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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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diejenige Periode abwarten, in welcher das Schiff sich nach dieser Richtung hin¬
neigt; denn im entgegengesetzten Falle würde die eigene Geschwindigkeit durch das
Aufsteigen dieser Seite so gehindert werden, daß man, ehe das Ziel erreicht
wäre, rückwärts niedergestürzt würde. Solche und ähnliche Vorsichtsregeln lernte
Jeder durch die Erfahrung, und da Nichts klüger macht, als ein erlittener Schaden,
so ereignete es sich in dem spätern Theile unsrer Reise nur selten, daß Einer
oder der Andere stürzte.

Wir genossen für unsre 33 Thlr. für die ganze Dauer der Reise, die in
7 Wochen beendigt war, freie Wohnung und vollständige Beköstigung. Die
Wohnung war eng genug, aber immer noch menschlich, und so verhielt es sich
auch mit der Beköstigung. Brod und Butter wurde wöchentlich vertheilt; die
Brode waren in Bremen gebacken und völlig deutsch: dunkelbraun, fast schwarz,
wol nur aus Roggenkleie bereitet, hart wie Stein, so daß sie uur mit dem
Hammer, oder durch Ausweichen in Wasser, Thee oder Kaffee zertheilt werden
konnten, fünf Zoll ins Geviert und zwei Zoll hoch; die Butter, welche in reich¬
lichem Maße verabreicht wurde, war durchgängig gut.

Auf dem Verdecke war, getrennt von der Küche der Capitains-Cajüte, ein
Ofen gebaut, welcher zwei große Kessel enthielt. Einer der Kessel diente zum
Kochen von Kaffee, Gemüse und Thee, der zweite zum Kochen des Fleisches.
Dieser Ofen wurde durch einen deutschen Koch bedient, welcher sein Geschäft so
gut verwaltete, daß wir, obgleich die Ansprüche sehr verschiede" sein mochten,
doch niemals gegen ihn Klage sichren konnten, während der Cajütenkoch sast
regelmäßig alle Speisen verdarb, und zuletzt auf allgemeines Verlangen der Passa¬
giere seines Amtes entsetzt wurde.

Morgens gegen 6 Uhr entstiegen täglich die Passagiere des Zwischendecks
und des Steerage mit kleineren und größere" blechernen Kaffeekannen, je nach¬
dem sie für sich allein oder für eine Gesellschaft von mehreren Personen den
Dienst besorgten, ihrer dunklen Wohnung, und drängten sich um den Koch, der
Jedem mit einer Kelle die gehörige Nation des hellbraunen Saftes eingoß; dann
zogen sie wieder nach ihren drei Luken, stiegen die steilen Leitern hinab, 'und
schlürften das heiße Kaffeewasser aus ihren Blechbechcrn mit einem Wohlbehagen
ein, als ob sie 3 Sgr. für die Tasse gezahlt hätten. Mit dem Kaffee zugleich
röurde von den Meisten das Frühstück eingenommen; denn dazu war man ge¬
zwungen, weil das Brod nur durch Eintauchen in eine Flüssigkeit genießbar ge¬
macht werden konnte. Ich hatte mich mit einem Töpfchen Pflaumenmus versehen,
und dieses that mir, obgleich ich eigentlich nicht zu Denjenigen gehöre, denen der
Kaffee ohne Mus nicht schmecken will, zu der damaligen Zeit die ausgezeichnetsten
Dienste.

Mittags setzte sich der Zug i" derselben Weise in Bewegung, um das Essen
zu holen, bestehend in Erbsen oder Bohnen mit Sauerkraut, und bisweilen auch


diejenige Periode abwarten, in welcher das Schiff sich nach dieser Richtung hin¬
neigt; denn im entgegengesetzten Falle würde die eigene Geschwindigkeit durch das
Aufsteigen dieser Seite so gehindert werden, daß man, ehe das Ziel erreicht
wäre, rückwärts niedergestürzt würde. Solche und ähnliche Vorsichtsregeln lernte
Jeder durch die Erfahrung, und da Nichts klüger macht, als ein erlittener Schaden,
so ereignete es sich in dem spätern Theile unsrer Reise nur selten, daß Einer
oder der Andere stürzte.

Wir genossen für unsre 33 Thlr. für die ganze Dauer der Reise, die in
7 Wochen beendigt war, freie Wohnung und vollständige Beköstigung. Die
Wohnung war eng genug, aber immer noch menschlich, und so verhielt es sich
auch mit der Beköstigung. Brod und Butter wurde wöchentlich vertheilt; die
Brode waren in Bremen gebacken und völlig deutsch: dunkelbraun, fast schwarz,
wol nur aus Roggenkleie bereitet, hart wie Stein, so daß sie uur mit dem
Hammer, oder durch Ausweichen in Wasser, Thee oder Kaffee zertheilt werden
konnten, fünf Zoll ins Geviert und zwei Zoll hoch; die Butter, welche in reich¬
lichem Maße verabreicht wurde, war durchgängig gut.

Auf dem Verdecke war, getrennt von der Küche der Capitains-Cajüte, ein
Ofen gebaut, welcher zwei große Kessel enthielt. Einer der Kessel diente zum
Kochen von Kaffee, Gemüse und Thee, der zweite zum Kochen des Fleisches.
Dieser Ofen wurde durch einen deutschen Koch bedient, welcher sein Geschäft so
gut verwaltete, daß wir, obgleich die Ansprüche sehr verschiede» sein mochten,
doch niemals gegen ihn Klage sichren konnten, während der Cajütenkoch sast
regelmäßig alle Speisen verdarb, und zuletzt auf allgemeines Verlangen der Passa¬
giere seines Amtes entsetzt wurde.

Morgens gegen 6 Uhr entstiegen täglich die Passagiere des Zwischendecks
und des Steerage mit kleineren und größere« blechernen Kaffeekannen, je nach¬
dem sie für sich allein oder für eine Gesellschaft von mehreren Personen den
Dienst besorgten, ihrer dunklen Wohnung, und drängten sich um den Koch, der
Jedem mit einer Kelle die gehörige Nation des hellbraunen Saftes eingoß; dann
zogen sie wieder nach ihren drei Luken, stiegen die steilen Leitern hinab, 'und
schlürften das heiße Kaffeewasser aus ihren Blechbechcrn mit einem Wohlbehagen
ein, als ob sie 3 Sgr. für die Tasse gezahlt hätten. Mit dem Kaffee zugleich
röurde von den Meisten das Frühstück eingenommen; denn dazu war man ge¬
zwungen, weil das Brod nur durch Eintauchen in eine Flüssigkeit genießbar ge¬
macht werden konnte. Ich hatte mich mit einem Töpfchen Pflaumenmus versehen,
und dieses that mir, obgleich ich eigentlich nicht zu Denjenigen gehöre, denen der
Kaffee ohne Mus nicht schmecken will, zu der damaligen Zeit die ausgezeichnetsten
Dienste.

Mittags setzte sich der Zug i» derselben Weise in Bewegung, um das Essen
zu holen, bestehend in Erbsen oder Bohnen mit Sauerkraut, und bisweilen auch


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[0385] diejenige Periode abwarten, in welcher das Schiff sich nach dieser Richtung hin¬ neigt; denn im entgegengesetzten Falle würde die eigene Geschwindigkeit durch das Aufsteigen dieser Seite so gehindert werden, daß man, ehe das Ziel erreicht wäre, rückwärts niedergestürzt würde. Solche und ähnliche Vorsichtsregeln lernte Jeder durch die Erfahrung, und da Nichts klüger macht, als ein erlittener Schaden, so ereignete es sich in dem spätern Theile unsrer Reise nur selten, daß Einer oder der Andere stürzte. Wir genossen für unsre 33 Thlr. für die ganze Dauer der Reise, die in 7 Wochen beendigt war, freie Wohnung und vollständige Beköstigung. Die Wohnung war eng genug, aber immer noch menschlich, und so verhielt es sich auch mit der Beköstigung. Brod und Butter wurde wöchentlich vertheilt; die Brode waren in Bremen gebacken und völlig deutsch: dunkelbraun, fast schwarz, wol nur aus Roggenkleie bereitet, hart wie Stein, so daß sie uur mit dem Hammer, oder durch Ausweichen in Wasser, Thee oder Kaffee zertheilt werden konnten, fünf Zoll ins Geviert und zwei Zoll hoch; die Butter, welche in reich¬ lichem Maße verabreicht wurde, war durchgängig gut. Auf dem Verdecke war, getrennt von der Küche der Capitains-Cajüte, ein Ofen gebaut, welcher zwei große Kessel enthielt. Einer der Kessel diente zum Kochen von Kaffee, Gemüse und Thee, der zweite zum Kochen des Fleisches. Dieser Ofen wurde durch einen deutschen Koch bedient, welcher sein Geschäft so gut verwaltete, daß wir, obgleich die Ansprüche sehr verschiede» sein mochten, doch niemals gegen ihn Klage sichren konnten, während der Cajütenkoch sast regelmäßig alle Speisen verdarb, und zuletzt auf allgemeines Verlangen der Passa¬ giere seines Amtes entsetzt wurde. Morgens gegen 6 Uhr entstiegen täglich die Passagiere des Zwischendecks und des Steerage mit kleineren und größere« blechernen Kaffeekannen, je nach¬ dem sie für sich allein oder für eine Gesellschaft von mehreren Personen den Dienst besorgten, ihrer dunklen Wohnung, und drängten sich um den Koch, der Jedem mit einer Kelle die gehörige Nation des hellbraunen Saftes eingoß; dann zogen sie wieder nach ihren drei Luken, stiegen die steilen Leitern hinab, 'und schlürften das heiße Kaffeewasser aus ihren Blechbechcrn mit einem Wohlbehagen ein, als ob sie 3 Sgr. für die Tasse gezahlt hätten. Mit dem Kaffee zugleich röurde von den Meisten das Frühstück eingenommen; denn dazu war man ge¬ zwungen, weil das Brod nur durch Eintauchen in eine Flüssigkeit genießbar ge¬ macht werden konnte. Ich hatte mich mit einem Töpfchen Pflaumenmus versehen, und dieses that mir, obgleich ich eigentlich nicht zu Denjenigen gehöre, denen der Kaffee ohne Mus nicht schmecken will, zu der damaligen Zeit die ausgezeichnetsten Dienste. Mittags setzte sich der Zug i» derselben Weise in Bewegung, um das Essen zu holen, bestehend in Erbsen oder Bohnen mit Sauerkraut, und bisweilen auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/385>, abgerufen am 24.07.2024.