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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Das war ein Irrthum; der Prophet, der nach mir kommt, wird es besser
machen." --

Nächst dem "Paracelsus" haben den meisten Anklang gefunden die beiden
großen Gedichte "Weihnachtsabend" und "Ostertag" (-1849). Der "Weihnachts¬
abend" ist in Knittelversen geschrieben, in einer Sprache, die das Burleske mit
dem Pathetischen und Sentimentalen zu verbinden strebt. Er behandelt das Suchen
des Göttlichen, wie es sich in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft kund
giebt. Der Dichter drängt sich zuerst im heftigen Regen mit einem Hansen nn-
geberdigen Volks in eine kleine Kirche, wo ein scctirerischer Prediger seinen Gläu¬
bigen die wahre Lehre Jesu vorträgt. Zuerst ist die Umgebung ihm unbequem,
darunter namentlich ein fettes Frauenzimmer, das ganz anßer Athem einen trie¬
fenden Regenschirm, ein "Wrack aus Fischbein", ueben ihn stellt und ihn be-
schmuzt; dann die übelriechende Atmosphäre, vor Allem aber die unermeßliche
Dummheit des Predigers, der mit mehr Hitze als Verstand seine Doctrinen hervor¬
brüllt. Er hält es nicht lange ans. Aus dem blauen Laternenlicht der Kirche
flieht er in die frische Nachtluft, wartet zuerst fünf Minuten in dem Thorweg,
um dem Regen zu entgehen, und tritt dann ins Freie, wo er einen schönen
Mondregenbogen sieht. Auf diesem schwebend erblickt er den Menschensohn, der
sein Antlitz von ihm wendet. Er glaubt ihn beleidigt zu haben, da doch jene
Sectirer, wenn auch mit geringem Verstand und unklaren Gefühl, .ihn gesucht
haben, und es also nicht verdienen, blos verspottet zu werden. Er wendet sich
also flehend zu ihm, ergreift sein weites Gewand, und wird von demselben, wie
Faust auf seinem Zaubermantel, weiter getragen. Aus dem humoristischen Cy¬
nismus der Posse sind wir also plötzlich in eine ganz ätherische Poesie versetzt.
Die Bildersprache wird so mystisch, daß dem Leser in buchstäblichem Sinne Hören
und Sehen vergeht; der Unterschied der Sinne schwindet, Farben, Töne, Gestal¬
ten, Licht, Nacht, Ewigkeit, Zeit u. s. w. verschwimmen in einem unendlichen
Chaos, aus dem keine Brücke zum Verständiß führt. Die Apokalypse erscheint
im Vergleich zu diesen Offenbarungen wie ein solides und nüchternes Buch. Der
Menschensohn läßt sich endlich in Rom nieder; dort umfängt ein glänzender Gottes¬
dienst die Sinne und die Phantasie, und das Gemüth des protestantischen Dich¬
ters wird beleidigt; aber als er sieht, daß auch hier der Herr eintritt, ermahnt
er sich selber zur Toleranz. Das Gebilde der Gottheit sei so kolossal, daß man
sich mit den einzelnen Gliedern begnügen müsse, wenn sie nur mit Sorgfalt aus¬
geführt seien. Aber als er sich in diesem trägen, toleranten Wohlwollen für alle
möglichen Formen des Glaubens wiegt, fühlt er, daß das Gewand des Herrn
seiner erschrockenen Hand entschlüpft. Er geht also in sich, und der Mantel führt
ihn wieder weiter, bis er an einen gothischen Thurm kommt. "Es mochte irgend
eine von den berühmten mittelalterlichen Städten Deutschlands sei", welche, das
kann ich nicht sagen; ich weiß nicht, ob ich mich für diese Treppe, aus der ich


Das war ein Irrthum; der Prophet, der nach mir kommt, wird es besser
machen." --

Nächst dem „Paracelsus" haben den meisten Anklang gefunden die beiden
großen Gedichte „Weihnachtsabend" und „Ostertag" (-1849). Der „Weihnachts¬
abend" ist in Knittelversen geschrieben, in einer Sprache, die das Burleske mit
dem Pathetischen und Sentimentalen zu verbinden strebt. Er behandelt das Suchen
des Göttlichen, wie es sich in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft kund
giebt. Der Dichter drängt sich zuerst im heftigen Regen mit einem Hansen nn-
geberdigen Volks in eine kleine Kirche, wo ein scctirerischer Prediger seinen Gläu¬
bigen die wahre Lehre Jesu vorträgt. Zuerst ist die Umgebung ihm unbequem,
darunter namentlich ein fettes Frauenzimmer, das ganz anßer Athem einen trie¬
fenden Regenschirm, ein „Wrack aus Fischbein", ueben ihn stellt und ihn be-
schmuzt; dann die übelriechende Atmosphäre, vor Allem aber die unermeßliche
Dummheit des Predigers, der mit mehr Hitze als Verstand seine Doctrinen hervor¬
brüllt. Er hält es nicht lange ans. Aus dem blauen Laternenlicht der Kirche
flieht er in die frische Nachtluft, wartet zuerst fünf Minuten in dem Thorweg,
um dem Regen zu entgehen, und tritt dann ins Freie, wo er einen schönen
Mondregenbogen sieht. Auf diesem schwebend erblickt er den Menschensohn, der
sein Antlitz von ihm wendet. Er glaubt ihn beleidigt zu haben, da doch jene
Sectirer, wenn auch mit geringem Verstand und unklaren Gefühl, .ihn gesucht
haben, und es also nicht verdienen, blos verspottet zu werden. Er wendet sich
also flehend zu ihm, ergreift sein weites Gewand, und wird von demselben, wie
Faust auf seinem Zaubermantel, weiter getragen. Aus dem humoristischen Cy¬
nismus der Posse sind wir also plötzlich in eine ganz ätherische Poesie versetzt.
Die Bildersprache wird so mystisch, daß dem Leser in buchstäblichem Sinne Hören
und Sehen vergeht; der Unterschied der Sinne schwindet, Farben, Töne, Gestal¬
ten, Licht, Nacht, Ewigkeit, Zeit u. s. w. verschwimmen in einem unendlichen
Chaos, aus dem keine Brücke zum Verständiß führt. Die Apokalypse erscheint
im Vergleich zu diesen Offenbarungen wie ein solides und nüchternes Buch. Der
Menschensohn läßt sich endlich in Rom nieder; dort umfängt ein glänzender Gottes¬
dienst die Sinne und die Phantasie, und das Gemüth des protestantischen Dich¬
ters wird beleidigt; aber als er sieht, daß auch hier der Herr eintritt, ermahnt
er sich selber zur Toleranz. Das Gebilde der Gottheit sei so kolossal, daß man
sich mit den einzelnen Gliedern begnügen müsse, wenn sie nur mit Sorgfalt aus¬
geführt seien. Aber als er sich in diesem trägen, toleranten Wohlwollen für alle
möglichen Formen des Glaubens wiegt, fühlt er, daß das Gewand des Herrn
seiner erschrockenen Hand entschlüpft. Er geht also in sich, und der Mantel führt
ihn wieder weiter, bis er an einen gothischen Thurm kommt. „Es mochte irgend
eine von den berühmten mittelalterlichen Städten Deutschlands sei», welche, das
kann ich nicht sagen; ich weiß nicht, ob ich mich für diese Treppe, aus der ich


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[0392] Das war ein Irrthum; der Prophet, der nach mir kommt, wird es besser machen." -- Nächst dem „Paracelsus" haben den meisten Anklang gefunden die beiden großen Gedichte „Weihnachtsabend" und „Ostertag" (-1849). Der „Weihnachts¬ abend" ist in Knittelversen geschrieben, in einer Sprache, die das Burleske mit dem Pathetischen und Sentimentalen zu verbinden strebt. Er behandelt das Suchen des Göttlichen, wie es sich in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft kund giebt. Der Dichter drängt sich zuerst im heftigen Regen mit einem Hansen nn- geberdigen Volks in eine kleine Kirche, wo ein scctirerischer Prediger seinen Gläu¬ bigen die wahre Lehre Jesu vorträgt. Zuerst ist die Umgebung ihm unbequem, darunter namentlich ein fettes Frauenzimmer, das ganz anßer Athem einen trie¬ fenden Regenschirm, ein „Wrack aus Fischbein", ueben ihn stellt und ihn be- schmuzt; dann die übelriechende Atmosphäre, vor Allem aber die unermeßliche Dummheit des Predigers, der mit mehr Hitze als Verstand seine Doctrinen hervor¬ brüllt. Er hält es nicht lange ans. Aus dem blauen Laternenlicht der Kirche flieht er in die frische Nachtluft, wartet zuerst fünf Minuten in dem Thorweg, um dem Regen zu entgehen, und tritt dann ins Freie, wo er einen schönen Mondregenbogen sieht. Auf diesem schwebend erblickt er den Menschensohn, der sein Antlitz von ihm wendet. Er glaubt ihn beleidigt zu haben, da doch jene Sectirer, wenn auch mit geringem Verstand und unklaren Gefühl, .ihn gesucht haben, und es also nicht verdienen, blos verspottet zu werden. Er wendet sich also flehend zu ihm, ergreift sein weites Gewand, und wird von demselben, wie Faust auf seinem Zaubermantel, weiter getragen. Aus dem humoristischen Cy¬ nismus der Posse sind wir also plötzlich in eine ganz ätherische Poesie versetzt. Die Bildersprache wird so mystisch, daß dem Leser in buchstäblichem Sinne Hören und Sehen vergeht; der Unterschied der Sinne schwindet, Farben, Töne, Gestal¬ ten, Licht, Nacht, Ewigkeit, Zeit u. s. w. verschwimmen in einem unendlichen Chaos, aus dem keine Brücke zum Verständiß führt. Die Apokalypse erscheint im Vergleich zu diesen Offenbarungen wie ein solides und nüchternes Buch. Der Menschensohn läßt sich endlich in Rom nieder; dort umfängt ein glänzender Gottes¬ dienst die Sinne und die Phantasie, und das Gemüth des protestantischen Dich¬ ters wird beleidigt; aber als er sieht, daß auch hier der Herr eintritt, ermahnt er sich selber zur Toleranz. Das Gebilde der Gottheit sei so kolossal, daß man sich mit den einzelnen Gliedern begnügen müsse, wenn sie nur mit Sorgfalt aus¬ geführt seien. Aber als er sich in diesem trägen, toleranten Wohlwollen für alle möglichen Formen des Glaubens wiegt, fühlt er, daß das Gewand des Herrn seiner erschrockenen Hand entschlüpft. Er geht also in sich, und der Mantel führt ihn wieder weiter, bis er an einen gothischen Thurm kommt. „Es mochte irgend eine von den berühmten mittelalterlichen Städten Deutschlands sei», welche, das kann ich nicht sagen; ich weiß nicht, ob ich mich für diese Treppe, aus der ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/392>, abgerufen am 24.07.2024.