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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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sich von der' Politik gänzlich zurückzog, und in einer Stelle am Gymnasium zu
Koblenz lediglich wissenschaftlichen Studien lebte.

In jener Zeit entstanden die Schriften: "Aphorismen über Organonomic"
(1803), "Aphorismen über die Kunst" (l80y. "Exposition der Physiologie"
(-I80S), "Aphorismen über Organologie" (1803), "Glauben und Wissen" (1806).
Ehe wir daran gehen, die Bedeutung dieser Schriften in ihrem Zusammenhang
mit der damaligen Entwickelung der Literatur darzustellen, müssen wir dem Leser
wenigstens eine Probe von dem Ton geben, in dem sie gehalten waren. Wir
wählen ein Fragment ans dem letzten Werke.

"Als die Natur ihren schönsten Sohn, den Menschen, geboren, da freuten
sich alle Götter, wie sie, eine göttliche Madonna, um das geliebte Kind
schwebte. Höhere Wesen, sonuengeboreue unsichtbare Geister, sandte ihm der Vater
als Gespielen zu. Sie pflegten sorgsam seine höheren Kräfte und erklärten ihm
in kindischem Geschwätz die stumm verschwiegenen Hieroglyphen des Lebens,
die Bildersprache, in der sick> die Natur mit ihm unterhielt. Das Kind lernte
die Geheimnisse der Natur und der Götter in den Blumen lesen, aber als seine
Kräfte gewachsen und seine Leidenschaft erwacht war, da mußten die Kinder der
Sonne scheiden, die Erde zog sich in sich selbst zurück, und nur noch in den hohen
Mythen lebte das Göttliche fort____Und kennt ihr das Land, wo die Mensch¬
heit die frohen Kinderjahre lebte? wo die junge Phantasie zuerst in dem Blüthen¬
dufte sich berauschte, und in dem süßen Rausch der ganze Himmel in zauberischen
Visionen sich ergoß? ... ^ An die Ufer des Ganges, da fühlt unser Gemüth von
einem geheimen Zug sich hingelenkt, dahin gelangen wir, wenn wir dem Strom
der heiligen Gesänge bis zur Quelle folgen. schaffend hatte die Gottheit dem
All sich offenbart, da offenbarten nachschaffend die Götter sich in der heiligen
Mythe. Indiens reiche Natur schwellt in dieser Mythe üppig uns entgegen, zarte,
wundervolle Blumen, die mit fremden Augen uns ansehen, in fremder Sprache
zu uns reden. Wie ein heiliges Feuer trugen es die Völker auf ihren Wande¬
rungen umher, nur .matter und matter glühte es auf, wie sie weiter von der
Heimath sich entfernten, aber selbst in der Edda, tief im Eis des Pols, ist die
heilige Gluth nicht erstickt, sie glüht im Innern, wie Islands Feuerberge .. . .
Unser ganzes Wissen richt auf diesen einfach großen Ueberlieferungen der Urwelt.
Diese Welt liegt in der Tiefe der Vergangenheit begraben, selbst die christ¬
liche Mythe dringt nicht so tief in die Mysterien der Religion ein,
als die indische, weil sie durch praktische Tendenzen abgeleitet wird .... Es
ist nun an der Zeit, den Schleier von diesen Mysterien hinwegzuziehen."

Daß der Verstand in diesen Offenbarungen nicht viel Befriedigung finden
wird, darf man heut zu Tage wol kaum mehr sagen, aber es giebt noch Viele unter
uus, denen dergleichen noch für Poesie gilt. Diese dürften enttäuscht werden,
wenn sie an die nähere Auseinandersetzung dieser nur ganz allgemein gehaltenen


sich von der' Politik gänzlich zurückzog, und in einer Stelle am Gymnasium zu
Koblenz lediglich wissenschaftlichen Studien lebte.

In jener Zeit entstanden die Schriften: „Aphorismen über Organonomic"
(1803), „Aphorismen über die Kunst" (l80y. „Exposition der Physiologie"
(-I80S), „Aphorismen über Organologie" (1803), „Glauben und Wissen" (1806).
Ehe wir daran gehen, die Bedeutung dieser Schriften in ihrem Zusammenhang
mit der damaligen Entwickelung der Literatur darzustellen, müssen wir dem Leser
wenigstens eine Probe von dem Ton geben, in dem sie gehalten waren. Wir
wählen ein Fragment ans dem letzten Werke.

„Als die Natur ihren schönsten Sohn, den Menschen, geboren, da freuten
sich alle Götter, wie sie, eine göttliche Madonna, um das geliebte Kind
schwebte. Höhere Wesen, sonuengeboreue unsichtbare Geister, sandte ihm der Vater
als Gespielen zu. Sie pflegten sorgsam seine höheren Kräfte und erklärten ihm
in kindischem Geschwätz die stumm verschwiegenen Hieroglyphen des Lebens,
die Bildersprache, in der sick> die Natur mit ihm unterhielt. Das Kind lernte
die Geheimnisse der Natur und der Götter in den Blumen lesen, aber als seine
Kräfte gewachsen und seine Leidenschaft erwacht war, da mußten die Kinder der
Sonne scheiden, die Erde zog sich in sich selbst zurück, und nur noch in den hohen
Mythen lebte das Göttliche fort____Und kennt ihr das Land, wo die Mensch¬
heit die frohen Kinderjahre lebte? wo die junge Phantasie zuerst in dem Blüthen¬
dufte sich berauschte, und in dem süßen Rausch der ganze Himmel in zauberischen
Visionen sich ergoß? ... ^ An die Ufer des Ganges, da fühlt unser Gemüth von
einem geheimen Zug sich hingelenkt, dahin gelangen wir, wenn wir dem Strom
der heiligen Gesänge bis zur Quelle folgen. schaffend hatte die Gottheit dem
All sich offenbart, da offenbarten nachschaffend die Götter sich in der heiligen
Mythe. Indiens reiche Natur schwellt in dieser Mythe üppig uns entgegen, zarte,
wundervolle Blumen, die mit fremden Augen uns ansehen, in fremder Sprache
zu uns reden. Wie ein heiliges Feuer trugen es die Völker auf ihren Wande¬
rungen umher, nur .matter und matter glühte es auf, wie sie weiter von der
Heimath sich entfernten, aber selbst in der Edda, tief im Eis des Pols, ist die
heilige Gluth nicht erstickt, sie glüht im Innern, wie Islands Feuerberge .. . .
Unser ganzes Wissen richt auf diesen einfach großen Ueberlieferungen der Urwelt.
Diese Welt liegt in der Tiefe der Vergangenheit begraben, selbst die christ¬
liche Mythe dringt nicht so tief in die Mysterien der Religion ein,
als die indische, weil sie durch praktische Tendenzen abgeleitet wird .... Es
ist nun an der Zeit, den Schleier von diesen Mysterien hinwegzuziehen."

Daß der Verstand in diesen Offenbarungen nicht viel Befriedigung finden
wird, darf man heut zu Tage wol kaum mehr sagen, aber es giebt noch Viele unter
uus, denen dergleichen noch für Poesie gilt. Diese dürften enttäuscht werden,
wenn sie an die nähere Auseinandersetzung dieser nur ganz allgemein gehaltenen


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[0455] sich von der' Politik gänzlich zurückzog, und in einer Stelle am Gymnasium zu Koblenz lediglich wissenschaftlichen Studien lebte. In jener Zeit entstanden die Schriften: „Aphorismen über Organonomic" (1803), „Aphorismen über die Kunst" (l80y. „Exposition der Physiologie" (-I80S), „Aphorismen über Organologie" (1803), „Glauben und Wissen" (1806). Ehe wir daran gehen, die Bedeutung dieser Schriften in ihrem Zusammenhang mit der damaligen Entwickelung der Literatur darzustellen, müssen wir dem Leser wenigstens eine Probe von dem Ton geben, in dem sie gehalten waren. Wir wählen ein Fragment ans dem letzten Werke. „Als die Natur ihren schönsten Sohn, den Menschen, geboren, da freuten sich alle Götter, wie sie, eine göttliche Madonna, um das geliebte Kind schwebte. Höhere Wesen, sonuengeboreue unsichtbare Geister, sandte ihm der Vater als Gespielen zu. Sie pflegten sorgsam seine höheren Kräfte und erklärten ihm in kindischem Geschwätz die stumm verschwiegenen Hieroglyphen des Lebens, die Bildersprache, in der sick> die Natur mit ihm unterhielt. Das Kind lernte die Geheimnisse der Natur und der Götter in den Blumen lesen, aber als seine Kräfte gewachsen und seine Leidenschaft erwacht war, da mußten die Kinder der Sonne scheiden, die Erde zog sich in sich selbst zurück, und nur noch in den hohen Mythen lebte das Göttliche fort____Und kennt ihr das Land, wo die Mensch¬ heit die frohen Kinderjahre lebte? wo die junge Phantasie zuerst in dem Blüthen¬ dufte sich berauschte, und in dem süßen Rausch der ganze Himmel in zauberischen Visionen sich ergoß? ... ^ An die Ufer des Ganges, da fühlt unser Gemüth von einem geheimen Zug sich hingelenkt, dahin gelangen wir, wenn wir dem Strom der heiligen Gesänge bis zur Quelle folgen. schaffend hatte die Gottheit dem All sich offenbart, da offenbarten nachschaffend die Götter sich in der heiligen Mythe. Indiens reiche Natur schwellt in dieser Mythe üppig uns entgegen, zarte, wundervolle Blumen, die mit fremden Augen uns ansehen, in fremder Sprache zu uns reden. Wie ein heiliges Feuer trugen es die Völker auf ihren Wande¬ rungen umher, nur .matter und matter glühte es auf, wie sie weiter von der Heimath sich entfernten, aber selbst in der Edda, tief im Eis des Pols, ist die heilige Gluth nicht erstickt, sie glüht im Innern, wie Islands Feuerberge .. . . Unser ganzes Wissen richt auf diesen einfach großen Ueberlieferungen der Urwelt. Diese Welt liegt in der Tiefe der Vergangenheit begraben, selbst die christ¬ liche Mythe dringt nicht so tief in die Mysterien der Religion ein, als die indische, weil sie durch praktische Tendenzen abgeleitet wird .... Es ist nun an der Zeit, den Schleier von diesen Mysterien hinwegzuziehen." Daß der Verstand in diesen Offenbarungen nicht viel Befriedigung finden wird, darf man heut zu Tage wol kaum mehr sagen, aber es giebt noch Viele unter uus, denen dergleichen noch für Poesie gilt. Diese dürften enttäuscht werden, wenn sie an die nähere Auseinandersetzung dieser nur ganz allgemein gehaltenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/455>, abgerufen am 04.07.2024.