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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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mit Pinkeln in möglichster Quantität -- man verzeihe den Ausdruck; aber ich
muß wahr sein -- verschlungen wird.

Die Suppen find ein traurig Register. Bier-, Pflaumen- und andere Obst-
suppen jagen mir bei der bloßen Vorstellung einen kleinen Schauder über den Leib.
Salat mit Rahm oder Syrup ist beinahe noch schrecklicher. Ueberhaupt sind wunder¬
liche Verbindungen von Sauer und Süß, merkwürdige Mesalliancen des Geschmackes
beliebt. Komisch und zugleich lästig ist die Sitte der vielen Schüssel,,, Schüsselchen und
Tellerchen, die bei Mahlzeiten zu gleicher Zeit herumgegeben werden, so daß ein
unaufhörlicher Kreislauf, ein Jagen von Gerichten von rechts nach links, von
links nach rechts stattfindet. Führt Jemand ein Gespräch, so kam, recht gut'
zwischen je-drei oder vier Worten eine Schüssel gerechnet werden. Z. B.: "der
oldenbnrger Landtag" -- Rinderbraten -- "hat einen merkwürdigen" -- Ninder-
bratensauce -- "Umschlag erfahren." -- Preiselbeeren -- "Während sonst die'
Rothen" -- Heringssalat -- "ein entschiedenes Uebergewicht hatten" -- Sar¬
dellen -- "ist jetzt eine liberalconservative" -- Himbeereugelve -- "Gothaer
Partei" -- Johannesbeerengelee -- "obenauf" -- Essiggurken. -- "Dies er¬
klärt sich" - Garnate -- "durch den Abfall" - Pickels - "der ländlichen
Bevölkerung," -- Kartoffeln -- "die sich Anfangs" -- grüner Salat -- "durch
die Demokraten" -- eingemachte Kürbisse -- "hatten übertölpeln lassen" --
Essiggurken in Schnitten. -- Entsteht, wie dies so leicht geschehen kann, irgend¬
wo eine Stockung, so könnte man vier Hände gebrauchen, um vier Schüsseln zu¬
gleich zu halten. Und abgesehen von der Noth der Handreichung, welches
Quodlibet von Gerichten sammelt sich nicht bei dieser Sitte aus den Tellern
der Gäste!

Thee wird in den Städten als Abendkost in große'r Feinheit und sehr stark
getrunken. Der Tropfen kalten Radins (Rosen genannt), der hinzugegossen
wird, darf nicht mehr als eine Thräne betrage". Mit großer Verachtung sieht
der norddeutsche auf den nachlässig bereiteten schwachen Thee des Süddeutschen.
Auch sein Kaffee ist meist besser; viel weniger schmackhaft ist dagegen alles Back¬
werk, das zu Thee oder Kaffee genossen wird, wie überhaupt die Mehlspeisen,
weil das feinere Mehl geringer ist.

Die Wasserscheu der Landleute, deren ich oben in Bezug auf Waschen und
Baden gedachte, erstreckt sich auch auf das Trusten. Dies ist nicht allein in der
Marsch der Fall, wo es an trinkbarem Wasser gebricht, wenn man sich nicht mit
Filtrirmaschiuen helfen will, und wo meist der Thee die Stelle des Wassers ver¬
sehen muß, sondern auch auf der Geest, wo es gesundes und hin und wieder
auch recht schmackhaftes Wasser giebt. In einem Dorfe bei der Stadt Olden¬
burg, wo ich Wasser von einem Bauern begehrte, und das Glas, ohne abzu-,
setzen, leerte, sah mir der Mann staunend zu, und meinte dann, ich müsse doch
wol eine recht gute Brust haben. Es ist noch nicht lange her, daß ein Arzt


mit Pinkeln in möglichster Quantität — man verzeihe den Ausdruck; aber ich
muß wahr sein — verschlungen wird.

Die Suppen find ein traurig Register. Bier-, Pflaumen- und andere Obst-
suppen jagen mir bei der bloßen Vorstellung einen kleinen Schauder über den Leib.
Salat mit Rahm oder Syrup ist beinahe noch schrecklicher. Ueberhaupt sind wunder¬
liche Verbindungen von Sauer und Süß, merkwürdige Mesalliancen des Geschmackes
beliebt. Komisch und zugleich lästig ist die Sitte der vielen Schüssel,,, Schüsselchen und
Tellerchen, die bei Mahlzeiten zu gleicher Zeit herumgegeben werden, so daß ein
unaufhörlicher Kreislauf, ein Jagen von Gerichten von rechts nach links, von
links nach rechts stattfindet. Führt Jemand ein Gespräch, so kam, recht gut'
zwischen je-drei oder vier Worten eine Schüssel gerechnet werden. Z. B.: „der
oldenbnrger Landtag" — Rinderbraten — „hat einen merkwürdigen" — Ninder-
bratensauce — „Umschlag erfahren." — Preiselbeeren — „Während sonst die'
Rothen" — Heringssalat — „ein entschiedenes Uebergewicht hatten" — Sar¬
dellen — „ist jetzt eine liberalconservative" — Himbeereugelve — „Gothaer
Partei" — Johannesbeerengelee — „obenauf" — Essiggurken. — „Dies er¬
klärt sich" - Garnate — „durch den Abfall" - Pickels - „der ländlichen
Bevölkerung," — Kartoffeln — „die sich Anfangs" — grüner Salat — „durch
die Demokraten" — eingemachte Kürbisse — „hatten übertölpeln lassen" —
Essiggurken in Schnitten. — Entsteht, wie dies so leicht geschehen kann, irgend¬
wo eine Stockung, so könnte man vier Hände gebrauchen, um vier Schüsseln zu¬
gleich zu halten. Und abgesehen von der Noth der Handreichung, welches
Quodlibet von Gerichten sammelt sich nicht bei dieser Sitte aus den Tellern
der Gäste!

Thee wird in den Städten als Abendkost in große'r Feinheit und sehr stark
getrunken. Der Tropfen kalten Radins (Rosen genannt), der hinzugegossen
wird, darf nicht mehr als eine Thräne betrage«. Mit großer Verachtung sieht
der norddeutsche auf den nachlässig bereiteten schwachen Thee des Süddeutschen.
Auch sein Kaffee ist meist besser; viel weniger schmackhaft ist dagegen alles Back¬
werk, das zu Thee oder Kaffee genossen wird, wie überhaupt die Mehlspeisen,
weil das feinere Mehl geringer ist.

Die Wasserscheu der Landleute, deren ich oben in Bezug auf Waschen und
Baden gedachte, erstreckt sich auch auf das Trusten. Dies ist nicht allein in der
Marsch der Fall, wo es an trinkbarem Wasser gebricht, wenn man sich nicht mit
Filtrirmaschiuen helfen will, und wo meist der Thee die Stelle des Wassers ver¬
sehen muß, sondern auch auf der Geest, wo es gesundes und hin und wieder
auch recht schmackhaftes Wasser giebt. In einem Dorfe bei der Stadt Olden¬
burg, wo ich Wasser von einem Bauern begehrte, und das Glas, ohne abzu-,
setzen, leerte, sah mir der Mann staunend zu, und meinte dann, ich müsse doch
wol eine recht gute Brust haben. Es ist noch nicht lange her, daß ein Arzt


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[0435] mit Pinkeln in möglichster Quantität — man verzeihe den Ausdruck; aber ich muß wahr sein — verschlungen wird. Die Suppen find ein traurig Register. Bier-, Pflaumen- und andere Obst- suppen jagen mir bei der bloßen Vorstellung einen kleinen Schauder über den Leib. Salat mit Rahm oder Syrup ist beinahe noch schrecklicher. Ueberhaupt sind wunder¬ liche Verbindungen von Sauer und Süß, merkwürdige Mesalliancen des Geschmackes beliebt. Komisch und zugleich lästig ist die Sitte der vielen Schüssel,,, Schüsselchen und Tellerchen, die bei Mahlzeiten zu gleicher Zeit herumgegeben werden, so daß ein unaufhörlicher Kreislauf, ein Jagen von Gerichten von rechts nach links, von links nach rechts stattfindet. Führt Jemand ein Gespräch, so kam, recht gut' zwischen je-drei oder vier Worten eine Schüssel gerechnet werden. Z. B.: „der oldenbnrger Landtag" — Rinderbraten — „hat einen merkwürdigen" — Ninder- bratensauce — „Umschlag erfahren." — Preiselbeeren — „Während sonst die' Rothen" — Heringssalat — „ein entschiedenes Uebergewicht hatten" — Sar¬ dellen — „ist jetzt eine liberalconservative" — Himbeereugelve — „Gothaer Partei" — Johannesbeerengelee — „obenauf" — Essiggurken. — „Dies er¬ klärt sich" - Garnate — „durch den Abfall" - Pickels - „der ländlichen Bevölkerung," — Kartoffeln — „die sich Anfangs" — grüner Salat — „durch die Demokraten" — eingemachte Kürbisse — „hatten übertölpeln lassen" — Essiggurken in Schnitten. — Entsteht, wie dies so leicht geschehen kann, irgend¬ wo eine Stockung, so könnte man vier Hände gebrauchen, um vier Schüsseln zu¬ gleich zu halten. Und abgesehen von der Noth der Handreichung, welches Quodlibet von Gerichten sammelt sich nicht bei dieser Sitte aus den Tellern der Gäste! Thee wird in den Städten als Abendkost in große'r Feinheit und sehr stark getrunken. Der Tropfen kalten Radins (Rosen genannt), der hinzugegossen wird, darf nicht mehr als eine Thräne betrage«. Mit großer Verachtung sieht der norddeutsche auf den nachlässig bereiteten schwachen Thee des Süddeutschen. Auch sein Kaffee ist meist besser; viel weniger schmackhaft ist dagegen alles Back¬ werk, das zu Thee oder Kaffee genossen wird, wie überhaupt die Mehlspeisen, weil das feinere Mehl geringer ist. Die Wasserscheu der Landleute, deren ich oben in Bezug auf Waschen und Baden gedachte, erstreckt sich auch auf das Trusten. Dies ist nicht allein in der Marsch der Fall, wo es an trinkbarem Wasser gebricht, wenn man sich nicht mit Filtrirmaschiuen helfen will, und wo meist der Thee die Stelle des Wassers ver¬ sehen muß, sondern auch auf der Geest, wo es gesundes und hin und wieder auch recht schmackhaftes Wasser giebt. In einem Dorfe bei der Stadt Olden¬ burg, wo ich Wasser von einem Bauern begehrte, und das Glas, ohne abzu-, setzen, leerte, sah mir der Mann staunend zu, und meinte dann, ich müsse doch wol eine recht gute Brust haben. Es ist noch nicht lange her, daß ein Arzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/435>, abgerufen am 24.07.2024.