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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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erwiderte dieser: "Wir können doch den ganzen Winter, durch die Kartoffeln
nicht ohne Fett essen, wie die Schweine," und der Bauer fand diesen Grund so
schlagend, daß er dem Diebe den Speck schenkte.

Der Grad des Fettkochens ist übrigens ein verschiedener. Die Jeveraner
z. B., welche sogar Butter in die gesottenen Eier bringen, und deren Kohl förm¬
lich in einer See von Fett und Butter schwimmt, rümpfen die Nase über das
angebliche Magerkochen der Stadtoldenbnrger -- was eine himmelschreiende Un¬
gerechtigkeit ist.

In den Städten ist in einfacheren Häusern eine Kost gäng und gäbe, bei welcher
Suppe, Gemüse, Rindfleisch und Kartoffeln zu einem kräftigen Gerichte vereinigend.
Sonntags erscheint dann meist ein enormer Kälberbraten, welchen der Fleischer
aus dem doppelten Grunde zu beschaffen vermag: einmal, weil von dem schönen
Vieh auch schöne Kälber kommen, und dann, weil man sie weit später von der
Kuh nimmt, als anderswo. Kälber mit Fleischerhnnden zu treiben, ist im Olden¬
burgischen durchaus nicht der Brauch. Solches abscheuliche Hetzen, überhaupt
jede Thierquälerei, namentlich auch bei Pferden, würde das Gefühl jener guten
Menschen verletzen. Auf.der Straße von Florenz nach Rom sagte mir ein Vet-
turin, der einmal in Frankfurt gewesen war: "In Deutschland haben es die
Pferde besser, als die Menschen in Italien." Wie überschwänglich würde sich
dieser Mann erst ausgedrückt haben, wenn er Oldenburg gekannt hätte! Was die
Kälber angeht, so werden sie, wie anch das andere Kleinvieh, auf Wagen oder
Schiebkarren von dem Landmann nach der Stadt gebracht; im Nothfall nimmt
er auch das Kalb auf die Schultern.

Wie die südwestdeutsche Küche mehr an die französische erinnert, so die nord¬
westdeutsche an die englische. Die Fleischspeisen jeder Art sind, wie man denken
mag, ausgezeichnet, wenn anch die Blume des Viehs, seitdem die Einfuhr frei¬
gegeben ist, nach England, zum Theil anch in die Küche der reichen bremer Kauf¬
herren geht. Rindfleisch wird häufig gebraten genossen. Bei größeren Essen darf
der englische Plumppudding nicht fehlen. Der sehr delicate rohe Schinken wird
sehr zweckmäßig auf kleinen runden Holzplatten, die neben die Teller gelegt werden,
ganz klein zerschnitten. Gänse hat man von 18, von über 20 Pfunden, obgleich
sie nicht gestopft werden; die Natur mästet hier schon genug. Auch an Fischen
ist kein Mangel. Die kaffeebraunen Moorwasser liefern treffliche Aale in großer
Menge; Riesenhechte kommen zu sehr billigen Preisen aus dem Zwischenahner
See; Seefische, Garnate und Austern schickt das nahe Meer.

Ein Lieblingsgericht und Nativnalessen der Oldenburger jeden Standes ist
der braune Kohl in fettester Zubereitung mit Pinkeln, d.i. Würsten, die seltsamer
Weise mit Gerste und Fett gefüllt sind. So wenig schwunghaft die Gefühle des
Oldeuburgers siud, dieses Gericht kann ihn begeistern; ja es werden förmliche
"Kohlpartien, d. h. Herrenessen in öffentlichen Localen veranstaltet, wobei Kohl


erwiderte dieser: „Wir können doch den ganzen Winter, durch die Kartoffeln
nicht ohne Fett essen, wie die Schweine," und der Bauer fand diesen Grund so
schlagend, daß er dem Diebe den Speck schenkte.

Der Grad des Fettkochens ist übrigens ein verschiedener. Die Jeveraner
z. B., welche sogar Butter in die gesottenen Eier bringen, und deren Kohl förm¬
lich in einer See von Fett und Butter schwimmt, rümpfen die Nase über das
angebliche Magerkochen der Stadtoldenbnrger — was eine himmelschreiende Un¬
gerechtigkeit ist.

In den Städten ist in einfacheren Häusern eine Kost gäng und gäbe, bei welcher
Suppe, Gemüse, Rindfleisch und Kartoffeln zu einem kräftigen Gerichte vereinigend.
Sonntags erscheint dann meist ein enormer Kälberbraten, welchen der Fleischer
aus dem doppelten Grunde zu beschaffen vermag: einmal, weil von dem schönen
Vieh auch schöne Kälber kommen, und dann, weil man sie weit später von der
Kuh nimmt, als anderswo. Kälber mit Fleischerhnnden zu treiben, ist im Olden¬
burgischen durchaus nicht der Brauch. Solches abscheuliche Hetzen, überhaupt
jede Thierquälerei, namentlich auch bei Pferden, würde das Gefühl jener guten
Menschen verletzen. Auf.der Straße von Florenz nach Rom sagte mir ein Vet-
turin, der einmal in Frankfurt gewesen war: „In Deutschland haben es die
Pferde besser, als die Menschen in Italien." Wie überschwänglich würde sich
dieser Mann erst ausgedrückt haben, wenn er Oldenburg gekannt hätte! Was die
Kälber angeht, so werden sie, wie anch das andere Kleinvieh, auf Wagen oder
Schiebkarren von dem Landmann nach der Stadt gebracht; im Nothfall nimmt
er auch das Kalb auf die Schultern.

Wie die südwestdeutsche Küche mehr an die französische erinnert, so die nord¬
westdeutsche an die englische. Die Fleischspeisen jeder Art sind, wie man denken
mag, ausgezeichnet, wenn anch die Blume des Viehs, seitdem die Einfuhr frei¬
gegeben ist, nach England, zum Theil anch in die Küche der reichen bremer Kauf¬
herren geht. Rindfleisch wird häufig gebraten genossen. Bei größeren Essen darf
der englische Plumppudding nicht fehlen. Der sehr delicate rohe Schinken wird
sehr zweckmäßig auf kleinen runden Holzplatten, die neben die Teller gelegt werden,
ganz klein zerschnitten. Gänse hat man von 18, von über 20 Pfunden, obgleich
sie nicht gestopft werden; die Natur mästet hier schon genug. Auch an Fischen
ist kein Mangel. Die kaffeebraunen Moorwasser liefern treffliche Aale in großer
Menge; Riesenhechte kommen zu sehr billigen Preisen aus dem Zwischenahner
See; Seefische, Garnate und Austern schickt das nahe Meer.

Ein Lieblingsgericht und Nativnalessen der Oldenburger jeden Standes ist
der braune Kohl in fettester Zubereitung mit Pinkeln, d.i. Würsten, die seltsamer
Weise mit Gerste und Fett gefüllt sind. So wenig schwunghaft die Gefühle des
Oldeuburgers siud, dieses Gericht kann ihn begeistern; ja es werden förmliche
„Kohlpartien, d. h. Herrenessen in öffentlichen Localen veranstaltet, wobei Kohl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/434>, abgerufen am 24.07.2024.