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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die ans dem Amtmann, dem Geistlichen und einigen Notabeln besteht, sämmtliche
special-Directionen des Herzogtums aber unter einer General-Direction in der
Stadt Oldenburg stehen. Zur Bestreitung der erforderlichen Geldmittel wird
von dem Staat eine beträchtliche Steuer erhoben. Dieselbe belief sich z. B. in
der Stadt Oldenburg in den letzten Jahren auf 1 Thlr. -I0Ggr. von 100Thlrn.
Einnahme, auf -I Thlr. 2 Ggr. von -1000 Thlrn. Capitalvermögen. Jeder
verarmte Oldenburger hat Anspruch auf Versorgung aus dieser Kasse; Wohnung,
Feuerung, Nahrung, Kleidung, Arzt und Krankenpflege, wie auch Schulunter¬
richt, werden im Nothfall aus ihr bestritten; ist die Amme der armen Familie,
die Kuh, zu Grunde gegangen, so schafft ihr die Armenbehörde eine neue an.

Indessen wird die Armenkasse nicht so viel in Anspruch genommen, als man
denken sollte, da es für eine Schande gilt, Unterstützung aus öffentlichen Mit¬
teln zu erhalten, und zwar nicht allein für den Empfänger, sondern auch für
seine Familie im weitesten Sinne des Worts. Auch suchen weit eher Fremde
oder Kinder von Fremden, die im Lande noch weniger Anhang haben, als Ein¬
heimische, welche schon eher Hilfe bei den Angehörigen finden, um Unterstützung
nach. In der That geht der Stolz, von der Armcndirection Nichts zu empfan¬
gen, sehr weit. Als der Winter von zu 43 gar kein Ende nehmen wollte,
und die Vorräthe der Unbemittelten aufgezehrt waren, ohne daß neue geschafft
werden konnten, indem die zu Stein gewordene Erde die gewöhnlichen Frühlings¬
arbeiten nicht erlaubte, damals herrschte die Noth auch in vielen Hütten des
oldenburger Landes. Neben der Armensteuer wurden sehr beträchtliche milde
Beiträge zusammengebracht, um allerwärts Hilfe spenden zu können; aber bald
zeigte sich, daß viele Nothleidende aus Scham den wiederholt an sie ergangenen
Anforderungen, sich namhaft zu macheu, nicht entsprachen, weil sie bisher aus
der Armenkasse noch Nichts empfangen hatten und durch Empfang milder Gaben
sich zu beflecken fürchteten. Um ihnen dennoch Hilfe zu gewähren, besuchte 'man
die von den Kirchspielvögten bezeichneten Hütten, und fand ganze Familien ohne
Nahrung und Feuer, in stummer Resignation dem Hungertode entgegensehend.

Völlig entgegengesetzter Art ist dagegen das Verhalten Derer, die durch
wiederholten Empfang von Armenspenden jenes gewiß edle Gefühl abgestumpft
haben. Sie betrachten sich nur zu oft als Pensionaire des Staates, die nur zu
fordern und zu commandiren brauchen, so oft sie irgendwo der Schuh drückt, ohne
zuvor zu untersuchen, ob sie nicht selber im Stande sind sich zu helfen. Das ist die
Schattenseite der oldenburger Armeuanstalten. So kam in der Winterzeit ein
Mann zu Goldschmidt, der ihn um seine Verwendung bei der Armenbehörde
bat, indem seine Familie seit vierzehn Tagen Nichts als Brod, Kartoffeln und
Salz -- ohne Butter -- genossen habe. Als ihm um Goldschmidt zu bedenken
gab, daß er als rüstiger Mann seine Familie recht wohl ernähren könne, wenn
er mir arbeiten und den Branntwein lassen wolle; so antwortete er naiv: Dat


die ans dem Amtmann, dem Geistlichen und einigen Notabeln besteht, sämmtliche
special-Directionen des Herzogtums aber unter einer General-Direction in der
Stadt Oldenburg stehen. Zur Bestreitung der erforderlichen Geldmittel wird
von dem Staat eine beträchtliche Steuer erhoben. Dieselbe belief sich z. B. in
der Stadt Oldenburg in den letzten Jahren auf 1 Thlr. -I0Ggr. von 100Thlrn.
Einnahme, auf -I Thlr. 2 Ggr. von -1000 Thlrn. Capitalvermögen. Jeder
verarmte Oldenburger hat Anspruch auf Versorgung aus dieser Kasse; Wohnung,
Feuerung, Nahrung, Kleidung, Arzt und Krankenpflege, wie auch Schulunter¬
richt, werden im Nothfall aus ihr bestritten; ist die Amme der armen Familie,
die Kuh, zu Grunde gegangen, so schafft ihr die Armenbehörde eine neue an.

Indessen wird die Armenkasse nicht so viel in Anspruch genommen, als man
denken sollte, da es für eine Schande gilt, Unterstützung aus öffentlichen Mit¬
teln zu erhalten, und zwar nicht allein für den Empfänger, sondern auch für
seine Familie im weitesten Sinne des Worts. Auch suchen weit eher Fremde
oder Kinder von Fremden, die im Lande noch weniger Anhang haben, als Ein¬
heimische, welche schon eher Hilfe bei den Angehörigen finden, um Unterstützung
nach. In der That geht der Stolz, von der Armcndirection Nichts zu empfan¬
gen, sehr weit. Als der Winter von zu 43 gar kein Ende nehmen wollte,
und die Vorräthe der Unbemittelten aufgezehrt waren, ohne daß neue geschafft
werden konnten, indem die zu Stein gewordene Erde die gewöhnlichen Frühlings¬
arbeiten nicht erlaubte, damals herrschte die Noth auch in vielen Hütten des
oldenburger Landes. Neben der Armensteuer wurden sehr beträchtliche milde
Beiträge zusammengebracht, um allerwärts Hilfe spenden zu können; aber bald
zeigte sich, daß viele Nothleidende aus Scham den wiederholt an sie ergangenen
Anforderungen, sich namhaft zu macheu, nicht entsprachen, weil sie bisher aus
der Armenkasse noch Nichts empfangen hatten und durch Empfang milder Gaben
sich zu beflecken fürchteten. Um ihnen dennoch Hilfe zu gewähren, besuchte 'man
die von den Kirchspielvögten bezeichneten Hütten, und fand ganze Familien ohne
Nahrung und Feuer, in stummer Resignation dem Hungertode entgegensehend.

Völlig entgegengesetzter Art ist dagegen das Verhalten Derer, die durch
wiederholten Empfang von Armenspenden jenes gewiß edle Gefühl abgestumpft
haben. Sie betrachten sich nur zu oft als Pensionaire des Staates, die nur zu
fordern und zu commandiren brauchen, so oft sie irgendwo der Schuh drückt, ohne
zuvor zu untersuchen, ob sie nicht selber im Stande sind sich zu helfen. Das ist die
Schattenseite der oldenburger Armeuanstalten. So kam in der Winterzeit ein
Mann zu Goldschmidt, der ihn um seine Verwendung bei der Armenbehörde
bat, indem seine Familie seit vierzehn Tagen Nichts als Brod, Kartoffeln und
Salz — ohne Butter — genossen habe. Als ihm um Goldschmidt zu bedenken
gab, daß er als rüstiger Mann seine Familie recht wohl ernähren könne, wenn
er mir arbeiten und den Branntwein lassen wolle; so antwortete er naiv: Dat


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[0426] die ans dem Amtmann, dem Geistlichen und einigen Notabeln besteht, sämmtliche special-Directionen des Herzogtums aber unter einer General-Direction in der Stadt Oldenburg stehen. Zur Bestreitung der erforderlichen Geldmittel wird von dem Staat eine beträchtliche Steuer erhoben. Dieselbe belief sich z. B. in der Stadt Oldenburg in den letzten Jahren auf 1 Thlr. -I0Ggr. von 100Thlrn. Einnahme, auf -I Thlr. 2 Ggr. von -1000 Thlrn. Capitalvermögen. Jeder verarmte Oldenburger hat Anspruch auf Versorgung aus dieser Kasse; Wohnung, Feuerung, Nahrung, Kleidung, Arzt und Krankenpflege, wie auch Schulunter¬ richt, werden im Nothfall aus ihr bestritten; ist die Amme der armen Familie, die Kuh, zu Grunde gegangen, so schafft ihr die Armenbehörde eine neue an. Indessen wird die Armenkasse nicht so viel in Anspruch genommen, als man denken sollte, da es für eine Schande gilt, Unterstützung aus öffentlichen Mit¬ teln zu erhalten, und zwar nicht allein für den Empfänger, sondern auch für seine Familie im weitesten Sinne des Worts. Auch suchen weit eher Fremde oder Kinder von Fremden, die im Lande noch weniger Anhang haben, als Ein¬ heimische, welche schon eher Hilfe bei den Angehörigen finden, um Unterstützung nach. In der That geht der Stolz, von der Armcndirection Nichts zu empfan¬ gen, sehr weit. Als der Winter von zu 43 gar kein Ende nehmen wollte, und die Vorräthe der Unbemittelten aufgezehrt waren, ohne daß neue geschafft werden konnten, indem die zu Stein gewordene Erde die gewöhnlichen Frühlings¬ arbeiten nicht erlaubte, damals herrschte die Noth auch in vielen Hütten des oldenburger Landes. Neben der Armensteuer wurden sehr beträchtliche milde Beiträge zusammengebracht, um allerwärts Hilfe spenden zu können; aber bald zeigte sich, daß viele Nothleidende aus Scham den wiederholt an sie ergangenen Anforderungen, sich namhaft zu macheu, nicht entsprachen, weil sie bisher aus der Armenkasse noch Nichts empfangen hatten und durch Empfang milder Gaben sich zu beflecken fürchteten. Um ihnen dennoch Hilfe zu gewähren, besuchte 'man die von den Kirchspielvögten bezeichneten Hütten, und fand ganze Familien ohne Nahrung und Feuer, in stummer Resignation dem Hungertode entgegensehend. Völlig entgegengesetzter Art ist dagegen das Verhalten Derer, die durch wiederholten Empfang von Armenspenden jenes gewiß edle Gefühl abgestumpft haben. Sie betrachten sich nur zu oft als Pensionaire des Staates, die nur zu fordern und zu commandiren brauchen, so oft sie irgendwo der Schuh drückt, ohne zuvor zu untersuchen, ob sie nicht selber im Stande sind sich zu helfen. Das ist die Schattenseite der oldenburger Armeuanstalten. So kam in der Winterzeit ein Mann zu Goldschmidt, der ihn um seine Verwendung bei der Armenbehörde bat, indem seine Familie seit vierzehn Tagen Nichts als Brod, Kartoffeln und Salz — ohne Butter — genossen habe. Als ihm um Goldschmidt zu bedenken gab, daß er als rüstiger Mann seine Familie recht wohl ernähren könne, wenn er mir arbeiten und den Branntwein lassen wolle; so antwortete er naiv: Dat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/426>, abgerufen am 24.07.2024.