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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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die Erfolge in den eigenen Kammern. Das ist auch ganz natürlich, denn es handelt
sich hier um einen weitern politischen Horizont, um größere Interessen, als das
Leben eines kleinen Staates eröffnen kann, und dabei liegen die Fragen doch so
nahe, daß man auch einen unmittelbaren Antheil daran nimmt. In Sachsen hat
man sich z. B. vor -I8i7 nur für Schaffrath und Blum, für Poppe und Bieder¬
mann interessirt, höchstens noch für Itzstein und Hecker; jetzt aber sind die Figu¬
ren eines Vincke, Schwerin, Ar'nim, Stahl, Gerlach u. s. w. eben so gut Eigen-
, thun des sächsischen Volks, als des preußischen. Auch wenn man mit allen ihnen
fortwährend unzufrieden ist, so hört man doch nicht auf, sich mit ihnen zu be¬
schäftigen, und das ist für Preußen wie für Deutschland ein unberechenbarer
Gewinn.

Zweitens. Die Kammern werden dazu dienen, in das preußische Staats¬
und Geschäftsleben, wenn auch nur allmählich, jenen Styl, jene Ordnung und
jenen Sinn für Form wieder einzuführen, der sich in der letzten Zeit fast ganz daraus
verloren hat. In der höhern Politik ist von einem Styl in Preußen nie die Rede
gewesen, weil man niemals ans vollem Holze schneiden konnte, weil man, von den weit-
aussehendsten Intentionen erfüllt, sich "doch überall gehemmt und eingeengt fühlte.
In Beziehung aus alle humanere Bildungsformen, und dazu gehört der Welt¬
verkehr im Großen, konnte Preußen nie den Parvenu verläugnen, der gern überall
seine dunkle Herkunft verstecken möchte, und dadurch gerade beständig an sie er¬
innert. Dagegen herrscht in dem kleinen Geschäftsverkehr jene Solidität, Gründ¬
lichkeit und Gewissenhaftigkeit, auf der Preußens Credit beruht. Die Zeit von
den 90r Jahren des vorigen Jahrhunderts bis etwa 1808 machte darin eine
Unterbrechung, dann aber fügte sich wieder Alles in die alte Ordnung. Nun
hat sich aber ungefähr seit dem Jahre 18i0 eine Masse von Genialität und
Doctrin über das preußische Staatswesen ergossen, die jene Solidität vollständig
aufhebt. Deal diese beruhte vorzugsweise auf der Uebereinstimmung, Bestimmt¬
heit und Einseitigkeit der leitenden StaatSprincipien. Seit, dieser Zeit aber hat
das ganze Staatswesen von Zeit zu Zeit visionaire Anwandlungen; seine Bewe¬
gungen sind nicht mehr zu berechne", und man weiß niemals recht, wie weit
man sich daraus verlassen kann. Die Kammern sind das beste Mittel, wieder
einige Ordnung hineinzubringen, schon deshalb, weil sie die Regierung zwingen,
von Zeit zu Zeit über das, was sie eigentlich will, Rede zu stehen, nicht in einem
einseitigen Monolog, sondern im lebhaften, wohlbewachten Gespräch. Man pflegt
zu behaupten, die Verantwortlichkeit der Minister sei vollkommen illusorisch, so
lange nicht ein Gerichtshof festgesetzt ist, der ihnen den Proceß machen kann.
Das ist aber nicht ganz richtig, denn es giebt keinen auch noch so verstockten
Charakter, der nicht einige Schen vor dem Forum der öffentlichen Meinung hätte,
und ein solches kann nur durch die Kammern hergestellt werden. Eine gewissen¬
hafte und über ihre Pflicht sorgfältig wachende Kammer braucht gar keine andere


die Erfolge in den eigenen Kammern. Das ist auch ganz natürlich, denn es handelt
sich hier um einen weitern politischen Horizont, um größere Interessen, als das
Leben eines kleinen Staates eröffnen kann, und dabei liegen die Fragen doch so
nahe, daß man auch einen unmittelbaren Antheil daran nimmt. In Sachsen hat
man sich z. B. vor -I8i7 nur für Schaffrath und Blum, für Poppe und Bieder¬
mann interessirt, höchstens noch für Itzstein und Hecker; jetzt aber sind die Figu¬
ren eines Vincke, Schwerin, Ar'nim, Stahl, Gerlach u. s. w. eben so gut Eigen-
, thun des sächsischen Volks, als des preußischen. Auch wenn man mit allen ihnen
fortwährend unzufrieden ist, so hört man doch nicht auf, sich mit ihnen zu be¬
schäftigen, und das ist für Preußen wie für Deutschland ein unberechenbarer
Gewinn.

Zweitens. Die Kammern werden dazu dienen, in das preußische Staats¬
und Geschäftsleben, wenn auch nur allmählich, jenen Styl, jene Ordnung und
jenen Sinn für Form wieder einzuführen, der sich in der letzten Zeit fast ganz daraus
verloren hat. In der höhern Politik ist von einem Styl in Preußen nie die Rede
gewesen, weil man niemals ans vollem Holze schneiden konnte, weil man, von den weit-
aussehendsten Intentionen erfüllt, sich «doch überall gehemmt und eingeengt fühlte.
In Beziehung aus alle humanere Bildungsformen, und dazu gehört der Welt¬
verkehr im Großen, konnte Preußen nie den Parvenu verläugnen, der gern überall
seine dunkle Herkunft verstecken möchte, und dadurch gerade beständig an sie er¬
innert. Dagegen herrscht in dem kleinen Geschäftsverkehr jene Solidität, Gründ¬
lichkeit und Gewissenhaftigkeit, auf der Preußens Credit beruht. Die Zeit von
den 90r Jahren des vorigen Jahrhunderts bis etwa 1808 machte darin eine
Unterbrechung, dann aber fügte sich wieder Alles in die alte Ordnung. Nun
hat sich aber ungefähr seit dem Jahre 18i0 eine Masse von Genialität und
Doctrin über das preußische Staatswesen ergossen, die jene Solidität vollständig
aufhebt. Deal diese beruhte vorzugsweise auf der Uebereinstimmung, Bestimmt¬
heit und Einseitigkeit der leitenden StaatSprincipien. Seit, dieser Zeit aber hat
das ganze Staatswesen von Zeit zu Zeit visionaire Anwandlungen; seine Bewe¬
gungen sind nicht mehr zu berechne», und man weiß niemals recht, wie weit
man sich daraus verlassen kann. Die Kammern sind das beste Mittel, wieder
einige Ordnung hineinzubringen, schon deshalb, weil sie die Regierung zwingen,
von Zeit zu Zeit über das, was sie eigentlich will, Rede zu stehen, nicht in einem
einseitigen Monolog, sondern im lebhaften, wohlbewachten Gespräch. Man pflegt
zu behaupten, die Verantwortlichkeit der Minister sei vollkommen illusorisch, so
lange nicht ein Gerichtshof festgesetzt ist, der ihnen den Proceß machen kann.
Das ist aber nicht ganz richtig, denn es giebt keinen auch noch so verstockten
Charakter, der nicht einige Schen vor dem Forum der öffentlichen Meinung hätte,
und ein solches kann nur durch die Kammern hergestellt werden. Eine gewissen¬
hafte und über ihre Pflicht sorgfältig wachende Kammer braucht gar keine andere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/419>, abgerufen am 24.07.2024.