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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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esbinkts partielllisrs der Pariser Restaurants. Es ist natürlich, daß auch hier blos
wichtige Cadinetssragen, wenn auch quvstions as Lchiiist . . . paitieulivr, verhandelt
werden, Ist es nicht eine bittere Ironie, daß Herr Guizot, Kuinol I'sustöie, der Pu¬
ritaner, der Stoiker, sich von Madame Lieven dem neuen Staatsmanne aufführen ließ,
um die Ehre zu haben, .sich mit ihm über das Schicksal Frankreichs zu unterhalten?
Und doch ist es nur die pure Wahrheit, die russische Diplomatie hat Herrn Persigny
eigens zu fich geladen, auf's Dringendste und zu verschiedenen Malen, um den ehemaligen
Minister des öffentlichen Unterrichts und der auswärtigen Angelegenheiten dem allmäch¬
tigen Minister des Innern von heute vorzustellen. Herr Guizot wollte vielleicht blos
seine, bei einem so alten Herrn, verzeihliche kindische Neugierde befriedigen, um. den Mann
von Angesicht zu Angesicht zu schauen, der vou Louis'Bonaparte sagt: "je !e lerai
empgröur mÄZrü lui," Das ist in der That ein kühner Ausspruch; mir würde es
aber viel mehr Respect vor Perfigny's Macht einflößen, wenn er sagte: "je vonserversi
Is röpubüljUö msIZrv lui." Das malZrv Im würde wenigstens einen Sinn haben.
Die Herren Fleury, Bnudrey, Bae,ciochi Newkierke v well quaiüi, sie gingen
alle aus der lleur hin" der Pariser Strcichmacher hervor. Die heilige Miene, die diese
Herren jetzt anzunehmen verstehen, wird darum nur um so komischer, und es klingt son¬
derbar, wenn neben diesen Männern, die von der Regie in den Conspirationssaal schli¬
chen, und umgekehrt, ein Cousin, ein Villemain' als staatsgefährliche Individuen von
ihren Kanzeln entfernt werden, von denen herab sie mehr für die Vertretung von Frank¬
reichs Ruhm gewußt, als die genannten selbst im Falle des so sehr ersehnten Kriegs¬
zuges durch Europa je zu thun im Stande sein würden!


Theater.

-- Alfred Meiß.ner's Trauerspiel: "Neginald Armstrong, oder die
Macht des Geldes" ist jetzt in Wien aufgeführt und hat nicht den Erfolg gehabt, den
mau nach der Art, wie es in Prag aufgenommen wurde, hätte erwarten können. Der
junge Dichter möge sich dadurch nicht abschrecken lassen. Sein Drama hat sehr große
Verdienste und ist ein wesentlicher Fortschritt nach dem "Wsib des Urias'', in welchem
wir das dramatische Talent bereits anerkannt haben. Die Charaktere find scharf gezeich¬
net und haben sogar einzelne recht interessante Züge; die Sprache ist dramatisch correct
und bisweilen schön; die Exposition klar und verständig, und die kritischen Momente
Psychologisch richtig und deutlich entwickelt. Das Alles find sehr bedeutende Vorzüge in
unsrer Zeit und berechtigen zu den besten Erwartungen für die Zukunft. -- Nun dür¬
fen wir aber nicht verhehlen, daß das Gefühl, welches das Wiener Publicum verstimmt
hat, gleichfalls ein berechtigtes ist. Das Publicum hat Recht, wenn es von dem Dich¬
ter, und namentlich vom dramatischen Dichter, Ideale erwartet, Bilder, an denen es
sich erfreuen, erbauen und erheben kann, und wenn es nicht damit zufrieden ist, daß
ihm der Dichter lauter schlechte Subjecte vorführt. In Alfred Meißner geht jetzt eine
Reaction vor sich, die wir aus der Natur der Sache wohl begreifen können. Unsre
jungen Lyriker find in einer schlimmen Lage. Unsre Literatur bietet einen so reichen
Verrath von schönen Empfindungen, Bildern und Reflexionen, daß nur einiges Form¬
talent dazu gehört, guf ihney neue Empfindungen, Bilder und Reflexionen z" combi-
niren. So fingen unsre jungen Dichter von den Leiden ihres eigenen Herzens, von
ihren nnbegriffcncn und unverstandenen Gefühlen und von den Omlen des Weltalls,
noch ehe sie Etwas wirklich empfunden, noch ehe sie in ihrer Seele Etwas haben, was
man zu begreifen sich die Mühe geben sollte, noch ehe sie von der Welt Etwas wissen.
Sie ergehen sich in den erhabensten Gedanken, ehe sie wirklich gedacht haben, d. h. sie
fabriciren Variationen auf bekannte Themata. Auch ein Dichter von wirklicher Be¬
gabung, und das ist Alfred Meißner unstreitig, leidet an dieser Krankheit des Anenipfin-
dcnS, mehr oder minder ist jeder Lyriker in unsrer Zeit eine Madame Melina. Es
ist ein gutes Zeichen von wirklicher Kraft, wenn gegen diese sieche Neigung
eine Reaction eintritt, selbst wenn diese ins entgegengesetzte Extrem treiben sollte.


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esbinkts partielllisrs der Pariser Restaurants. Es ist natürlich, daß auch hier blos
wichtige Cadinetssragen, wenn auch quvstions as Lchiiist . . . paitieulivr, verhandelt
werden, Ist es nicht eine bittere Ironie, daß Herr Guizot, Kuinol I'sustöie, der Pu¬
ritaner, der Stoiker, sich von Madame Lieven dem neuen Staatsmanne aufführen ließ,
um die Ehre zu haben, .sich mit ihm über das Schicksal Frankreichs zu unterhalten?
Und doch ist es nur die pure Wahrheit, die russische Diplomatie hat Herrn Persigny
eigens zu fich geladen, auf's Dringendste und zu verschiedenen Malen, um den ehemaligen
Minister des öffentlichen Unterrichts und der auswärtigen Angelegenheiten dem allmäch¬
tigen Minister des Innern von heute vorzustellen. Herr Guizot wollte vielleicht blos
seine, bei einem so alten Herrn, verzeihliche kindische Neugierde befriedigen, um. den Mann
von Angesicht zu Angesicht zu schauen, der vou Louis'Bonaparte sagt: „je !e lerai
empgröur mÄZrü lui," Das ist in der That ein kühner Ausspruch; mir würde es
aber viel mehr Respect vor Perfigny's Macht einflößen, wenn er sagte: „je vonserversi
Is röpubüljUö msIZrv lui." Das malZrv Im würde wenigstens einen Sinn haben.
Die Herren Fleury, Bnudrey, Bae,ciochi Newkierke v well quaiüi, sie gingen
alle aus der lleur hin« der Pariser Strcichmacher hervor. Die heilige Miene, die diese
Herren jetzt anzunehmen verstehen, wird darum nur um so komischer, und es klingt son¬
derbar, wenn neben diesen Männern, die von der Regie in den Conspirationssaal schli¬
chen, und umgekehrt, ein Cousin, ein Villemain' als staatsgefährliche Individuen von
ihren Kanzeln entfernt werden, von denen herab sie mehr für die Vertretung von Frank¬
reichs Ruhm gewußt, als die genannten selbst im Falle des so sehr ersehnten Kriegs¬
zuges durch Europa je zu thun im Stande sein würden!


Theater.

— Alfred Meiß.ner's Trauerspiel: „Neginald Armstrong, oder die
Macht des Geldes" ist jetzt in Wien aufgeführt und hat nicht den Erfolg gehabt, den
mau nach der Art, wie es in Prag aufgenommen wurde, hätte erwarten können. Der
junge Dichter möge sich dadurch nicht abschrecken lassen. Sein Drama hat sehr große
Verdienste und ist ein wesentlicher Fortschritt nach dem „Wsib des Urias'', in welchem
wir das dramatische Talent bereits anerkannt haben. Die Charaktere find scharf gezeich¬
net und haben sogar einzelne recht interessante Züge; die Sprache ist dramatisch correct
und bisweilen schön; die Exposition klar und verständig, und die kritischen Momente
Psychologisch richtig und deutlich entwickelt. Das Alles find sehr bedeutende Vorzüge in
unsrer Zeit und berechtigen zu den besten Erwartungen für die Zukunft. — Nun dür¬
fen wir aber nicht verhehlen, daß das Gefühl, welches das Wiener Publicum verstimmt
hat, gleichfalls ein berechtigtes ist. Das Publicum hat Recht, wenn es von dem Dich¬
ter, und namentlich vom dramatischen Dichter, Ideale erwartet, Bilder, an denen es
sich erfreuen, erbauen und erheben kann, und wenn es nicht damit zufrieden ist, daß
ihm der Dichter lauter schlechte Subjecte vorführt. In Alfred Meißner geht jetzt eine
Reaction vor sich, die wir aus der Natur der Sache wohl begreifen können. Unsre
jungen Lyriker find in einer schlimmen Lage. Unsre Literatur bietet einen so reichen
Verrath von schönen Empfindungen, Bildern und Reflexionen, daß nur einiges Form¬
talent dazu gehört, guf ihney neue Empfindungen, Bilder und Reflexionen z» combi-
niren. So fingen unsre jungen Dichter von den Leiden ihres eigenen Herzens, von
ihren nnbegriffcncn und unverstandenen Gefühlen und von den Omlen des Weltalls,
noch ehe sie Etwas wirklich empfunden, noch ehe sie in ihrer Seele Etwas haben, was
man zu begreifen sich die Mühe geben sollte, noch ehe sie von der Welt Etwas wissen.
Sie ergehen sich in den erhabensten Gedanken, ehe sie wirklich gedacht haben, d. h. sie
fabriciren Variationen auf bekannte Themata. Auch ein Dichter von wirklicher Be¬
gabung, und das ist Alfred Meißner unstreitig, leidet an dieser Krankheit des Anenipfin-
dcnS, mehr oder minder ist jeder Lyriker in unsrer Zeit eine Madame Melina. Es
ist ein gutes Zeichen von wirklicher Kraft, wenn gegen diese sieche Neigung
eine Reaction eintritt, selbst wenn diese ins entgegengesetzte Extrem treiben sollte.


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[0407] esbinkts partielllisrs der Pariser Restaurants. Es ist natürlich, daß auch hier blos wichtige Cadinetssragen, wenn auch quvstions as Lchiiist . . . paitieulivr, verhandelt werden, Ist es nicht eine bittere Ironie, daß Herr Guizot, Kuinol I'sustöie, der Pu¬ ritaner, der Stoiker, sich von Madame Lieven dem neuen Staatsmanne aufführen ließ, um die Ehre zu haben, .sich mit ihm über das Schicksal Frankreichs zu unterhalten? Und doch ist es nur die pure Wahrheit, die russische Diplomatie hat Herrn Persigny eigens zu fich geladen, auf's Dringendste und zu verschiedenen Malen, um den ehemaligen Minister des öffentlichen Unterrichts und der auswärtigen Angelegenheiten dem allmäch¬ tigen Minister des Innern von heute vorzustellen. Herr Guizot wollte vielleicht blos seine, bei einem so alten Herrn, verzeihliche kindische Neugierde befriedigen, um. den Mann von Angesicht zu Angesicht zu schauen, der vou Louis'Bonaparte sagt: „je !e lerai empgröur mÄZrü lui," Das ist in der That ein kühner Ausspruch; mir würde es aber viel mehr Respect vor Perfigny's Macht einflößen, wenn er sagte: „je vonserversi Is röpubüljUö msIZrv lui." Das malZrv Im würde wenigstens einen Sinn haben. Die Herren Fleury, Bnudrey, Bae,ciochi Newkierke v well quaiüi, sie gingen alle aus der lleur hin« der Pariser Strcichmacher hervor. Die heilige Miene, die diese Herren jetzt anzunehmen verstehen, wird darum nur um so komischer, und es klingt son¬ derbar, wenn neben diesen Männern, die von der Regie in den Conspirationssaal schli¬ chen, und umgekehrt, ein Cousin, ein Villemain' als staatsgefährliche Individuen von ihren Kanzeln entfernt werden, von denen herab sie mehr für die Vertretung von Frank¬ reichs Ruhm gewußt, als die genannten selbst im Falle des so sehr ersehnten Kriegs¬ zuges durch Europa je zu thun im Stande sein würden! Theater. — Alfred Meiß.ner's Trauerspiel: „Neginald Armstrong, oder die Macht des Geldes" ist jetzt in Wien aufgeführt und hat nicht den Erfolg gehabt, den mau nach der Art, wie es in Prag aufgenommen wurde, hätte erwarten können. Der junge Dichter möge sich dadurch nicht abschrecken lassen. Sein Drama hat sehr große Verdienste und ist ein wesentlicher Fortschritt nach dem „Wsib des Urias'', in welchem wir das dramatische Talent bereits anerkannt haben. Die Charaktere find scharf gezeich¬ net und haben sogar einzelne recht interessante Züge; die Sprache ist dramatisch correct und bisweilen schön; die Exposition klar und verständig, und die kritischen Momente Psychologisch richtig und deutlich entwickelt. Das Alles find sehr bedeutende Vorzüge in unsrer Zeit und berechtigen zu den besten Erwartungen für die Zukunft. — Nun dür¬ fen wir aber nicht verhehlen, daß das Gefühl, welches das Wiener Publicum verstimmt hat, gleichfalls ein berechtigtes ist. Das Publicum hat Recht, wenn es von dem Dich¬ ter, und namentlich vom dramatischen Dichter, Ideale erwartet, Bilder, an denen es sich erfreuen, erbauen und erheben kann, und wenn es nicht damit zufrieden ist, daß ihm der Dichter lauter schlechte Subjecte vorführt. In Alfred Meißner geht jetzt eine Reaction vor sich, die wir aus der Natur der Sache wohl begreifen können. Unsre jungen Lyriker find in einer schlimmen Lage. Unsre Literatur bietet einen so reichen Verrath von schönen Empfindungen, Bildern und Reflexionen, daß nur einiges Form¬ talent dazu gehört, guf ihney neue Empfindungen, Bilder und Reflexionen z» combi- niren. So fingen unsre jungen Dichter von den Leiden ihres eigenen Herzens, von ihren nnbegriffcncn und unverstandenen Gefühlen und von den Omlen des Weltalls, noch ehe sie Etwas wirklich empfunden, noch ehe sie in ihrer Seele Etwas haben, was man zu begreifen sich die Mühe geben sollte, noch ehe sie von der Welt Etwas wissen. Sie ergehen sich in den erhabensten Gedanken, ehe sie wirklich gedacht haben, d. h. sie fabriciren Variationen auf bekannte Themata. Auch ein Dichter von wirklicher Be¬ gabung, und das ist Alfred Meißner unstreitig, leidet an dieser Krankheit des Anenipfin- dcnS, mehr oder minder ist jeder Lyriker in unsrer Zeit eine Madame Melina. Es ist ein gutes Zeichen von wirklicher Kraft, wenn gegen diese sieche Neigung eine Reaction eintritt, selbst wenn diese ins entgegengesetzte Extrem treiben sollte. SO"-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/407>, abgerufen am 04.07.2024.