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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Ideen kommen. Görres giebt sich nämlich die Mühe, die Mythologien der ver¬
schiedenen Völker mit den Speculationen der Naturphilosophie zu combiniren und
daraus einen.neuen Mythus zu bilden. "Die Schöpfung begann mit dem Aus¬
fluß des göttlichen Wesens in weiblicher Form, während das, wovon es aus¬
ging, in männlicher erschien. Beide in einander aufgelöst im Medium des
Ueberschwenglichen, bildeten ohne Zeugung das Wesen der Gottheit."
Das Alles geht in einem großen El vor sich. Die Personen sind: "Der Mann,
das Weib und die fortwährend empfangende Jungfrau; so auch in der
christlichen Mythe: der Vater, der über dem Chaos brütende Geist (die Mutter)
und der Sohn als Neutralisation des Products." Diese mystische" Begriffe
werden zuweilen durch die Schulausdrücke der damaligen Philosophie gewürzt, die
wir unsren Lesern ersparen. Dann folgen die Titanenkämpfe, die als Symbol von
dem Widerstreben der brutalen Natur gegen den Geist aufgefaßt werden, endlich
als christliche Mythologie die Apokalypse. "Ju der neuen Zeit, die mit dem
Christenthum beginnt, war erst die gänzliche Austreibung aus dem Paradiese
der Natur vollendet. Aber ein Instinct ist in die Seelen eingepflanzt, der sie
immer wieder in den Abgrund der Gottheit treibt. Oben im heißen Zenith aller
Kräfte, in den Sternenschleier eingehüllt, wird ein unbegreiflich geheimnißvolles
Etwas weben; kein Sinn wird es ergründen, keine Anschauung es erfassen; eine
Hieroglyphe der ganzen Schöpfung, die von sich selber wieder eine Hieroglyphe
ist, ein Räthsel, das sich immer selbst löst und doch ewig unergründlich ist u. s. w."
In diesem pantheistischen Traumleben sind das einzige Maß die Hören, die sich
aber anch in der Welt der Erscheinung verlieren. "Einsam ziehen die Götter-
vogel durch den stillen Aether, ungezählt sind ihre> Schaaren, majestätisch lang¬
sam ziehen sie durch die Räume der Unendlichkeit einher; die ersten erreicht ein
sterbliches Ange nicht, die hintersten sieht keine Zeit vorüberziehen, aber alle trägt
das Überschwengliche, alle wird die Gottheit sie in ihren Schooß sammeln."

Man könnte dieses pantheistische Hexen-Einmaleins, gegen welches gehalten
man die spätere ultramontane Richtung wahrlich mit Unrecht einen Rückschritt
nennt, wenn man von den modernen Ausdrücken und von einer gewissen Ge¬
wandtheit im Styl absteht, leicht in Jakob Böhme wiederfinden, jenem stillen
Mystiker, dessen Phantasie das eigentliche Vorbild aller unsrer Naturphilosophen
gewesen ist. Literarhistorisch aber schließt es sich an die unerwartete Wendung an,
welche gleichzeitig die Religion und Kunst, die Philologie und Geschichte, und die
Naturwissenschaft nahm, an die Empörung aller poetisch gestimmten Gemüther
gegen den Rationalismus, die einseitig mathematische Auffassung des Lebens und
seiner bewegenden Kräfte.

Der religiöse Rationalismus war durch Kant und Fichte ans die Spitze ge¬
trieben. Wenn man schon in der gesammten protestantischen Bewegung darauf
ausgegangen war, alle Kraft und Bedeutung der Religion in dem sittlichen Mo-


Ideen kommen. Görres giebt sich nämlich die Mühe, die Mythologien der ver¬
schiedenen Völker mit den Speculationen der Naturphilosophie zu combiniren und
daraus einen.neuen Mythus zu bilden. „Die Schöpfung begann mit dem Aus¬
fluß des göttlichen Wesens in weiblicher Form, während das, wovon es aus¬
ging, in männlicher erschien. Beide in einander aufgelöst im Medium des
Ueberschwenglichen, bildeten ohne Zeugung das Wesen der Gottheit."
Das Alles geht in einem großen El vor sich. Die Personen sind: „Der Mann,
das Weib und die fortwährend empfangende Jungfrau; so auch in der
christlichen Mythe: der Vater, der über dem Chaos brütende Geist (die Mutter)
und der Sohn als Neutralisation des Products." Diese mystische» Begriffe
werden zuweilen durch die Schulausdrücke der damaligen Philosophie gewürzt, die
wir unsren Lesern ersparen. Dann folgen die Titanenkämpfe, die als Symbol von
dem Widerstreben der brutalen Natur gegen den Geist aufgefaßt werden, endlich
als christliche Mythologie die Apokalypse. „Ju der neuen Zeit, die mit dem
Christenthum beginnt, war erst die gänzliche Austreibung aus dem Paradiese
der Natur vollendet. Aber ein Instinct ist in die Seelen eingepflanzt, der sie
immer wieder in den Abgrund der Gottheit treibt. Oben im heißen Zenith aller
Kräfte, in den Sternenschleier eingehüllt, wird ein unbegreiflich geheimnißvolles
Etwas weben; kein Sinn wird es ergründen, keine Anschauung es erfassen; eine
Hieroglyphe der ganzen Schöpfung, die von sich selber wieder eine Hieroglyphe
ist, ein Räthsel, das sich immer selbst löst und doch ewig unergründlich ist u. s. w."
In diesem pantheistischen Traumleben sind das einzige Maß die Hören, die sich
aber anch in der Welt der Erscheinung verlieren. „Einsam ziehen die Götter-
vogel durch den stillen Aether, ungezählt sind ihre> Schaaren, majestätisch lang¬
sam ziehen sie durch die Räume der Unendlichkeit einher; die ersten erreicht ein
sterbliches Ange nicht, die hintersten sieht keine Zeit vorüberziehen, aber alle trägt
das Überschwengliche, alle wird die Gottheit sie in ihren Schooß sammeln."

Man könnte dieses pantheistische Hexen-Einmaleins, gegen welches gehalten
man die spätere ultramontane Richtung wahrlich mit Unrecht einen Rückschritt
nennt, wenn man von den modernen Ausdrücken und von einer gewissen Ge¬
wandtheit im Styl absteht, leicht in Jakob Böhme wiederfinden, jenem stillen
Mystiker, dessen Phantasie das eigentliche Vorbild aller unsrer Naturphilosophen
gewesen ist. Literarhistorisch aber schließt es sich an die unerwartete Wendung an,
welche gleichzeitig die Religion und Kunst, die Philologie und Geschichte, und die
Naturwissenschaft nahm, an die Empörung aller poetisch gestimmten Gemüther
gegen den Rationalismus, die einseitig mathematische Auffassung des Lebens und
seiner bewegenden Kräfte.

Der religiöse Rationalismus war durch Kant und Fichte ans die Spitze ge¬
trieben. Wenn man schon in der gesammten protestantischen Bewegung darauf
ausgegangen war, alle Kraft und Bedeutung der Religion in dem sittlichen Mo-


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[0456] Ideen kommen. Görres giebt sich nämlich die Mühe, die Mythologien der ver¬ schiedenen Völker mit den Speculationen der Naturphilosophie zu combiniren und daraus einen.neuen Mythus zu bilden. „Die Schöpfung begann mit dem Aus¬ fluß des göttlichen Wesens in weiblicher Form, während das, wovon es aus¬ ging, in männlicher erschien. Beide in einander aufgelöst im Medium des Ueberschwenglichen, bildeten ohne Zeugung das Wesen der Gottheit." Das Alles geht in einem großen El vor sich. Die Personen sind: „Der Mann, das Weib und die fortwährend empfangende Jungfrau; so auch in der christlichen Mythe: der Vater, der über dem Chaos brütende Geist (die Mutter) und der Sohn als Neutralisation des Products." Diese mystische» Begriffe werden zuweilen durch die Schulausdrücke der damaligen Philosophie gewürzt, die wir unsren Lesern ersparen. Dann folgen die Titanenkämpfe, die als Symbol von dem Widerstreben der brutalen Natur gegen den Geist aufgefaßt werden, endlich als christliche Mythologie die Apokalypse. „Ju der neuen Zeit, die mit dem Christenthum beginnt, war erst die gänzliche Austreibung aus dem Paradiese der Natur vollendet. Aber ein Instinct ist in die Seelen eingepflanzt, der sie immer wieder in den Abgrund der Gottheit treibt. Oben im heißen Zenith aller Kräfte, in den Sternenschleier eingehüllt, wird ein unbegreiflich geheimnißvolles Etwas weben; kein Sinn wird es ergründen, keine Anschauung es erfassen; eine Hieroglyphe der ganzen Schöpfung, die von sich selber wieder eine Hieroglyphe ist, ein Räthsel, das sich immer selbst löst und doch ewig unergründlich ist u. s. w." In diesem pantheistischen Traumleben sind das einzige Maß die Hören, die sich aber anch in der Welt der Erscheinung verlieren. „Einsam ziehen die Götter- vogel durch den stillen Aether, ungezählt sind ihre> Schaaren, majestätisch lang¬ sam ziehen sie durch die Räume der Unendlichkeit einher; die ersten erreicht ein sterbliches Ange nicht, die hintersten sieht keine Zeit vorüberziehen, aber alle trägt das Überschwengliche, alle wird die Gottheit sie in ihren Schooß sammeln." Man könnte dieses pantheistische Hexen-Einmaleins, gegen welches gehalten man die spätere ultramontane Richtung wahrlich mit Unrecht einen Rückschritt nennt, wenn man von den modernen Ausdrücken und von einer gewissen Ge¬ wandtheit im Styl absteht, leicht in Jakob Böhme wiederfinden, jenem stillen Mystiker, dessen Phantasie das eigentliche Vorbild aller unsrer Naturphilosophen gewesen ist. Literarhistorisch aber schließt es sich an die unerwartete Wendung an, welche gleichzeitig die Religion und Kunst, die Philologie und Geschichte, und die Naturwissenschaft nahm, an die Empörung aller poetisch gestimmten Gemüther gegen den Rationalismus, die einseitig mathematische Auffassung des Lebens und seiner bewegenden Kräfte. Der religiöse Rationalismus war durch Kant und Fichte ans die Spitze ge¬ trieben. Wenn man schon in der gesammten protestantischen Bewegung darauf ausgegangen war, alle Kraft und Bedeutung der Religion in dem sittlichen Mo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/456>, abgerufen am 04.07.2024.