder mystischen Begriffs umsetzte; man gewann aber Nichts, als ein trauriges
Reich der Schatten, in welchem jede Farbe, jedes Leben, jede Gestalt unterging.

Die Naturphilosophie that redlich das Ihrige, dieses Chaos durch selt¬
same Combinationen zu vermehren. Während bis dahin die Naturwissenschaft so
glänzende Erfolge errungen hatte, indem sie eine genaue Grenzlinie zwischen dem
Gewußten und Ungewnßten zog, und indem sie die Fülle der Erscheinung in ihre
Grundkräfte zerlegte, ließ sie sich jetzt aus das vermessene Unternehmen ein, durch
Ahnungen und Einfälle die Kenntniß zu ergänzen und Totalitäten darstellen zu
wollen, wo sie nur einzelne Seiten wahrnahm. Schelling selbst hat darin noch
weniger Schaden gethan, als seine Schüler, weil er sich doch wesentlich im Ge¬
biet der Abstraction bewegte, aber Schubert, Steffens, Troxler u. s. w., die sich,
zum Theil auf eine nicht gemeine Kenntniß ihres Gebiets stützen dürften, griffen
in das concrete Leben der Wissenschaft ein und brachten durch ihre Symbolik in
das Gebiet der Natur eine eben solche Dämmerung, wie die Mythologie in das
Gebiet der Sage und Geschichte. Die Einen griffen den Anderen uuter die Arme,
die Mythologen operirten mit physikalischen Combinationen, von denen sie Nichts
verstanden, und die Naturphilosophen tauschten dafür mythologische Räthsel ein,
um ihre Naturkräfte zu symbolistren.

So sehen wir Görres ungefähr in derselben Zeit nach allen drei Seiten hin
beschäftigt. Er verwischt die Physiognomie der Physik, er fordert die Kunst ans,
sich lediglich mit den Mysterien zu beschäftigen*), und er liefert seine Beiträge
zu der symbolischen Umdichtung der Mythen. In die letztere Richtung fallen die
beiden Werke: "Die deutscheu Volksbücher", 1807, und die "Mythen-
geschichte der asiatischen Welt", -1808. Beide Werke waren in Heidelberg
geschrieben, wohin er -1806 berufen war, und wo er sich an Creutzer, Arnim
und Brentano anschloß. Noch in diesen Schriften geht er-vom Pantheismus aus,
wenn er auch in phantastischer Entwickelung bis zu deu wildesten Auswüchsen des
Christenthums kommt, und sie alle gleichmäßig idealisirt. Wissenschaftlicher Ernst
und redliche Forschung ist darin nicht zu suchen. Die Einfälle sind mitunter
sinnig genug, und wenn er auch ziemlich einseitig die ganze Lehre von den Göttern
und Dämonen aus Abstractionen der Naturkräfte herleitet, so lieget doch in dieser
Einseitigkeit eine gewisse Concentration, die .nicht ganz unfruchtbar geblieben
- ist. -- Anregend, aber wissenschaftlich nicht befriedigend, ist gleichfalls das spätere
Werk: "Heldenbuch von Iran" (-1820), eine Umarbeitung des Firdust.

Aus dieser Beschäftigung wurde Görres durch die politischen Ereignisse auf¬
gestört. Wenige Tage nach dem Rheinübergang der Alliirten begann er seinen
Rheinischen Mercur, die Zeitschrift, welche seinen Namen vorzugsweise der



"Das Wesen des Gemüths ist die bewußtlose Thätigkeit, mit den Idealen der Kunst
bezeichnetes nnr schwach und bleich, was es im Rausch der göttlichen Inspiration empfangen
hat und was die gemeine Nüchternheit als Wahu verhöhnt" u. f. w.

oder mystischen Begriffs umsetzte; man gewann aber Nichts, als ein trauriges
Reich der Schatten, in welchem jede Farbe, jedes Leben, jede Gestalt unterging.

Die Naturphilosophie that redlich das Ihrige, dieses Chaos durch selt¬
same Combinationen zu vermehren. Während bis dahin die Naturwissenschaft so
glänzende Erfolge errungen hatte, indem sie eine genaue Grenzlinie zwischen dem
Gewußten und Ungewnßten zog, und indem sie die Fülle der Erscheinung in ihre
Grundkräfte zerlegte, ließ sie sich jetzt aus das vermessene Unternehmen ein, durch
Ahnungen und Einfälle die Kenntniß zu ergänzen und Totalitäten darstellen zu
wollen, wo sie nur einzelne Seiten wahrnahm. Schelling selbst hat darin noch
weniger Schaden gethan, als seine Schüler, weil er sich doch wesentlich im Ge¬
biet der Abstraction bewegte, aber Schubert, Steffens, Troxler u. s. w., die sich,
zum Theil auf eine nicht gemeine Kenntniß ihres Gebiets stützen dürften, griffen
in das concrete Leben der Wissenschaft ein und brachten durch ihre Symbolik in
das Gebiet der Natur eine eben solche Dämmerung, wie die Mythologie in das
Gebiet der Sage und Geschichte. Die Einen griffen den Anderen uuter die Arme,
die Mythologen operirten mit physikalischen Combinationen, von denen sie Nichts
verstanden, und die Naturphilosophen tauschten dafür mythologische Räthsel ein,
um ihre Naturkräfte zu symbolistren.

So sehen wir Görres ungefähr in derselben Zeit nach allen drei Seiten hin
beschäftigt. Er verwischt die Physiognomie der Physik, er fordert die Kunst ans,
sich lediglich mit den Mysterien zu beschäftigen*), und er liefert seine Beiträge
zu der symbolischen Umdichtung der Mythen. In die letztere Richtung fallen die
beiden Werke: „Die deutscheu Volksbücher", 1807, und die „Mythen-
geschichte der asiatischen Welt", -1808. Beide Werke waren in Heidelberg
geschrieben, wohin er -1806 berufen war, und wo er sich an Creutzer, Arnim
und Brentano anschloß. Noch in diesen Schriften geht er-vom Pantheismus aus,
wenn er auch in phantastischer Entwickelung bis zu deu wildesten Auswüchsen des
Christenthums kommt, und sie alle gleichmäßig idealisirt. Wissenschaftlicher Ernst
und redliche Forschung ist darin nicht zu suchen. Die Einfälle sind mitunter
sinnig genug, und wenn er auch ziemlich einseitig die ganze Lehre von den Göttern
und Dämonen aus Abstractionen der Naturkräfte herleitet, so lieget doch in dieser
Einseitigkeit eine gewisse Concentration, die .nicht ganz unfruchtbar geblieben
- ist. — Anregend, aber wissenschaftlich nicht befriedigend, ist gleichfalls das spätere
Werk: „Heldenbuch von Iran" (-1820), eine Umarbeitung des Firdust.

Aus dieser Beschäftigung wurde Görres durch die politischen Ereignisse auf¬
gestört. Wenige Tage nach dem Rheinübergang der Alliirten begann er seinen
Rheinischen Mercur, die Zeitschrift, welche seinen Namen vorzugsweise der



„Das Wesen des Gemüths ist die bewußtlose Thätigkeit, mit den Idealen der Kunst
bezeichnetes nnr schwach und bleich, was es im Rausch der göttlichen Inspiration empfangen
hat und was die gemeine Nüchternheit als Wahu verhöhnt" u. f. w.
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[0459] oder mystischen Begriffs umsetzte; man gewann aber Nichts, als ein trauriges Reich der Schatten, in welchem jede Farbe, jedes Leben, jede Gestalt unterging. Die Naturphilosophie that redlich das Ihrige, dieses Chaos durch selt¬ same Combinationen zu vermehren. Während bis dahin die Naturwissenschaft so glänzende Erfolge errungen hatte, indem sie eine genaue Grenzlinie zwischen dem Gewußten und Ungewnßten zog, und indem sie die Fülle der Erscheinung in ihre Grundkräfte zerlegte, ließ sie sich jetzt aus das vermessene Unternehmen ein, durch Ahnungen und Einfälle die Kenntniß zu ergänzen und Totalitäten darstellen zu wollen, wo sie nur einzelne Seiten wahrnahm. Schelling selbst hat darin noch weniger Schaden gethan, als seine Schüler, weil er sich doch wesentlich im Ge¬ biet der Abstraction bewegte, aber Schubert, Steffens, Troxler u. s. w., die sich, zum Theil auf eine nicht gemeine Kenntniß ihres Gebiets stützen dürften, griffen in das concrete Leben der Wissenschaft ein und brachten durch ihre Symbolik in das Gebiet der Natur eine eben solche Dämmerung, wie die Mythologie in das Gebiet der Sage und Geschichte. Die Einen griffen den Anderen uuter die Arme, die Mythologen operirten mit physikalischen Combinationen, von denen sie Nichts verstanden, und die Naturphilosophen tauschten dafür mythologische Räthsel ein, um ihre Naturkräfte zu symbolistren. So sehen wir Görres ungefähr in derselben Zeit nach allen drei Seiten hin beschäftigt. Er verwischt die Physiognomie der Physik, er fordert die Kunst ans, sich lediglich mit den Mysterien zu beschäftigen*), und er liefert seine Beiträge zu der symbolischen Umdichtung der Mythen. In die letztere Richtung fallen die beiden Werke: „Die deutscheu Volksbücher", 1807, und die „Mythen- geschichte der asiatischen Welt", -1808. Beide Werke waren in Heidelberg geschrieben, wohin er -1806 berufen war, und wo er sich an Creutzer, Arnim und Brentano anschloß. Noch in diesen Schriften geht er-vom Pantheismus aus, wenn er auch in phantastischer Entwickelung bis zu deu wildesten Auswüchsen des Christenthums kommt, und sie alle gleichmäßig idealisirt. Wissenschaftlicher Ernst und redliche Forschung ist darin nicht zu suchen. Die Einfälle sind mitunter sinnig genug, und wenn er auch ziemlich einseitig die ganze Lehre von den Göttern und Dämonen aus Abstractionen der Naturkräfte herleitet, so lieget doch in dieser Einseitigkeit eine gewisse Concentration, die .nicht ganz unfruchtbar geblieben - ist. — Anregend, aber wissenschaftlich nicht befriedigend, ist gleichfalls das spätere Werk: „Heldenbuch von Iran" (-1820), eine Umarbeitung des Firdust. Aus dieser Beschäftigung wurde Görres durch die politischen Ereignisse auf¬ gestört. Wenige Tage nach dem Rheinübergang der Alliirten begann er seinen Rheinischen Mercur, die Zeitschrift, welche seinen Namen vorzugsweise der „Das Wesen des Gemüths ist die bewußtlose Thätigkeit, mit den Idealen der Kunst bezeichnetes nnr schwach und bleich, was es im Rausch der göttlichen Inspiration empfangen hat und was die gemeine Nüchternheit als Wahu verhöhnt" u. f. w.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/459>, abgerufen am 24.07.2024.