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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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neue zu concentriren, mochte sich dieses Moment auch noch so sehr hinter mysti¬
schen Ausdrücken verstecken, so wurde man in dieser Einseitigkeit noch kühner und
entschiedener, als sich der Einfluß der französischen materialistischen Philosophie
in Deutschland geltend machte. In dem katholischen Lande hatte die Vernichtung
der Wunder auch deu Glauben und den Idealismus zerstört, die protestantischen
Denker hatten die Kühnheit, den Glauben und das Ideal festzuhalten und doch
das gesammte Gebiet des Wunders fallen zu lassen. Wenn Kant in seiner Dar¬
stellung der "Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" sich über
alles Traditionelle, Mythische und Historische des Christenthums sehr gleichgiltig
aussprach, sofern man daraus nicht eine moralische, auf alle Zeiten und für alle
Menschen gleich anwendbare Lehre ziehen könne, so machte er es im Grunde mit
der gesammte" Welt der wirklichen Erscheinung, mit der Natur und der Geschichte
uicht besser. Ihm waren die Einzelheiten der Natur und der Geschichte nicht
mehr werth, als die Wunder der Religion. Das Einzige, was ihm feststand,
war das Gewissen, die Nothwendigkeit des wahren Menschen, recht zu handeln,
oder, wie er es mit einer mathematischen Formel ausdrückte, der kategorische Im¬
perativ der Pflicht. Aus diesem Gewissen leitete er die Nothwendigkeit eines
Glaubens an Gott und an ein ewiges Leben her, d. h. eines Glaubens an eine
wirkliche, nicht blos in der Einbildung bestehende ideale Welt. Fichte, sein Nach¬
folger, ging darin weiter und suchte nachzuweisen, daß die wirkliche Existenz einer
solchen Welt gar nicht nöthig sei, um den Glauben und das Gewissen zu recht¬
fertigen, diiß diese vielmehr in dem Wesen des Geistes ihre hinreichende Begrün¬
dung fänden, und daß der Geist, um frei und gut zu sein, sich vollkommen selbst
genüge. So geschah es, daß der Glaube die meiste Energie und die kühnste
Sclbstgewißheit in demselben Augenblick entwickelte, wo er allen Inhalt aus sich
warf. Das ist nur für einen Augenblick möglich. Fichte selbst ging später in
einem leeren Predigen nnter, und der durch diese unerhörten Abstractionen ver¬
letzte religiöse Geist machte sich wieder in der alten Breite geltend.

Schleiermacher in seinen "Reden über die Religion" zeigte zuerst den "Ge¬
bildeten unter ihren Verächtern", daß man in ihr noch vieles Andere zu suchen
habe, als die bloße Rechtfertigung und Heiligung des sittlichen Instincts. Es ist
bewundernswürdig, mit welcher Feinheit Schleiermacher die geheimen Züge des
Gemüths aufzuspüren wußte, die wie ein Nerveugeflecht die phantastischen Vor^
Stellungen der Religion dnrchschlingcn, wie er in ihr nicht etwas Fremdes, Un¬
begreifliches und Unheimliches, sondern die innere Harmonie einer wohlgestimmten
Seele erkannte. Es fällt uns auch hier der Geist des Protestantismus auf,
namentlich wenn wir diesen Versuch mit Chateaubriand's (Zänis cku ein-istilmisme
vergleichen, welcher einige Jahre später, erschien. "In dem letzter" wird die Re¬
ligion vorzugsweise als. etwas Aeußerliches betrachtet, und ihre Kraft und Bedeu¬
tung bezieht sich nur auf die Phantasie > oder wird wenigstens nur durch die


neue zu concentriren, mochte sich dieses Moment auch noch so sehr hinter mysti¬
schen Ausdrücken verstecken, so wurde man in dieser Einseitigkeit noch kühner und
entschiedener, als sich der Einfluß der französischen materialistischen Philosophie
in Deutschland geltend machte. In dem katholischen Lande hatte die Vernichtung
der Wunder auch deu Glauben und den Idealismus zerstört, die protestantischen
Denker hatten die Kühnheit, den Glauben und das Ideal festzuhalten und doch
das gesammte Gebiet des Wunders fallen zu lassen. Wenn Kant in seiner Dar¬
stellung der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" sich über
alles Traditionelle, Mythische und Historische des Christenthums sehr gleichgiltig
aussprach, sofern man daraus nicht eine moralische, auf alle Zeiten und für alle
Menschen gleich anwendbare Lehre ziehen könne, so machte er es im Grunde mit
der gesammte» Welt der wirklichen Erscheinung, mit der Natur und der Geschichte
uicht besser. Ihm waren die Einzelheiten der Natur und der Geschichte nicht
mehr werth, als die Wunder der Religion. Das Einzige, was ihm feststand,
war das Gewissen, die Nothwendigkeit des wahren Menschen, recht zu handeln,
oder, wie er es mit einer mathematischen Formel ausdrückte, der kategorische Im¬
perativ der Pflicht. Aus diesem Gewissen leitete er die Nothwendigkeit eines
Glaubens an Gott und an ein ewiges Leben her, d. h. eines Glaubens an eine
wirkliche, nicht blos in der Einbildung bestehende ideale Welt. Fichte, sein Nach¬
folger, ging darin weiter und suchte nachzuweisen, daß die wirkliche Existenz einer
solchen Welt gar nicht nöthig sei, um den Glauben und das Gewissen zu recht¬
fertigen, diiß diese vielmehr in dem Wesen des Geistes ihre hinreichende Begrün¬
dung fänden, und daß der Geist, um frei und gut zu sein, sich vollkommen selbst
genüge. So geschah es, daß der Glaube die meiste Energie und die kühnste
Sclbstgewißheit in demselben Augenblick entwickelte, wo er allen Inhalt aus sich
warf. Das ist nur für einen Augenblick möglich. Fichte selbst ging später in
einem leeren Predigen nnter, und der durch diese unerhörten Abstractionen ver¬
letzte religiöse Geist machte sich wieder in der alten Breite geltend.

Schleiermacher in seinen „Reden über die Religion" zeigte zuerst den „Ge¬
bildeten unter ihren Verächtern", daß man in ihr noch vieles Andere zu suchen
habe, als die bloße Rechtfertigung und Heiligung des sittlichen Instincts. Es ist
bewundernswürdig, mit welcher Feinheit Schleiermacher die geheimen Züge des
Gemüths aufzuspüren wußte, die wie ein Nerveugeflecht die phantastischen Vor^
Stellungen der Religion dnrchschlingcn, wie er in ihr nicht etwas Fremdes, Un¬
begreifliches und Unheimliches, sondern die innere Harmonie einer wohlgestimmten
Seele erkannte. Es fällt uns auch hier der Geist des Protestantismus auf,
namentlich wenn wir diesen Versuch mit Chateaubriand's (Zänis cku ein-istilmisme
vergleichen, welcher einige Jahre später, erschien. »In dem letzter» wird die Re¬
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[0457] neue zu concentriren, mochte sich dieses Moment auch noch so sehr hinter mysti¬ schen Ausdrücken verstecken, so wurde man in dieser Einseitigkeit noch kühner und entschiedener, als sich der Einfluß der französischen materialistischen Philosophie in Deutschland geltend machte. In dem katholischen Lande hatte die Vernichtung der Wunder auch deu Glauben und den Idealismus zerstört, die protestantischen Denker hatten die Kühnheit, den Glauben und das Ideal festzuhalten und doch das gesammte Gebiet des Wunders fallen zu lassen. Wenn Kant in seiner Dar¬ stellung der „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" sich über alles Traditionelle, Mythische und Historische des Christenthums sehr gleichgiltig aussprach, sofern man daraus nicht eine moralische, auf alle Zeiten und für alle Menschen gleich anwendbare Lehre ziehen könne, so machte er es im Grunde mit der gesammte» Welt der wirklichen Erscheinung, mit der Natur und der Geschichte uicht besser. Ihm waren die Einzelheiten der Natur und der Geschichte nicht mehr werth, als die Wunder der Religion. Das Einzige, was ihm feststand, war das Gewissen, die Nothwendigkeit des wahren Menschen, recht zu handeln, oder, wie er es mit einer mathematischen Formel ausdrückte, der kategorische Im¬ perativ der Pflicht. Aus diesem Gewissen leitete er die Nothwendigkeit eines Glaubens an Gott und an ein ewiges Leben her, d. h. eines Glaubens an eine wirkliche, nicht blos in der Einbildung bestehende ideale Welt. Fichte, sein Nach¬ folger, ging darin weiter und suchte nachzuweisen, daß die wirkliche Existenz einer solchen Welt gar nicht nöthig sei, um den Glauben und das Gewissen zu recht¬ fertigen, diiß diese vielmehr in dem Wesen des Geistes ihre hinreichende Begrün¬ dung fänden, und daß der Geist, um frei und gut zu sein, sich vollkommen selbst genüge. So geschah es, daß der Glaube die meiste Energie und die kühnste Sclbstgewißheit in demselben Augenblick entwickelte, wo er allen Inhalt aus sich warf. Das ist nur für einen Augenblick möglich. Fichte selbst ging später in einem leeren Predigen nnter, und der durch diese unerhörten Abstractionen ver¬ letzte religiöse Geist machte sich wieder in der alten Breite geltend. Schleiermacher in seinen „Reden über die Religion" zeigte zuerst den „Ge¬ bildeten unter ihren Verächtern", daß man in ihr noch vieles Andere zu suchen habe, als die bloße Rechtfertigung und Heiligung des sittlichen Instincts. Es ist bewundernswürdig, mit welcher Feinheit Schleiermacher die geheimen Züge des Gemüths aufzuspüren wußte, die wie ein Nerveugeflecht die phantastischen Vor^ Stellungen der Religion dnrchschlingcn, wie er in ihr nicht etwas Fremdes, Un¬ begreifliches und Unheimliches, sondern die innere Harmonie einer wohlgestimmten Seele erkannte. Es fällt uns auch hier der Geist des Protestantismus auf, namentlich wenn wir diesen Versuch mit Chateaubriand's (Zänis cku ein-istilmisme vergleichen, welcher einige Jahre später, erschien. »In dem letzter» wird die Re¬ ligion vorzugsweise als. etwas Aeußerliches betrachtet, und ihre Kraft und Bedeu¬ tung bezieht sich nur auf die Phantasie > oder wird wenigstens nur durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/457>, abgerufen am 04.07.2024.