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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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in Ordnung und in einem bessern Zustande als früher, und die nun getrof¬
fenen Vorkehrungen erwiesen sich so trefflich, daß während des übrigen Theils
der Reise niemals eine ähnliche Scene wieder zur Aufführung kam.

Die meisten Passagiere erholten sich nach 8--1i Tagen von der Seekrank¬
heit, und verschlangen nun mit Begierde die Speisen, welche sie wenige Tage
vorher angeekelt hatten. Einer oder der Andere freilich that dann des Guten zu
viel und bekam Rückfalle; namentlich zeichnete sich in dieser Hinficht ein Jude
ans, welcher sich die von anderen Passagieren übrig gelassenen Portionen von
selten Schweinefleisch erbettelte, und ein Arzt, welcher dem Kartoffelsalat in zu
reichlichem Maße zusprach. So stellte sich Einer nach dem Andern ans dem
Verdecke ein, zuerst um sich durch den Genuß der reinen, frischen Seeluft zu
stärken, dann aber auch, um die gewöhnlichen Geschäfte zu versehen. Solcher
Geschäfte gab es zwar uicht viele, auch waren sie an und für sich nicht schwer
-- denn auf dem Lande würde man Kinder von S Jahren damit beauftragt
haben -- aber sie erforderten wenigstens eine gewisse Sicherheit der Füße, welche
mau bei einem Seekräuter, namentlich wenn das Deck kurz vorher gewaschen
war, nicht voraussetzen konnte. Denn da dasselbe meist von Passagieren völlig
besetzt war, so hatte man nicht immer Raum, um sich an dem Bord, oder an
den Masten, oder an den Cajütenwänden festhalten zu können, und es war da¬
her bei dem Wiegen des Schiffes eine Sicherheit im Balanciren völlig noth¬
wendig. Kam es doch sogar dem Capitain und auch den Matrosen vor, daß
sie bisweilen stürzten, wie konnte man es einem Kranken zutrauen, daß er seinen
Labetrunk, den Kaffee, vom obern Decke bis in seine dunkle Behausung, ohne
Stoff zu vergeude", hiuabfördern könnte? Eine gewisse Sicherheit im Gehen kann
nur durch einen entsprechenden Grad von Aufmerksamkeit auf die Bewegungen
des Schiffes erzielt werdeu; diese Aufmerksamkeit wird mit der Zeit, da die Be¬
wegung ziemlich gleichmäßig ist, durch eine Art von Instinct, welchen man sich
durch die Gewohnheit aneignet, ersetzt. Das Schiff liegt meistentheils, da der
Wind nur in seltenen Fällen gerade von hinten weht, in den meisten Fällen aber
mehr oder weniger seitwärts wirkt, auf einer Seite, und wird aus dieser
ursprünglichen Lage heraus durch die Wellenbewegung,in wiegende Bewegung
gesetzt, sodaß es sich gleichmäßig nach beiden Seiten von dieser Richtung nach
Art eines Pendels entfernt. Nun kommt es namentlich darauf an, daß man
beim Gehen in der Richtung der Breite des Schiffes genan unterscheidet, ob
die nach unten geneigte Seite weiter nach unten schwingt, oder ob es sich eben
erhebt; dann hat man stets beim Gehen nach dieser Richtung die letztere Periode
abzuwarten, weil sonst im umgekehrten Falle die eigene Geschwindigkeit durch die
Schwingung des Schiffes beschleunigt werden würde, und ein heftiges Schleu¬
dern gegen die entgegengesetzte Seite nicht vermieden werden könnte. Will man
sich hingegen nach der höher liegenden Seite begeben, so muß man umgekehrt


in Ordnung und in einem bessern Zustande als früher, und die nun getrof¬
fenen Vorkehrungen erwiesen sich so trefflich, daß während des übrigen Theils
der Reise niemals eine ähnliche Scene wieder zur Aufführung kam.

Die meisten Passagiere erholten sich nach 8—1i Tagen von der Seekrank¬
heit, und verschlangen nun mit Begierde die Speisen, welche sie wenige Tage
vorher angeekelt hatten. Einer oder der Andere freilich that dann des Guten zu
viel und bekam Rückfalle; namentlich zeichnete sich in dieser Hinficht ein Jude
ans, welcher sich die von anderen Passagieren übrig gelassenen Portionen von
selten Schweinefleisch erbettelte, und ein Arzt, welcher dem Kartoffelsalat in zu
reichlichem Maße zusprach. So stellte sich Einer nach dem Andern ans dem
Verdecke ein, zuerst um sich durch den Genuß der reinen, frischen Seeluft zu
stärken, dann aber auch, um die gewöhnlichen Geschäfte zu versehen. Solcher
Geschäfte gab es zwar uicht viele, auch waren sie an und für sich nicht schwer
— denn auf dem Lande würde man Kinder von S Jahren damit beauftragt
haben — aber sie erforderten wenigstens eine gewisse Sicherheit der Füße, welche
mau bei einem Seekräuter, namentlich wenn das Deck kurz vorher gewaschen
war, nicht voraussetzen konnte. Denn da dasselbe meist von Passagieren völlig
besetzt war, so hatte man nicht immer Raum, um sich an dem Bord, oder an
den Masten, oder an den Cajütenwänden festhalten zu können, und es war da¬
her bei dem Wiegen des Schiffes eine Sicherheit im Balanciren völlig noth¬
wendig. Kam es doch sogar dem Capitain und auch den Matrosen vor, daß
sie bisweilen stürzten, wie konnte man es einem Kranken zutrauen, daß er seinen
Labetrunk, den Kaffee, vom obern Decke bis in seine dunkle Behausung, ohne
Stoff zu vergeude», hiuabfördern könnte? Eine gewisse Sicherheit im Gehen kann
nur durch einen entsprechenden Grad von Aufmerksamkeit auf die Bewegungen
des Schiffes erzielt werdeu; diese Aufmerksamkeit wird mit der Zeit, da die Be¬
wegung ziemlich gleichmäßig ist, durch eine Art von Instinct, welchen man sich
durch die Gewohnheit aneignet, ersetzt. Das Schiff liegt meistentheils, da der
Wind nur in seltenen Fällen gerade von hinten weht, in den meisten Fällen aber
mehr oder weniger seitwärts wirkt, auf einer Seite, und wird aus dieser
ursprünglichen Lage heraus durch die Wellenbewegung,in wiegende Bewegung
gesetzt, sodaß es sich gleichmäßig nach beiden Seiten von dieser Richtung nach
Art eines Pendels entfernt. Nun kommt es namentlich darauf an, daß man
beim Gehen in der Richtung der Breite des Schiffes genan unterscheidet, ob
die nach unten geneigte Seite weiter nach unten schwingt, oder ob es sich eben
erhebt; dann hat man stets beim Gehen nach dieser Richtung die letztere Periode
abzuwarten, weil sonst im umgekehrten Falle die eigene Geschwindigkeit durch die
Schwingung des Schiffes beschleunigt werden würde, und ein heftiges Schleu¬
dern gegen die entgegengesetzte Seite nicht vermieden werden könnte. Will man
sich hingegen nach der höher liegenden Seite begeben, so muß man umgekehrt


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[0384] in Ordnung und in einem bessern Zustande als früher, und die nun getrof¬ fenen Vorkehrungen erwiesen sich so trefflich, daß während des übrigen Theils der Reise niemals eine ähnliche Scene wieder zur Aufführung kam. Die meisten Passagiere erholten sich nach 8—1i Tagen von der Seekrank¬ heit, und verschlangen nun mit Begierde die Speisen, welche sie wenige Tage vorher angeekelt hatten. Einer oder der Andere freilich that dann des Guten zu viel und bekam Rückfalle; namentlich zeichnete sich in dieser Hinficht ein Jude ans, welcher sich die von anderen Passagieren übrig gelassenen Portionen von selten Schweinefleisch erbettelte, und ein Arzt, welcher dem Kartoffelsalat in zu reichlichem Maße zusprach. So stellte sich Einer nach dem Andern ans dem Verdecke ein, zuerst um sich durch den Genuß der reinen, frischen Seeluft zu stärken, dann aber auch, um die gewöhnlichen Geschäfte zu versehen. Solcher Geschäfte gab es zwar uicht viele, auch waren sie an und für sich nicht schwer — denn auf dem Lande würde man Kinder von S Jahren damit beauftragt haben — aber sie erforderten wenigstens eine gewisse Sicherheit der Füße, welche mau bei einem Seekräuter, namentlich wenn das Deck kurz vorher gewaschen war, nicht voraussetzen konnte. Denn da dasselbe meist von Passagieren völlig besetzt war, so hatte man nicht immer Raum, um sich an dem Bord, oder an den Masten, oder an den Cajütenwänden festhalten zu können, und es war da¬ her bei dem Wiegen des Schiffes eine Sicherheit im Balanciren völlig noth¬ wendig. Kam es doch sogar dem Capitain und auch den Matrosen vor, daß sie bisweilen stürzten, wie konnte man es einem Kranken zutrauen, daß er seinen Labetrunk, den Kaffee, vom obern Decke bis in seine dunkle Behausung, ohne Stoff zu vergeude», hiuabfördern könnte? Eine gewisse Sicherheit im Gehen kann nur durch einen entsprechenden Grad von Aufmerksamkeit auf die Bewegungen des Schiffes erzielt werdeu; diese Aufmerksamkeit wird mit der Zeit, da die Be¬ wegung ziemlich gleichmäßig ist, durch eine Art von Instinct, welchen man sich durch die Gewohnheit aneignet, ersetzt. Das Schiff liegt meistentheils, da der Wind nur in seltenen Fällen gerade von hinten weht, in den meisten Fällen aber mehr oder weniger seitwärts wirkt, auf einer Seite, und wird aus dieser ursprünglichen Lage heraus durch die Wellenbewegung,in wiegende Bewegung gesetzt, sodaß es sich gleichmäßig nach beiden Seiten von dieser Richtung nach Art eines Pendels entfernt. Nun kommt es namentlich darauf an, daß man beim Gehen in der Richtung der Breite des Schiffes genan unterscheidet, ob die nach unten geneigte Seite weiter nach unten schwingt, oder ob es sich eben erhebt; dann hat man stets beim Gehen nach dieser Richtung die letztere Periode abzuwarten, weil sonst im umgekehrten Falle die eigene Geschwindigkeit durch die Schwingung des Schiffes beschleunigt werden würde, und ein heftiges Schleu¬ dern gegen die entgegengesetzte Seite nicht vermieden werden könnte. Will man sich hingegen nach der höher liegenden Seite begeben, so muß man umgekehrt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/384>, abgerufen am 24.07.2024.