Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reihenweise nach der Stadt zur Kirche kamen: trotz der dünnen Lederschuhe hat¬
ten sie alle denselben plumpen, vorwärts fallenden Gang. Auch in Frankreich-
giebt es viele Gegenden, wo beide Geschlechter von klein auf,Holzschuhe tragen;
wo sogar, was man im Oldenburgischen niemals sieht, in Holzschuhen getanzt
wird, und zwar der Tanz der Grazie, die Quadrille; aber es hat nicht dieselbe
Wirkung, weil quecksilberne Glieder in den Sabvts stecken.

Rasch zu gehen erlaubt dem Oldenburger sein Naturell nicht, wie man ihn
auch höchst selten lausen sieht. "Jetzt wollen wir einmal auskratzen," hörte ich
neulich zwei Pfälzer Landmädchen sagen, die Abends von Mannheim ans nach
ihrem Dorfe zurückkehrten; und nun fegten sie, ohne ihr Geplauder zu unter¬
brechen, aus dem Fußwege der Straße dahin, als ob sie Flügel an den Sohlen
hätten. Zwei Oldenburgerinnen, an ihrer Stelle, zu derselben Eile gezwungen,
' wären in der ersten Viertelstunde ohne Athem gewesen und in Butter zerronnen'

Liebig macht aus dem Umstände, daß die meisten Culturvölker Europa's mehr
Seife verbrauchen, als die Deutschen, einen nachtheiligen Schluß aus unsre Rein¬
lichkeit, und er mag nicht Unrecht haben. Wie dem aber auch sei, sicher wird
der Oldenburger die wenigste Seife uuter den Deutschen brauchen. Da das Land
fast keine Bäche hat, da ferner die Tvrfasche nicht zum Laugen benutzt werden
kann, ist das Waschen, so wie die gründliche Reinigung der Wäsche, sehr erschwert.
Ueberdies erzeugt die Feuerung mit Torf viel fliegenden Schmuz, der sich an
Haut und Kleider hängt. Aus allem Diesem folgt nicht nur, daß auch der feinste
Oldenburger keine gründlich weiße Wäsche hat, sondern daß im Allgemeinen eine
gewisse Demoralisation in Bezug auf Reinlichkeit herrscht, die bei den Handwer¬
kern, der dienenden Klasse und den Landleuten sehr auffallend ist. Letztere tragen'
durchweg selbstvcreitete duukeltrübe Stosse, die auf das Verschlucken von möglichst
viel Schmuz berechnet scheinen; helle Tücher, weiße Schürzen und dergleichen
sieht man nicht, und die Leib- und Bettwäsche wird sehr wenig gewechselt. Selbst
die Herren in der Stadt tragen ihr Hemd eine Woche lang, was in Frankreich,
kein Tagelöhner thut, indem sie mit aufgeklebten Vorhemdchen wenigstens den
Schein reiner Wäsche zu bewahren suchen. Das iron plus ultra von Schmuz
stellen die Leute dar, welche den Sommer dnrch den Tors nach der Stadt fah¬
ren; man sieht sie, auch nach der Arbeit, uicht anders, als in einem wahren
Panzer von schwarzem Staube.

Vom Baden in frischem Wasser aus dem Lande ist so gut wie gar uicht die
Rede. Da die Gelegenheit dazu häufig mangelt, verschmäht man sie nicht selten
da, wo sie sich bietet, und doch ist die, wenn auch nur kurze Sommerhitze nir¬
gends drückender und darum nachtheiliger, als im Sumpflande. Eine Süddeutsche
meiner Bekanntschaft, die, völlig gesund, 'ohne den Arzt zu befragen, Hnnte-
Bäder nahm, wurde häufig von den Oldenburgerinnen wie Eine angeredet, die
damit ein Wagniß bestehe. -- Auch sind die Bade- und namentlich die Schwimm¬
anstalten in der Stadt Oldenburg sehr dürstig.


reihenweise nach der Stadt zur Kirche kamen: trotz der dünnen Lederschuhe hat¬
ten sie alle denselben plumpen, vorwärts fallenden Gang. Auch in Frankreich-
giebt es viele Gegenden, wo beide Geschlechter von klein auf,Holzschuhe tragen;
wo sogar, was man im Oldenburgischen niemals sieht, in Holzschuhen getanzt
wird, und zwar der Tanz der Grazie, die Quadrille; aber es hat nicht dieselbe
Wirkung, weil quecksilberne Glieder in den Sabvts stecken.

Rasch zu gehen erlaubt dem Oldenburger sein Naturell nicht, wie man ihn
auch höchst selten lausen sieht. „Jetzt wollen wir einmal auskratzen," hörte ich
neulich zwei Pfälzer Landmädchen sagen, die Abends von Mannheim ans nach
ihrem Dorfe zurückkehrten; und nun fegten sie, ohne ihr Geplauder zu unter¬
brechen, aus dem Fußwege der Straße dahin, als ob sie Flügel an den Sohlen
hätten. Zwei Oldenburgerinnen, an ihrer Stelle, zu derselben Eile gezwungen,
' wären in der ersten Viertelstunde ohne Athem gewesen und in Butter zerronnen'

Liebig macht aus dem Umstände, daß die meisten Culturvölker Europa's mehr
Seife verbrauchen, als die Deutschen, einen nachtheiligen Schluß aus unsre Rein¬
lichkeit, und er mag nicht Unrecht haben. Wie dem aber auch sei, sicher wird
der Oldenburger die wenigste Seife uuter den Deutschen brauchen. Da das Land
fast keine Bäche hat, da ferner die Tvrfasche nicht zum Laugen benutzt werden
kann, ist das Waschen, so wie die gründliche Reinigung der Wäsche, sehr erschwert.
Ueberdies erzeugt die Feuerung mit Torf viel fliegenden Schmuz, der sich an
Haut und Kleider hängt. Aus allem Diesem folgt nicht nur, daß auch der feinste
Oldenburger keine gründlich weiße Wäsche hat, sondern daß im Allgemeinen eine
gewisse Demoralisation in Bezug auf Reinlichkeit herrscht, die bei den Handwer¬
kern, der dienenden Klasse und den Landleuten sehr auffallend ist. Letztere tragen'
durchweg selbstvcreitete duukeltrübe Stosse, die auf das Verschlucken von möglichst
viel Schmuz berechnet scheinen; helle Tücher, weiße Schürzen und dergleichen
sieht man nicht, und die Leib- und Bettwäsche wird sehr wenig gewechselt. Selbst
die Herren in der Stadt tragen ihr Hemd eine Woche lang, was in Frankreich,
kein Tagelöhner thut, indem sie mit aufgeklebten Vorhemdchen wenigstens den
Schein reiner Wäsche zu bewahren suchen. Das iron plus ultra von Schmuz
stellen die Leute dar, welche den Sommer dnrch den Tors nach der Stadt fah¬
ren; man sieht sie, auch nach der Arbeit, uicht anders, als in einem wahren
Panzer von schwarzem Staube.

Vom Baden in frischem Wasser aus dem Lande ist so gut wie gar uicht die
Rede. Da die Gelegenheit dazu häufig mangelt, verschmäht man sie nicht selten
da, wo sie sich bietet, und doch ist die, wenn auch nur kurze Sommerhitze nir¬
gends drückender und darum nachtheiliger, als im Sumpflande. Eine Süddeutsche
meiner Bekanntschaft, die, völlig gesund, 'ohne den Arzt zu befragen, Hnnte-
Bäder nahm, wurde häufig von den Oldenburgerinnen wie Eine angeredet, die
damit ein Wagniß bestehe. — Auch sind die Bade- und namentlich die Schwimm¬
anstalten in der Stadt Oldenburg sehr dürstig.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94331"/>
            <p xml:id="ID_1230" prev="#ID_1229"> reihenweise nach der Stadt zur Kirche kamen: trotz der dünnen Lederschuhe hat¬<lb/>
ten sie alle denselben plumpen, vorwärts fallenden Gang. Auch in Frankreich-<lb/>
giebt es viele Gegenden, wo beide Geschlechter von klein auf,Holzschuhe tragen;<lb/>
wo sogar, was man im Oldenburgischen niemals sieht, in Holzschuhen getanzt<lb/>
wird, und zwar der Tanz der Grazie, die Quadrille; aber es hat nicht dieselbe<lb/>
Wirkung, weil quecksilberne Glieder in den Sabvts stecken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1231"> Rasch zu gehen erlaubt dem Oldenburger sein Naturell nicht, wie man ihn<lb/>
auch höchst selten lausen sieht. &#x201E;Jetzt wollen wir einmal auskratzen," hörte ich<lb/>
neulich zwei Pfälzer Landmädchen sagen, die Abends von Mannheim ans nach<lb/>
ihrem Dorfe zurückkehrten; und nun fegten sie, ohne ihr Geplauder zu unter¬<lb/>
brechen, aus dem Fußwege der Straße dahin, als ob sie Flügel an den Sohlen<lb/>
hätten. Zwei Oldenburgerinnen, an ihrer Stelle, zu derselben Eile gezwungen,<lb/>
' wären in der ersten Viertelstunde ohne Athem gewesen und in Butter zerronnen'</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1232"> Liebig macht aus dem Umstände, daß die meisten Culturvölker Europa's mehr<lb/>
Seife verbrauchen, als die Deutschen, einen nachtheiligen Schluß aus unsre Rein¬<lb/>
lichkeit, und er mag nicht Unrecht haben. Wie dem aber auch sei, sicher wird<lb/>
der Oldenburger die wenigste Seife uuter den Deutschen brauchen. Da das Land<lb/>
fast keine Bäche hat, da ferner die Tvrfasche nicht zum Laugen benutzt werden<lb/>
kann, ist das Waschen, so wie die gründliche Reinigung der Wäsche, sehr erschwert.<lb/>
Ueberdies erzeugt die Feuerung mit Torf viel fliegenden Schmuz, der sich an<lb/>
Haut und Kleider hängt. Aus allem Diesem folgt nicht nur, daß auch der feinste<lb/>
Oldenburger keine gründlich weiße Wäsche hat, sondern daß im Allgemeinen eine<lb/>
gewisse Demoralisation in Bezug auf Reinlichkeit herrscht, die bei den Handwer¬<lb/>
kern, der dienenden Klasse und den Landleuten sehr auffallend ist. Letztere tragen'<lb/>
durchweg selbstvcreitete duukeltrübe Stosse, die auf das Verschlucken von möglichst<lb/>
viel Schmuz berechnet scheinen; helle Tücher, weiße Schürzen und dergleichen<lb/>
sieht man nicht, und die Leib- und Bettwäsche wird sehr wenig gewechselt. Selbst<lb/>
die Herren in der Stadt tragen ihr Hemd eine Woche lang, was in Frankreich,<lb/>
kein Tagelöhner thut, indem sie mit aufgeklebten Vorhemdchen wenigstens den<lb/>
Schein reiner Wäsche zu bewahren suchen. Das iron plus ultra von Schmuz<lb/>
stellen die Leute dar, welche den Sommer dnrch den Tors nach der Stadt fah¬<lb/>
ren; man sieht sie, auch nach der Arbeit, uicht anders, als in einem wahren<lb/>
Panzer von schwarzem Staube.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1233"> Vom Baden in frischem Wasser aus dem Lande ist so gut wie gar uicht die<lb/>
Rede. Da die Gelegenheit dazu häufig mangelt, verschmäht man sie nicht selten<lb/>
da, wo sie sich bietet, und doch ist die, wenn auch nur kurze Sommerhitze nir¬<lb/>
gends drückender und darum nachtheiliger, als im Sumpflande. Eine Süddeutsche<lb/>
meiner Bekanntschaft, die, völlig gesund, 'ohne den Arzt zu befragen, Hnnte-<lb/>
Bäder nahm, wurde häufig von den Oldenburgerinnen wie Eine angeredet, die<lb/>
damit ein Wagniß bestehe. &#x2014; Auch sind die Bade- und namentlich die Schwimm¬<lb/>
anstalten in der Stadt Oldenburg sehr dürstig.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] reihenweise nach der Stadt zur Kirche kamen: trotz der dünnen Lederschuhe hat¬ ten sie alle denselben plumpen, vorwärts fallenden Gang. Auch in Frankreich- giebt es viele Gegenden, wo beide Geschlechter von klein auf,Holzschuhe tragen; wo sogar, was man im Oldenburgischen niemals sieht, in Holzschuhen getanzt wird, und zwar der Tanz der Grazie, die Quadrille; aber es hat nicht dieselbe Wirkung, weil quecksilberne Glieder in den Sabvts stecken. Rasch zu gehen erlaubt dem Oldenburger sein Naturell nicht, wie man ihn auch höchst selten lausen sieht. „Jetzt wollen wir einmal auskratzen," hörte ich neulich zwei Pfälzer Landmädchen sagen, die Abends von Mannheim ans nach ihrem Dorfe zurückkehrten; und nun fegten sie, ohne ihr Geplauder zu unter¬ brechen, aus dem Fußwege der Straße dahin, als ob sie Flügel an den Sohlen hätten. Zwei Oldenburgerinnen, an ihrer Stelle, zu derselben Eile gezwungen, ' wären in der ersten Viertelstunde ohne Athem gewesen und in Butter zerronnen' Liebig macht aus dem Umstände, daß die meisten Culturvölker Europa's mehr Seife verbrauchen, als die Deutschen, einen nachtheiligen Schluß aus unsre Rein¬ lichkeit, und er mag nicht Unrecht haben. Wie dem aber auch sei, sicher wird der Oldenburger die wenigste Seife uuter den Deutschen brauchen. Da das Land fast keine Bäche hat, da ferner die Tvrfasche nicht zum Laugen benutzt werden kann, ist das Waschen, so wie die gründliche Reinigung der Wäsche, sehr erschwert. Ueberdies erzeugt die Feuerung mit Torf viel fliegenden Schmuz, der sich an Haut und Kleider hängt. Aus allem Diesem folgt nicht nur, daß auch der feinste Oldenburger keine gründlich weiße Wäsche hat, sondern daß im Allgemeinen eine gewisse Demoralisation in Bezug auf Reinlichkeit herrscht, die bei den Handwer¬ kern, der dienenden Klasse und den Landleuten sehr auffallend ist. Letztere tragen' durchweg selbstvcreitete duukeltrübe Stosse, die auf das Verschlucken von möglichst viel Schmuz berechnet scheinen; helle Tücher, weiße Schürzen und dergleichen sieht man nicht, und die Leib- und Bettwäsche wird sehr wenig gewechselt. Selbst die Herren in der Stadt tragen ihr Hemd eine Woche lang, was in Frankreich, kein Tagelöhner thut, indem sie mit aufgeklebten Vorhemdchen wenigstens den Schein reiner Wäsche zu bewahren suchen. Das iron plus ultra von Schmuz stellen die Leute dar, welche den Sommer dnrch den Tors nach der Stadt fah¬ ren; man sieht sie, auch nach der Arbeit, uicht anders, als in einem wahren Panzer von schwarzem Staube. Vom Baden in frischem Wasser aus dem Lande ist so gut wie gar uicht die Rede. Da die Gelegenheit dazu häufig mangelt, verschmäht man sie nicht selten da, wo sie sich bietet, und doch ist die, wenn auch nur kurze Sommerhitze nir¬ gends drückender und darum nachtheiliger, als im Sumpflande. Eine Süddeutsche meiner Bekanntschaft, die, völlig gesund, 'ohne den Arzt zu befragen, Hnnte- Bäder nahm, wurde häufig von den Oldenburgerinnen wie Eine angeredet, die damit ein Wagniß bestehe. — Auch sind die Bade- und namentlich die Schwimm¬ anstalten in der Stadt Oldenburg sehr dürstig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/430>, abgerufen am 24.07.2024.