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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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mögenden im Herzogthum sein mag, so giebt es doch keinen Millionair; anderer¬
seits sind aber auch selbst in der arbeitenden Klasse die Familien sehr selten,
die nicht ihre Kuh im Stalle haben und jährlich ein Schwein schlachten. De
Armot kickt (guckt) dem Arbeitsamen wol in de Finster, aber se kummt
em nich in 't Huus, ist ein schönes oldenburger Sprichwort, das auch seine
volle Wahrheit hat. -Wer arbeiten will, findet Arbeit zu gutem Lohne; kurz,
das Herzogthum erfreuet sich des seltenen Glücks, gänzlich frei von Proletariat
zu sein. In der That ist es eine wahre Freude, deu Taglöhner zu sehn, wenn
er, vou der Arbeit ruhend, sein Vesperbrod nimmt, und- ein enormes Stück
Schwarzbrod mit einer dicken Lage Butter bestreicht, und diese Butter noch ein¬
mal mit einer Schicht Speck belegt -- was er, beiläufig gesagt, nicht nur be¬
zahlen, sondern auch verbauen kann. Der blasse, grimmige.Hunger, der zu hun¬
dert Verbrechen treibt, setzt seinen Fuß nicht in jene Gegenden, und auch der
Bettel, jene Eiterbeule so vieler und namentlich katholischer Länder, wird fast
nur vou Fremden, und dazu nur heimlicher Weise, geübt.

Die Ursachen dieses allgemeinen, Wohlstandes, um den manches weit glän¬
zendere Land Oldenburg zu beneiden hat, sind leicht zu ergründen. Da die
Bauerngüter meist nur so groß sind, daß sie einer Familie eine behagliche
Existenz gewähren: so erzeugen sie keine übermäßige Capitalanhäufung, bei der
Einer mit Schätzen überschüttet wird, während tausend Andere hungern. Eben
so wenig geben Fabriken oder Handel Gelegenheit dazu, weil beide unbedeutend
sind. Da die Stellen immer nur auf Einen vererben, so bleiben von den Nicht¬
Erben jedenfalls die oben erwähnten "vie Jungens" unverheiratet; die Zahl
der Ehen ist also geringer als anderswo. Erwägt man ferner, daß die Familien
weniger Kinder zählen, nicht allein weil später geheirathet wird, sondern ^no.
weil eine größere Anzahl Ehen unfruchtbar oder weniger fruchtbar sind, was in
der Trägheit der Naturen seinen Grund haben mag: so erklärt sich leicht die
dünne Bevölkerung und, das überall fühlbare Bedürfniß nach Arbeitern. Zwar
sucht mancher Arbeiter benachbarter Staaten im Herzogthum Beschäftigung; dafür
werden dem Lande aber auch viele Hände durch die Abwesenheit der Holland¬
gänger und der Matrosen, die sich ans fremde Schiffe verdingen, und von denen
immer viele ein Opfer der See werden, entzogen.

Tritt nun aber dennoch Noth ein, sei es, daß eine Familie durch lange
Krankheit des Ernährers heimgesucht wird, sei es, daß der Branntwein seine
verheerenden Wirkungen äußert, wie ich das weiter unten auszuführen habe, sei
es, daß eine allgemeine Kalamität, wie z. B. ein Deichbruch, Verderben über
Viele zugleich bringt: so läßt es die Behörde, ganz abgesehen von der großen
Wohlthätigkeit der Privaten, doch niemals zum Aeußersten kommen. Es ver¬
breitet sich nämlich über das ganze Land ein Netz von Armenanstalten in der
Weise, daß sich in jedem Kirchspiel eine special-Direction des Armenwesens findet,


mögenden im Herzogthum sein mag, so giebt es doch keinen Millionair; anderer¬
seits sind aber auch selbst in der arbeitenden Klasse die Familien sehr selten,
die nicht ihre Kuh im Stalle haben und jährlich ein Schwein schlachten. De
Armot kickt (guckt) dem Arbeitsamen wol in de Finster, aber se kummt
em nich in 't Huus, ist ein schönes oldenburger Sprichwort, das auch seine
volle Wahrheit hat. -Wer arbeiten will, findet Arbeit zu gutem Lohne; kurz,
das Herzogthum erfreuet sich des seltenen Glücks, gänzlich frei von Proletariat
zu sein. In der That ist es eine wahre Freude, deu Taglöhner zu sehn, wenn
er, vou der Arbeit ruhend, sein Vesperbrod nimmt, und- ein enormes Stück
Schwarzbrod mit einer dicken Lage Butter bestreicht, und diese Butter noch ein¬
mal mit einer Schicht Speck belegt — was er, beiläufig gesagt, nicht nur be¬
zahlen, sondern auch verbauen kann. Der blasse, grimmige.Hunger, der zu hun¬
dert Verbrechen treibt, setzt seinen Fuß nicht in jene Gegenden, und auch der
Bettel, jene Eiterbeule so vieler und namentlich katholischer Länder, wird fast
nur vou Fremden, und dazu nur heimlicher Weise, geübt.

Die Ursachen dieses allgemeinen, Wohlstandes, um den manches weit glän¬
zendere Land Oldenburg zu beneiden hat, sind leicht zu ergründen. Da die
Bauerngüter meist nur so groß sind, daß sie einer Familie eine behagliche
Existenz gewähren: so erzeugen sie keine übermäßige Capitalanhäufung, bei der
Einer mit Schätzen überschüttet wird, während tausend Andere hungern. Eben
so wenig geben Fabriken oder Handel Gelegenheit dazu, weil beide unbedeutend
sind. Da die Stellen immer nur auf Einen vererben, so bleiben von den Nicht¬
Erben jedenfalls die oben erwähnten „vie Jungens" unverheiratet; die Zahl
der Ehen ist also geringer als anderswo. Erwägt man ferner, daß die Familien
weniger Kinder zählen, nicht allein weil später geheirathet wird, sondern ^no.
weil eine größere Anzahl Ehen unfruchtbar oder weniger fruchtbar sind, was in
der Trägheit der Naturen seinen Grund haben mag: so erklärt sich leicht die
dünne Bevölkerung und, das überall fühlbare Bedürfniß nach Arbeitern. Zwar
sucht mancher Arbeiter benachbarter Staaten im Herzogthum Beschäftigung; dafür
werden dem Lande aber auch viele Hände durch die Abwesenheit der Holland¬
gänger und der Matrosen, die sich ans fremde Schiffe verdingen, und von denen
immer viele ein Opfer der See werden, entzogen.

Tritt nun aber dennoch Noth ein, sei es, daß eine Familie durch lange
Krankheit des Ernährers heimgesucht wird, sei es, daß der Branntwein seine
verheerenden Wirkungen äußert, wie ich das weiter unten auszuführen habe, sei
es, daß eine allgemeine Kalamität, wie z. B. ein Deichbruch, Verderben über
Viele zugleich bringt: so läßt es die Behörde, ganz abgesehen von der großen
Wohlthätigkeit der Privaten, doch niemals zum Aeußersten kommen. Es ver¬
breitet sich nämlich über das ganze Land ein Netz von Armenanstalten in der
Weise, daß sich in jedem Kirchspiel eine special-Direction des Armenwesens findet,


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[0425] mögenden im Herzogthum sein mag, so giebt es doch keinen Millionair; anderer¬ seits sind aber auch selbst in der arbeitenden Klasse die Familien sehr selten, die nicht ihre Kuh im Stalle haben und jährlich ein Schwein schlachten. De Armot kickt (guckt) dem Arbeitsamen wol in de Finster, aber se kummt em nich in 't Huus, ist ein schönes oldenburger Sprichwort, das auch seine volle Wahrheit hat. -Wer arbeiten will, findet Arbeit zu gutem Lohne; kurz, das Herzogthum erfreuet sich des seltenen Glücks, gänzlich frei von Proletariat zu sein. In der That ist es eine wahre Freude, deu Taglöhner zu sehn, wenn er, vou der Arbeit ruhend, sein Vesperbrod nimmt, und- ein enormes Stück Schwarzbrod mit einer dicken Lage Butter bestreicht, und diese Butter noch ein¬ mal mit einer Schicht Speck belegt — was er, beiläufig gesagt, nicht nur be¬ zahlen, sondern auch verbauen kann. Der blasse, grimmige.Hunger, der zu hun¬ dert Verbrechen treibt, setzt seinen Fuß nicht in jene Gegenden, und auch der Bettel, jene Eiterbeule so vieler und namentlich katholischer Länder, wird fast nur vou Fremden, und dazu nur heimlicher Weise, geübt. Die Ursachen dieses allgemeinen, Wohlstandes, um den manches weit glän¬ zendere Land Oldenburg zu beneiden hat, sind leicht zu ergründen. Da die Bauerngüter meist nur so groß sind, daß sie einer Familie eine behagliche Existenz gewähren: so erzeugen sie keine übermäßige Capitalanhäufung, bei der Einer mit Schätzen überschüttet wird, während tausend Andere hungern. Eben so wenig geben Fabriken oder Handel Gelegenheit dazu, weil beide unbedeutend sind. Da die Stellen immer nur auf Einen vererben, so bleiben von den Nicht¬ Erben jedenfalls die oben erwähnten „vie Jungens" unverheiratet; die Zahl der Ehen ist also geringer als anderswo. Erwägt man ferner, daß die Familien weniger Kinder zählen, nicht allein weil später geheirathet wird, sondern ^no. weil eine größere Anzahl Ehen unfruchtbar oder weniger fruchtbar sind, was in der Trägheit der Naturen seinen Grund haben mag: so erklärt sich leicht die dünne Bevölkerung und, das überall fühlbare Bedürfniß nach Arbeitern. Zwar sucht mancher Arbeiter benachbarter Staaten im Herzogthum Beschäftigung; dafür werden dem Lande aber auch viele Hände durch die Abwesenheit der Holland¬ gänger und der Matrosen, die sich ans fremde Schiffe verdingen, und von denen immer viele ein Opfer der See werden, entzogen. Tritt nun aber dennoch Noth ein, sei es, daß eine Familie durch lange Krankheit des Ernährers heimgesucht wird, sei es, daß der Branntwein seine verheerenden Wirkungen äußert, wie ich das weiter unten auszuführen habe, sei es, daß eine allgemeine Kalamität, wie z. B. ein Deichbruch, Verderben über Viele zugleich bringt: so läßt es die Behörde, ganz abgesehen von der großen Wohlthätigkeit der Privaten, doch niemals zum Aeußersten kommen. Es ver¬ breitet sich nämlich über das ganze Land ein Netz von Armenanstalten in der Weise, daß sich in jedem Kirchspiel eine special-Direction des Armenwesens findet,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/425>, abgerufen am 24.07.2024.