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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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mit Mgeln beschlagen, dann bildete sich am Rande der Decke eine Reihe von
Fächern für Eßgeschirre und sonstige Gegenstände von geringem Umsange; in der
vordem Wand erschien eine Luftöffnung in Form eines Fensters, und an den
Seitenwänden, namentlich aber an der hintern Wand, welche den Luken des
Sterns zugerichtet war, wurden die Lücken zwischen den Bretern erweitert, um
Licht und Lust durchzulassen; die Thür wurde mit einem hölzernen Drücker ver¬
sehen, und von der Decke herab hing bald an Schnuren eine lange Tafel, neben
welcher diejenigen Koffer, welche eine angemessene Höhe hatten, als Stühle und
Bänke Platz nahmen; mitten über diesem Tische, der jedoch nur Abends oder
bei Regenwetter, wenn wir gezwungen waren, uns in unsre Wohnung zurück¬
zuziehen, herabgehängt wurde, schwebte eine auf allgemeine Kosten angeschaffte,
von einer dicken Glaskugel umschlossene und oben durch Messingblech geschützte Lampe.

Dies war der Zustand, in welchem der Morgen des 17. Decembers unser
häuslich eingerichtetes Steeragc erblickte. Während der Nacht hatte sich der
Wind gedreht, und blies kräftig, aber gleichmäßig von Nordost. In aller Frühe
erschien der Capitain, welcher die vorhergehenden Nächte in Bremerhaven zuge¬
bracht hatte, in Begleitung des Lootsen an Bord; kurze Zeit darauf gab Letzterer,
an den jetzt der Oberbefehl übergegangen war, während der Capitain sich in
aller Gemächlichkeit in seiner Cajüte ausstreckte, die nöthigen Befehle, und eine
Stunde später blies der Wind kräftig in die Segel. Eine Woche vorher hatten
wir von dem Vaterlande schon einmal mit dem Gefühle des Schmerzes Abschied
genommen; dieser Abschied war zwar, wie wir später bemerkten, ein bloßes Spiel
gewesen, aber er hatte, da wir damals überzeugt waren, daß wir die deutsche
Küste zum letzten Male sähen, den Eindruck der Wirklichkeit auf unsre Gemüther
gemacht, und diesen Eindruck zurückgelassen, so daß eine Wiederholung nicht
möglich war -- vielmehr erglänzten jetzt Aller Augen vor Freude über den end¬
lichen Beginn der Verwirklichung unsrer Hoffnungen. Die Abschiedsbriefe an
unsre Verwandten und Freunde waren geschrieben, aber alle erhielten ein ?ost-
seriMm des Inhalts: "Deu -17. December, Nachmittags -- der Lootse ist an
Bord, das weite Meer ist vor uns; lebt wohl!" Dann wurden sie versiegelt,
wobei Kisten, Fässer und sogar der bloße Fußboden die Stelle des Schreibtisches
vertreten mußten, und mit der nachdrücklichen Bitte um gewissenhafte Besorgung
dem Lootsen übergeben.

Eine Stunde später, als eben der Lootsenkutter unsren Piloten aufnahm,
zeigte sich auf dem Gesichte des Einen und des Andern eine Todesblässe, die
Vorbotin der Seekrankheit, während die Uebrigen lächelten und auch wol spot¬
teten. Unter den Erste", welche von'der Krankheit befallen wurden, befanden
sich der Student und der Goldschmied; aber es dauerte nicht lange, so wurden
Diejenigen, welche jetzt gelacht hatten, ernst; sie stützten den Kopf mit der Hand,
blickten auf die Wellen unter sich, beugten den Kops dann und wann krampfhaft


mit Mgeln beschlagen, dann bildete sich am Rande der Decke eine Reihe von
Fächern für Eßgeschirre und sonstige Gegenstände von geringem Umsange; in der
vordem Wand erschien eine Luftöffnung in Form eines Fensters, und an den
Seitenwänden, namentlich aber an der hintern Wand, welche den Luken des
Sterns zugerichtet war, wurden die Lücken zwischen den Bretern erweitert, um
Licht und Lust durchzulassen; die Thür wurde mit einem hölzernen Drücker ver¬
sehen, und von der Decke herab hing bald an Schnuren eine lange Tafel, neben
welcher diejenigen Koffer, welche eine angemessene Höhe hatten, als Stühle und
Bänke Platz nahmen; mitten über diesem Tische, der jedoch nur Abends oder
bei Regenwetter, wenn wir gezwungen waren, uns in unsre Wohnung zurück¬
zuziehen, herabgehängt wurde, schwebte eine auf allgemeine Kosten angeschaffte,
von einer dicken Glaskugel umschlossene und oben durch Messingblech geschützte Lampe.

Dies war der Zustand, in welchem der Morgen des 17. Decembers unser
häuslich eingerichtetes Steeragc erblickte. Während der Nacht hatte sich der
Wind gedreht, und blies kräftig, aber gleichmäßig von Nordost. In aller Frühe
erschien der Capitain, welcher die vorhergehenden Nächte in Bremerhaven zuge¬
bracht hatte, in Begleitung des Lootsen an Bord; kurze Zeit darauf gab Letzterer,
an den jetzt der Oberbefehl übergegangen war, während der Capitain sich in
aller Gemächlichkeit in seiner Cajüte ausstreckte, die nöthigen Befehle, und eine
Stunde später blies der Wind kräftig in die Segel. Eine Woche vorher hatten
wir von dem Vaterlande schon einmal mit dem Gefühle des Schmerzes Abschied
genommen; dieser Abschied war zwar, wie wir später bemerkten, ein bloßes Spiel
gewesen, aber er hatte, da wir damals überzeugt waren, daß wir die deutsche
Küste zum letzten Male sähen, den Eindruck der Wirklichkeit auf unsre Gemüther
gemacht, und diesen Eindruck zurückgelassen, so daß eine Wiederholung nicht
möglich war — vielmehr erglänzten jetzt Aller Augen vor Freude über den end¬
lichen Beginn der Verwirklichung unsrer Hoffnungen. Die Abschiedsbriefe an
unsre Verwandten und Freunde waren geschrieben, aber alle erhielten ein ?ost-
seriMm des Inhalts: „Deu -17. December, Nachmittags — der Lootse ist an
Bord, das weite Meer ist vor uns; lebt wohl!" Dann wurden sie versiegelt,
wobei Kisten, Fässer und sogar der bloße Fußboden die Stelle des Schreibtisches
vertreten mußten, und mit der nachdrücklichen Bitte um gewissenhafte Besorgung
dem Lootsen übergeben.

Eine Stunde später, als eben der Lootsenkutter unsren Piloten aufnahm,
zeigte sich auf dem Gesichte des Einen und des Andern eine Todesblässe, die
Vorbotin der Seekrankheit, während die Uebrigen lächelten und auch wol spot¬
teten. Unter den Erste», welche von'der Krankheit befallen wurden, befanden
sich der Student und der Goldschmied; aber es dauerte nicht lange, so wurden
Diejenigen, welche jetzt gelacht hatten, ernst; sie stützten den Kopf mit der Hand,
blickten auf die Wellen unter sich, beugten den Kops dann und wann krampfhaft


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[0380] mit Mgeln beschlagen, dann bildete sich am Rande der Decke eine Reihe von Fächern für Eßgeschirre und sonstige Gegenstände von geringem Umsange; in der vordem Wand erschien eine Luftöffnung in Form eines Fensters, und an den Seitenwänden, namentlich aber an der hintern Wand, welche den Luken des Sterns zugerichtet war, wurden die Lücken zwischen den Bretern erweitert, um Licht und Lust durchzulassen; die Thür wurde mit einem hölzernen Drücker ver¬ sehen, und von der Decke herab hing bald an Schnuren eine lange Tafel, neben welcher diejenigen Koffer, welche eine angemessene Höhe hatten, als Stühle und Bänke Platz nahmen; mitten über diesem Tische, der jedoch nur Abends oder bei Regenwetter, wenn wir gezwungen waren, uns in unsre Wohnung zurück¬ zuziehen, herabgehängt wurde, schwebte eine auf allgemeine Kosten angeschaffte, von einer dicken Glaskugel umschlossene und oben durch Messingblech geschützte Lampe. Dies war der Zustand, in welchem der Morgen des 17. Decembers unser häuslich eingerichtetes Steeragc erblickte. Während der Nacht hatte sich der Wind gedreht, und blies kräftig, aber gleichmäßig von Nordost. In aller Frühe erschien der Capitain, welcher die vorhergehenden Nächte in Bremerhaven zuge¬ bracht hatte, in Begleitung des Lootsen an Bord; kurze Zeit darauf gab Letzterer, an den jetzt der Oberbefehl übergegangen war, während der Capitain sich in aller Gemächlichkeit in seiner Cajüte ausstreckte, die nöthigen Befehle, und eine Stunde später blies der Wind kräftig in die Segel. Eine Woche vorher hatten wir von dem Vaterlande schon einmal mit dem Gefühle des Schmerzes Abschied genommen; dieser Abschied war zwar, wie wir später bemerkten, ein bloßes Spiel gewesen, aber er hatte, da wir damals überzeugt waren, daß wir die deutsche Küste zum letzten Male sähen, den Eindruck der Wirklichkeit auf unsre Gemüther gemacht, und diesen Eindruck zurückgelassen, so daß eine Wiederholung nicht möglich war — vielmehr erglänzten jetzt Aller Augen vor Freude über den end¬ lichen Beginn der Verwirklichung unsrer Hoffnungen. Die Abschiedsbriefe an unsre Verwandten und Freunde waren geschrieben, aber alle erhielten ein ?ost- seriMm des Inhalts: „Deu -17. December, Nachmittags — der Lootse ist an Bord, das weite Meer ist vor uns; lebt wohl!" Dann wurden sie versiegelt, wobei Kisten, Fässer und sogar der bloße Fußboden die Stelle des Schreibtisches vertreten mußten, und mit der nachdrücklichen Bitte um gewissenhafte Besorgung dem Lootsen übergeben. Eine Stunde später, als eben der Lootsenkutter unsren Piloten aufnahm, zeigte sich auf dem Gesichte des Einen und des Andern eine Todesblässe, die Vorbotin der Seekrankheit, während die Uebrigen lächelten und auch wol spot¬ teten. Unter den Erste», welche von'der Krankheit befallen wurden, befanden sich der Student und der Goldschmied; aber es dauerte nicht lange, so wurden Diejenigen, welche jetzt gelacht hatten, ernst; sie stützten den Kopf mit der Hand, blickten auf die Wellen unter sich, beugten den Kops dann und wann krampfhaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/380>, abgerufen am 24.07.2024.