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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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fehlte, was allein den Charakter macht, die Integrität des Gemüths und die
Wahrheit gegen sich selbst; und einen gewissen Witz im Combiniren, aber ohne
Schule, ohne Consequenz und ohne wirklichen Inhalt. In literaturhistorischen
Kompendien erinnert man sich noch immer an den wunderlichen Einfall seines
Freundes Adam Müller, ihn neben Shcckspeare und Milton zu stellen, so wie
an einen nicht minder wunderlichen Einfall, der ihn die fünfte der alliirten Mächte
gegen Napoleon nennt. Mit dem'Letztern hat man wol nur sagen wollen, daß
die Stimmung der Völker sich mit den Regierungen gegen das französische Welt¬
reich verband, und es ist auch nicht ganz unrecht, Görres in einem gewissen
Sinn als Repräsentanten dieser öffentlichen Meinung darzustellen, die eben so
unklar, haltlos und verworren war als ihr Prophet; aber wir dürfen jetzt nur
ein beliebiges seiner Bücher zur Hand nehmen, um uns zu überzeugen, daß jene
Zusammenstellung mit Kaiser Alexander so wenig ernst gemeint sein kann, als
seine Zusammenstellung mit Shakspeare.

Die erste Begeisterung für die französische -Revolution war bei Görres noch
viel natürlicher, als bei den deutschen Dichtern, die wie durch ein Wunder ihre
höchsten Ideale in Erfüllung gesetzt sahen. Denn Görres war im vollsten Sinne
des Worts ein Dilettant, ohne classische Bildung, ohne energisches Studium
nach irgend einer bestimmten Richtung hin. Er hatte sich von Vielerlei eine ober¬
flächliche Kenntniß erworben, und was daran fehlte, ersetzte er durch ein dreistes
Pathos und durch Erfindungen einer gänzlich ungenirter Phantasie. Einundzwanzig
Jahr alt, begründete er die Zeitschrift: "Das rothe Blatt" (1797), worin
er für die französischen Ideen Propaganda machte, und als diese unterdrückt
wurde, setzte er sie unter dem Titel: "Rübezahl im neuen Gewände" fort. Die
politischen Ideen dieser Zeitschriften waren nicht originell, dagegen zeichnete sich
der Ton durch eine übermüthige, mitunter an Abraham a Santa Clara er¬
innernde Laune aus. Schon damals mischte er die volksthümlichen Vorstellungen
von Hexen, Gespenstern und Alraune" mit den Idealen der deutschen Philoso¬
phie, diesem Resultat des Protestantismus, der bei dem geborenen Katholiken keine
organische Entwickelung haben konnte. Auch wo eine wahre Empfindung und
ein haltbarer Gedanke mit unterlaufen, werden sie durch Schwulst erstickt. So
in der bekannten Rede, die er in der patriotischen Gesellschaft zu Koblenz -1798
zur Feier der zweite" Einnahme von Mainz hielt, und in welcher die Tyrannen
mit einem Eiser verflucht wurden, der eines mittelalterlichen Priesters würdig
gewesen sein würde.

Die Vorliebe für die französische Republik hörte auf, als Görres bei einer
Sendung nach Paris 1799 Gelegenheit hatte, sich die Militairherrschast in der
Nähe anzusehen. Was ihn empörte, war wol weniger der Despotismus, als
die nüchtern rationalistische Weise des neuen Regiments. Wie dem auch sei, es
macht ihm Ehre, daß er sofort entschieden mit seinen früheren Sympathien brach,


fehlte, was allein den Charakter macht, die Integrität des Gemüths und die
Wahrheit gegen sich selbst; und einen gewissen Witz im Combiniren, aber ohne
Schule, ohne Consequenz und ohne wirklichen Inhalt. In literaturhistorischen
Kompendien erinnert man sich noch immer an den wunderlichen Einfall seines
Freundes Adam Müller, ihn neben Shcckspeare und Milton zu stellen, so wie
an einen nicht minder wunderlichen Einfall, der ihn die fünfte der alliirten Mächte
gegen Napoleon nennt. Mit dem'Letztern hat man wol nur sagen wollen, daß
die Stimmung der Völker sich mit den Regierungen gegen das französische Welt¬
reich verband, und es ist auch nicht ganz unrecht, Görres in einem gewissen
Sinn als Repräsentanten dieser öffentlichen Meinung darzustellen, die eben so
unklar, haltlos und verworren war als ihr Prophet; aber wir dürfen jetzt nur
ein beliebiges seiner Bücher zur Hand nehmen, um uns zu überzeugen, daß jene
Zusammenstellung mit Kaiser Alexander so wenig ernst gemeint sein kann, als
seine Zusammenstellung mit Shakspeare.

Die erste Begeisterung für die französische -Revolution war bei Görres noch
viel natürlicher, als bei den deutschen Dichtern, die wie durch ein Wunder ihre
höchsten Ideale in Erfüllung gesetzt sahen. Denn Görres war im vollsten Sinne
des Worts ein Dilettant, ohne classische Bildung, ohne energisches Studium
nach irgend einer bestimmten Richtung hin. Er hatte sich von Vielerlei eine ober¬
flächliche Kenntniß erworben, und was daran fehlte, ersetzte er durch ein dreistes
Pathos und durch Erfindungen einer gänzlich ungenirter Phantasie. Einundzwanzig
Jahr alt, begründete er die Zeitschrift: „Das rothe Blatt" (1797), worin
er für die französischen Ideen Propaganda machte, und als diese unterdrückt
wurde, setzte er sie unter dem Titel: „Rübezahl im neuen Gewände" fort. Die
politischen Ideen dieser Zeitschriften waren nicht originell, dagegen zeichnete sich
der Ton durch eine übermüthige, mitunter an Abraham a Santa Clara er¬
innernde Laune aus. Schon damals mischte er die volksthümlichen Vorstellungen
von Hexen, Gespenstern und Alraune» mit den Idealen der deutschen Philoso¬
phie, diesem Resultat des Protestantismus, der bei dem geborenen Katholiken keine
organische Entwickelung haben konnte. Auch wo eine wahre Empfindung und
ein haltbarer Gedanke mit unterlaufen, werden sie durch Schwulst erstickt. So
in der bekannten Rede, die er in der patriotischen Gesellschaft zu Koblenz -1798
zur Feier der zweite» Einnahme von Mainz hielt, und in welcher die Tyrannen
mit einem Eiser verflucht wurden, der eines mittelalterlichen Priesters würdig
gewesen sein würde.

Die Vorliebe für die französische Republik hörte auf, als Görres bei einer
Sendung nach Paris 1799 Gelegenheit hatte, sich die Militairherrschast in der
Nähe anzusehen. Was ihn empörte, war wol weniger der Despotismus, als
die nüchtern rationalistische Weise des neuen Regiments. Wie dem auch sei, es
macht ihm Ehre, daß er sofort entschieden mit seinen früheren Sympathien brach,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/454>, abgerufen am 04.07.2024.