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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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wenn es sagt: De Minsk hadert sick npt Otter, als i>e Winterswin.
(Der Mensch bessert sich mit dem Alter, wie die Winterschweine.)

Den kälbergroßeu Kindern entsprechen natürlich nicht allein große Männer,
sondern auch große Weiber. Wirklich sieht man hünenhafte Gestalten, und mich
wundert es gar nicht, daß einst ein Franzose, der solch einem Weibe in der
Stadt Oldenburg an einer Straßenecke begegnete, staunend anhielt und dann in
den Ruf ausbrach: ?ar vieu, si. vous ü, ?aris, ^ vous tvrais ^KrvNÄÄivr.
Natürlich ist hier von den Weibern auf dem Lande und nicht von den Damen
in der Stadt die Rede, die als Kinder nicht in dem Grade gestopft und syste¬
matisch genndelt werden, wie die Bauernkinder, und deren "Besserwerden" des¬
halb mit Maß vor sich geht, während es auf dem Lande leicht aus allen Fugen
weicht. Ergötzlich ist es auch, die Recruten anzusehn, wozu in der Hauptstadt,
wo die sämmtliche Mannschaft ausgebildet wird, Gelegenheit genug ist. Auderswv
hat das männliche Geschlecht, so viel Embonpoint es in reiferen Jahren anch
gewinnen mag, doch im Jünglingsalter eine schlanke Gestalt oder wenigstens eine
Taille. Der vldenburger Recrut hat gar keine Taille; die Linien seines Körpers
laufen, wie beim Seehund, von den Schultern zu den Hüften ohne Einbiegung
fort. Ein Offizier, gegen den ich mich darüber aussprach, meinte, daran, trügen
die wollenen Leibjacken, die sast jeder Oldenburger vou klein aus des feuchten
Klimas wegen trägt, die Schuld; allein die Sache liegt offenbar anders: die vie¬
len Speckstücke, die der Recrut daheim von früh auf hat verzehren müssen, sitzen
ihm lebendig ans den Rippen.

In dem Gange des Menschen spricht sich vorzugsweise die Lebendigkeit sei¬
nes Naturells aus. Franzose", Italiener, Spanier, Polen, Griechen zeichnen
sich vor den Deutschen und überhaupt vor den Völkern germanischer Abstam¬
mung -- man denke nur an deu Grenadicrschritt der Engländerinnen -- durch
Gang und Haltung aus. Unter den Deutschen weiß der Tyroler seinen Körper
gut zu tragen; er ist eben so frei von dem steifen Nacken des Soldaten, wie
von der hohlen Brust der meisten Landleute. Der Oldenburger ist sein volles
Gegentheil. Von dem Gange des Marschbewohners war schon oben die Rede;
aber auch der Geestländer schreitet, wie mit bleiernen Füßen. Es mag dies zum
Theil vou den Holzschuhen herrühren, die von der ärmern Klasse von klein
ans die ganze Woche durch -- Barfüßige sieht man fast nie -- von den ver¬
mögenden Landleute" wenigstens häufig bei der Arbeit gebraucht werden. An
.der schlechten Haltung ist ohne Zweifel auch das über die Schultern gehende
Tragholz Schuld, an dem. besonders das weibliche Geschlecht Wasser, Milch,
Spülicht und hundert andere Dinge in Eimern trägt, während man in Gegen¬
den, wo die Last aus dem Kopfe getragen wird, überall die beste Haltung ge¬
wahrt. Ost habe ich in dieser Hinficht die Landuuidcheu beobachtet, die doch
nach Alter und Geschlecht leichten Schrittes sein sollten, wenn sie Sonntags


Grenzbow. n. 186S.' ' . ^ . .... .........N

wenn es sagt: De Minsk hadert sick npt Otter, als i>e Winterswin.
(Der Mensch bessert sich mit dem Alter, wie die Winterschweine.)

Den kälbergroßeu Kindern entsprechen natürlich nicht allein große Männer,
sondern auch große Weiber. Wirklich sieht man hünenhafte Gestalten, und mich
wundert es gar nicht, daß einst ein Franzose, der solch einem Weibe in der
Stadt Oldenburg an einer Straßenecke begegnete, staunend anhielt und dann in
den Ruf ausbrach: ?ar vieu, si. vous ü, ?aris, ^ vous tvrais ^KrvNÄÄivr.
Natürlich ist hier von den Weibern auf dem Lande und nicht von den Damen
in der Stadt die Rede, die als Kinder nicht in dem Grade gestopft und syste¬
matisch genndelt werden, wie die Bauernkinder, und deren „Besserwerden" des¬
halb mit Maß vor sich geht, während es auf dem Lande leicht aus allen Fugen
weicht. Ergötzlich ist es auch, die Recruten anzusehn, wozu in der Hauptstadt,
wo die sämmtliche Mannschaft ausgebildet wird, Gelegenheit genug ist. Auderswv
hat das männliche Geschlecht, so viel Embonpoint es in reiferen Jahren anch
gewinnen mag, doch im Jünglingsalter eine schlanke Gestalt oder wenigstens eine
Taille. Der vldenburger Recrut hat gar keine Taille; die Linien seines Körpers
laufen, wie beim Seehund, von den Schultern zu den Hüften ohne Einbiegung
fort. Ein Offizier, gegen den ich mich darüber aussprach, meinte, daran, trügen
die wollenen Leibjacken, die sast jeder Oldenburger vou klein aus des feuchten
Klimas wegen trägt, die Schuld; allein die Sache liegt offenbar anders: die vie¬
len Speckstücke, die der Recrut daheim von früh auf hat verzehren müssen, sitzen
ihm lebendig ans den Rippen.

In dem Gange des Menschen spricht sich vorzugsweise die Lebendigkeit sei¬
nes Naturells aus. Franzose», Italiener, Spanier, Polen, Griechen zeichnen
sich vor den Deutschen und überhaupt vor den Völkern germanischer Abstam¬
mung — man denke nur an deu Grenadicrschritt der Engländerinnen — durch
Gang und Haltung aus. Unter den Deutschen weiß der Tyroler seinen Körper
gut zu tragen; er ist eben so frei von dem steifen Nacken des Soldaten, wie
von der hohlen Brust der meisten Landleute. Der Oldenburger ist sein volles
Gegentheil. Von dem Gange des Marschbewohners war schon oben die Rede;
aber auch der Geestländer schreitet, wie mit bleiernen Füßen. Es mag dies zum
Theil vou den Holzschuhen herrühren, die von der ärmern Klasse von klein
ans die ganze Woche durch — Barfüßige sieht man fast nie — von den ver¬
mögenden Landleute» wenigstens häufig bei der Arbeit gebraucht werden. An
.der schlechten Haltung ist ohne Zweifel auch das über die Schultern gehende
Tragholz Schuld, an dem. besonders das weibliche Geschlecht Wasser, Milch,
Spülicht und hundert andere Dinge in Eimern trägt, während man in Gegen¬
den, wo die Last aus dem Kopfe getragen wird, überall die beste Haltung ge¬
wahrt. Ost habe ich in dieser Hinficht die Landuuidcheu beobachtet, die doch
nach Alter und Geschlecht leichten Schrittes sein sollten, wenn sie Sonntags


Grenzbow. n. 186S.' ' . ^ . .... .........N
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/429>, abgerufen am 24.07.2024.