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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Schlachten zu bewähren, kann für die Dauer das Nationalgefühl nicht aufrecht
halten. Nun giebt es aber keine Form, in welcher der Staat so lebhast zum
Bewußtsein kommt, daß er ein Ganzes sei, als die Form des Constitutionalis-
mus. Was also in der Gesetzgebung von den Kammern geleistet wird, steht bei
uns nicht in der ersten Reihe; es kommt nnr zunächst'darauf an, daß sie über¬
haupt existiren, daß durch sie ein unmittelbares Interesse an dem Staat in allen
Kreisen des Volks erhalten und gepflegt wird, und daß auch' unsre deutschen
Nachbarstaaten sich daran gewöhnen, ihre Hauptaufmerksamkeit nach Preußen zu
richten. Das hat sich schon jetzt gezeigt. Trotz der souverainen Verachtung, mit '
welcher die Demokratie versicherte, diese "Repräsentanten der günstiger gestelt-'
ten Minorität" anzusehn, ist sie ihren Bewegungen doch mit einer gespannten.
Aufmerksamkeit gefolgt, die trotz des Spottes verrieth/ daß hier auch etwas Mit¬
gefühl im Spiel war. Gerade in unsrer Zeit, wo man nur zu geneigt ist, in
die alte elende Gewohnheit des stoffloser Liberalismus zu verfallen, jenes sou¬
verainen Witzes, der durch ein Paar gute Einfälle, und allenfalls durch ein Paar
lyrische Reminiscenzen an Epaminondas, Robespierre und Washington seiner Pflicht
gegen den Staat vollkommen Genüge zu thun glaubt, gerade in dieser Zeit ist
es nothwendig, daß den Parteien ein Spielraum gegeben wird, auf dem sie sich
mit einiger Aussicht auf Erfolg tummeln können. -- Wir halten nicht blos die
Bildung unsrer eigenen Partei, sondern selbst die Bildung der äußersten Rechten
für einen wesentlichen Fortschritt in unsrem politischen Leben. Vorläufig ist es
zwar weder diese, noch jene, welche den Ausschlag giebt, sondern das Centrum,
das wie Goethe von sich selbst sagen kann:


, Prophete links, Prophete rechts,.
Das Weltkind in der Mitten.

Aber es ist vorauszusehen, daß diese gestaltlose Masse, welche bis jetzt noch in
der That der reale Vertreter des preußischen Bewußtseins ist, weil dieses noch
eben so wenig weiß, was es will, bei längerer Dauer des parlamentarischen Le¬
bens von den bewußten Parteien absorbirt werden muß, und wenn diese Partei- >
bildung im Lande den wirklichen Boden.gewonnen haben wird, den sie noch nicht
hat, -- denn Schlagwörter, die man sich jeden Morgen durch die Vossische
suppeditiren läßt, sind noch keine politische Gesinnung -- daun wird auch
jener Punkt des Archimedes gefunden sein, von dem aus man die Welt be¬
wegen kann.

Das parlamentarische Leben macht nicht blos in Preußen für Preußen Pro¬
paganda, sondern auch im übrigen Deutschland. Damit wollen wir keineswegs
behaupten, daß es hier eine günstigere Kritik erfährt, als im eigenen Lande, aber
es nimmt die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch. Es giebt wol wenig Orte
in Deutschland, wo man sich, wenn es nicht ganz specielle persönliche Interessen gilt,
nicht mehr für das interessirt, was in den preußischen Kammern vorgeht, als für


Schlachten zu bewähren, kann für die Dauer das Nationalgefühl nicht aufrecht
halten. Nun giebt es aber keine Form, in welcher der Staat so lebhast zum
Bewußtsein kommt, daß er ein Ganzes sei, als die Form des Constitutionalis-
mus. Was also in der Gesetzgebung von den Kammern geleistet wird, steht bei
uns nicht in der ersten Reihe; es kommt nnr zunächst'darauf an, daß sie über¬
haupt existiren, daß durch sie ein unmittelbares Interesse an dem Staat in allen
Kreisen des Volks erhalten und gepflegt wird, und daß auch' unsre deutschen
Nachbarstaaten sich daran gewöhnen, ihre Hauptaufmerksamkeit nach Preußen zu
richten. Das hat sich schon jetzt gezeigt. Trotz der souverainen Verachtung, mit '
welcher die Demokratie versicherte, diese „Repräsentanten der günstiger gestelt-'
ten Minorität" anzusehn, ist sie ihren Bewegungen doch mit einer gespannten.
Aufmerksamkeit gefolgt, die trotz des Spottes verrieth/ daß hier auch etwas Mit¬
gefühl im Spiel war. Gerade in unsrer Zeit, wo man nur zu geneigt ist, in
die alte elende Gewohnheit des stoffloser Liberalismus zu verfallen, jenes sou¬
verainen Witzes, der durch ein Paar gute Einfälle, und allenfalls durch ein Paar
lyrische Reminiscenzen an Epaminondas, Robespierre und Washington seiner Pflicht
gegen den Staat vollkommen Genüge zu thun glaubt, gerade in dieser Zeit ist
es nothwendig, daß den Parteien ein Spielraum gegeben wird, auf dem sie sich
mit einiger Aussicht auf Erfolg tummeln können. — Wir halten nicht blos die
Bildung unsrer eigenen Partei, sondern selbst die Bildung der äußersten Rechten
für einen wesentlichen Fortschritt in unsrem politischen Leben. Vorläufig ist es
zwar weder diese, noch jene, welche den Ausschlag giebt, sondern das Centrum,
das wie Goethe von sich selbst sagen kann:


, Prophete links, Prophete rechts,.
Das Weltkind in der Mitten.

Aber es ist vorauszusehen, daß diese gestaltlose Masse, welche bis jetzt noch in
der That der reale Vertreter des preußischen Bewußtseins ist, weil dieses noch
eben so wenig weiß, was es will, bei längerer Dauer des parlamentarischen Le¬
bens von den bewußten Parteien absorbirt werden muß, und wenn diese Partei- >
bildung im Lande den wirklichen Boden.gewonnen haben wird, den sie noch nicht
hat, — denn Schlagwörter, die man sich jeden Morgen durch die Vossische
suppeditiren läßt, sind noch keine politische Gesinnung — daun wird auch
jener Punkt des Archimedes gefunden sein, von dem aus man die Welt be¬
wegen kann.

Das parlamentarische Leben macht nicht blos in Preußen für Preußen Pro¬
paganda, sondern auch im übrigen Deutschland. Damit wollen wir keineswegs
behaupten, daß es hier eine günstigere Kritik erfährt, als im eigenen Lande, aber
es nimmt die allgemeine Aufmerksamkeit in Anspruch. Es giebt wol wenig Orte
in Deutschland, wo man sich, wenn es nicht ganz specielle persönliche Interessen gilt,
nicht mehr für das interessirt, was in den preußischen Kammern vorgeht, als für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/418>, abgerufen am 24.07.2024.