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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Phantasie vermittelt. Allein jenes innerliche Wesen hat auch seine Schattenseiten.
Wenn man den ästhetischen Maßstab auf die Religion anwendet, so verliert sie
viel vou ihrer Macht und Jntensivität, und wenn man vollends die Kunst als die
schöpferische Kraft des religiösen Gefühls betrachtet, so wird das Eine wie das
Andere in eine schiefe Stellung gebracht. Die Kunstreligion, welche Schleier-
macher's Schule damals den schonen Seelen als das neue Evangelium verkündete,
verlor sich nicht blos in einen gestaltlosen Pantheismus, in welchem die wüsten
Götzenbilder Indiens ungefähr eine gleiche Berechtigung mit den olympischen
Göttern, und die Schatten der nordischen Sage ein gleiches Recht mit dem leben¬
digen Gott der Christen in Anspruch nahmen, sondern sie gab auch der Kunst
eine durchaus verkehrte Richtung. Der Kern der künstlerischen Genialität beruht
auf der Fähigkeit, individuelle, bestimmte, lebendige Gestalten zu schaffen; diese
geht verloren, sobald man von der Kunst Ahnungen, Anspielungen, Visionen
verlangt. Ja auf die Kunst der Prosa hat es die nachtheiligste Einwirkung,
denn auch diese soll gestalten und individualisiren, wenn anch nicht für die Phan¬
tasie, sondern für den Verstand. Sobald man sich aber in das mystische Ge¬
webe der Anspielungen und Beziehungen vertieft und keine einzelne Vorstellung,
kein einzelnes Bild, keinen einzelnen Gedanken verfolgen kann, ohne dabei auf
tausend ganz entlegene Nebengedanken und Nebenvorstellungen zu gerathen, so
ist es mit der Dialektik zu Ende. Eine Prosa, wie sie Görres schreibt, ist gleich¬
sam die sinnliche Darstellung von dem Geist des Pantheismus, voll der Auflösung
der concreten, lebendigen Seele in das lichtlose Chaos.

Die historische Wissenschaft folgte dem gegebenen Impuls. Wenn der frühere
einseitige Nationalismus die Cultnrbilder der Völker nach den Begriffen des lau¬
fenden Jahrhunderts censirt hatte, so wich diese blinde Verachtung gegen alles
Lebendige, das sich der Regel nicht fügen wollte, jetzt einer eben so blinden Ver¬
ehrung vor allem Regellosen und Unvermittelten. Auch in dieser scheinbaren
Wiederaufnahme des Volkstümlichen und Naturwüchsigen lag eine Ueberhebung;,
denn noch war man weit entfernt von jener Andacht vor dem Wahren und Wirk¬
lichen, welche die Spiele der Phantasie, die dunklen Träume der Jugend mit
derselben Gewissenhaftigkeit durchforscht und analysirt, wie ein wissenschaftliches
Lehrgebäude. Man ließ sich vielmehr nur darum zum Volke herab, um ihm Em¬
pfindungen und Gedanken aufzubürden, die ihm fremd waren, und die nur die
Phantasiegebilde des forschenden Philosophen sanctionirten. Wir haben bei der
Darstellung einer wissenschaftlichen Größe bereits auf Creutzer hingedeutet, dessen
Symbolik zwar erst 1810 erschien, aber damals schon durch Vorstudien vorbereitet
wurde, denen auch Görres nicht fremd blieb. Abgesehen von dem Dilettantismus,
der dadurch in die Wissenschaft eingeführt wurde, verkannte diese Symbolik auch
das Wesen der Poesie. Sie glaubte die lebendigen Göttergestalten dadurch
poetischer zu machen, daß sie dieselben in Abstractionen irgend eines physikalischen


Phantasie vermittelt. Allein jenes innerliche Wesen hat auch seine Schattenseiten.
Wenn man den ästhetischen Maßstab auf die Religion anwendet, so verliert sie
viel vou ihrer Macht und Jntensivität, und wenn man vollends die Kunst als die
schöpferische Kraft des religiösen Gefühls betrachtet, so wird das Eine wie das
Andere in eine schiefe Stellung gebracht. Die Kunstreligion, welche Schleier-
macher's Schule damals den schonen Seelen als das neue Evangelium verkündete,
verlor sich nicht blos in einen gestaltlosen Pantheismus, in welchem die wüsten
Götzenbilder Indiens ungefähr eine gleiche Berechtigung mit den olympischen
Göttern, und die Schatten der nordischen Sage ein gleiches Recht mit dem leben¬
digen Gott der Christen in Anspruch nahmen, sondern sie gab auch der Kunst
eine durchaus verkehrte Richtung. Der Kern der künstlerischen Genialität beruht
auf der Fähigkeit, individuelle, bestimmte, lebendige Gestalten zu schaffen; diese
geht verloren, sobald man von der Kunst Ahnungen, Anspielungen, Visionen
verlangt. Ja auf die Kunst der Prosa hat es die nachtheiligste Einwirkung,
denn auch diese soll gestalten und individualisiren, wenn anch nicht für die Phan¬
tasie, sondern für den Verstand. Sobald man sich aber in das mystische Ge¬
webe der Anspielungen und Beziehungen vertieft und keine einzelne Vorstellung,
kein einzelnes Bild, keinen einzelnen Gedanken verfolgen kann, ohne dabei auf
tausend ganz entlegene Nebengedanken und Nebenvorstellungen zu gerathen, so
ist es mit der Dialektik zu Ende. Eine Prosa, wie sie Görres schreibt, ist gleich¬
sam die sinnliche Darstellung von dem Geist des Pantheismus, voll der Auflösung
der concreten, lebendigen Seele in das lichtlose Chaos.

Die historische Wissenschaft folgte dem gegebenen Impuls. Wenn der frühere
einseitige Nationalismus die Cultnrbilder der Völker nach den Begriffen des lau¬
fenden Jahrhunderts censirt hatte, so wich diese blinde Verachtung gegen alles
Lebendige, das sich der Regel nicht fügen wollte, jetzt einer eben so blinden Ver¬
ehrung vor allem Regellosen und Unvermittelten. Auch in dieser scheinbaren
Wiederaufnahme des Volkstümlichen und Naturwüchsigen lag eine Ueberhebung;,
denn noch war man weit entfernt von jener Andacht vor dem Wahren und Wirk¬
lichen, welche die Spiele der Phantasie, die dunklen Träume der Jugend mit
derselben Gewissenhaftigkeit durchforscht und analysirt, wie ein wissenschaftliches
Lehrgebäude. Man ließ sich vielmehr nur darum zum Volke herab, um ihm Em¬
pfindungen und Gedanken aufzubürden, die ihm fremd waren, und die nur die
Phantasiegebilde des forschenden Philosophen sanctionirten. Wir haben bei der
Darstellung einer wissenschaftlichen Größe bereits auf Creutzer hingedeutet, dessen
Symbolik zwar erst 1810 erschien, aber damals schon durch Vorstudien vorbereitet
wurde, denen auch Görres nicht fremd blieb. Abgesehen von dem Dilettantismus,
der dadurch in die Wissenschaft eingeführt wurde, verkannte diese Symbolik auch
das Wesen der Poesie. Sie glaubte die lebendigen Göttergestalten dadurch
poetischer zu machen, daß sie dieselben in Abstractionen irgend eines physikalischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/458>, abgerufen am 25.07.2024.