Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gleichlaufend war. Dann war jeder Einzelne von seinem Nachbar völlig unab¬
hängig; er konnte nach einiger Uebung, indem er entweder dem Kopfe oder den
Füßen die Anführung anvertraute, ohne dem Nachbar mißfällig zu werden, sich
hineinschieben; er konnte, wenn er den Kopf nach vorn legte, eine möglichst reine
Luft, wie sie in einem Zwischendecke rein genannt werden kann, einathmen, und
kam, indem er oben und unten, rechts und links an festen Wänden anstieß, nicht
in Gefahr, in rollender Bewegung über seine Mitmenschen hinweg zu voltigiren.

Von diesem zu eiuer gemeinschaftlichen Wohnung eingerichteten Zwischendecke
war die linke Seite der hintern Abtheilung, enthaltend 16 in 2 Stockwerke ab¬
geschiedene Kojen, durch eine Umfassung von Bretern als Steerage abgeschnitten.
Hiernach stellte unser zukünftiges, für eine Familie von 17 Personen, inÄ. 2 Kin¬
dern, eingerichtetes Logis ein Oblong von 20 F. Länge und 11 F. Breite, also
von 220 Quadratfuß Fläche dar; da die Bettstellen eine Fläche von 16 F. Länge
und SVs F. Breite, folglich 88 Quadrats, in Anspruch nahmen, um das Schlaf-
cabinet zu bilden, so blieb als eigentliches Wohnzimmer für die 17 Personen
nur noch eine Fläche von 132 Quadratfuß in der Form eiues laugen Vierecks
von SV- F- Breite und 20 F. Länge, und daneben hinter den Kojen noch ein
Stück von i F. Breite und öVs F. Länge.

Diese sogenannte zweite Cajüte -der deutschen Schiffe wurde nun mit dem
Meublement, d. h. mit den Koffern und Kisten, den Kleidungsstücken und
Mundvorräthen der 17 Bewohner angefüllt. Kurz nach unsrem Einzuge war
das Chaos fürchterlich; jeder Einzelne wollte so viel als möglich von seinen
Effecten in seiner unmittelbaren Nähe haben, und Mancher hatte Kisten mit
hineingebracht, die ihm sür die Dauer der Seereise nicht den geringsten Dienst
leisten konnten. Nach vielem Hin- und Herreden wurde endlich gesichtet. Die
Kisten wurden rechts und links und in dem Hinteren Raume aufgestellt, so daß
noch ein freier Gang von 2--3 Fuß Breite übrig blieb. Jetzt kamen aber noch
Fässer mit Rum, Wein und Essig, Töpfe mit Pflaumenmus, sauren Gurken,
Preiselbeeren und Heringen, Säcke mit Weißbrod, Kaffeemühlen, Kaffee- und
Theekannen, Eß- und Trinkgeräthe, Nachtgeschirre (für die Seekrankheit) und
andere dergleichen nützliche und umiützliche Gegenstände; dazu ein Haufen von
Kleidungsstücken, vornehmlich von Mänteln, welche zu der Zeit unsrer Abreise
(December) völlig unentbehrlich waren, einige Zeit später aber, als unser Cours
sich nach Süden lenkte, zur größten Plage wurden -- und Alles dieses in einem
finstern, dumpfigen Raume, der nur bei geöffneter Thür einen Theil der Däm¬
merung und der schon hinreichend drückenden Luft des Zwischendecks als Gnaden¬
geschenk erhielt. Ein Glück, daß wir noch im Flusse lagen, und daß unsre
Hände und Füße noch nicht dnrch das Schaukeln des Schiffes und durch die See¬
krankheit uns den Dienst versagten. Jeder hals jetzt nach Kräften; Bohrer, Nägel,
Hämmer, Sägen und Beile wurden in Thätigkeit gesetzt; bald waren die Wände


gleichlaufend war. Dann war jeder Einzelne von seinem Nachbar völlig unab¬
hängig; er konnte nach einiger Uebung, indem er entweder dem Kopfe oder den
Füßen die Anführung anvertraute, ohne dem Nachbar mißfällig zu werden, sich
hineinschieben; er konnte, wenn er den Kopf nach vorn legte, eine möglichst reine
Luft, wie sie in einem Zwischendecke rein genannt werden kann, einathmen, und
kam, indem er oben und unten, rechts und links an festen Wänden anstieß, nicht
in Gefahr, in rollender Bewegung über seine Mitmenschen hinweg zu voltigiren.

Von diesem zu eiuer gemeinschaftlichen Wohnung eingerichteten Zwischendecke
war die linke Seite der hintern Abtheilung, enthaltend 16 in 2 Stockwerke ab¬
geschiedene Kojen, durch eine Umfassung von Bretern als Steerage abgeschnitten.
Hiernach stellte unser zukünftiges, für eine Familie von 17 Personen, inÄ. 2 Kin¬
dern, eingerichtetes Logis ein Oblong von 20 F. Länge und 11 F. Breite, also
von 220 Quadratfuß Fläche dar; da die Bettstellen eine Fläche von 16 F. Länge
und SVs F. Breite, folglich 88 Quadrats, in Anspruch nahmen, um das Schlaf-
cabinet zu bilden, so blieb als eigentliches Wohnzimmer für die 17 Personen
nur noch eine Fläche von 132 Quadratfuß in der Form eiues laugen Vierecks
von SV- F- Breite und 20 F. Länge, und daneben hinter den Kojen noch ein
Stück von i F. Breite und öVs F. Länge.

Diese sogenannte zweite Cajüte -der deutschen Schiffe wurde nun mit dem
Meublement, d. h. mit den Koffern und Kisten, den Kleidungsstücken und
Mundvorräthen der 17 Bewohner angefüllt. Kurz nach unsrem Einzuge war
das Chaos fürchterlich; jeder Einzelne wollte so viel als möglich von seinen
Effecten in seiner unmittelbaren Nähe haben, und Mancher hatte Kisten mit
hineingebracht, die ihm sür die Dauer der Seereise nicht den geringsten Dienst
leisten konnten. Nach vielem Hin- und Herreden wurde endlich gesichtet. Die
Kisten wurden rechts und links und in dem Hinteren Raume aufgestellt, so daß
noch ein freier Gang von 2—3 Fuß Breite übrig blieb. Jetzt kamen aber noch
Fässer mit Rum, Wein und Essig, Töpfe mit Pflaumenmus, sauren Gurken,
Preiselbeeren und Heringen, Säcke mit Weißbrod, Kaffeemühlen, Kaffee- und
Theekannen, Eß- und Trinkgeräthe, Nachtgeschirre (für die Seekrankheit) und
andere dergleichen nützliche und umiützliche Gegenstände; dazu ein Haufen von
Kleidungsstücken, vornehmlich von Mänteln, welche zu der Zeit unsrer Abreise
(December) völlig unentbehrlich waren, einige Zeit später aber, als unser Cours
sich nach Süden lenkte, zur größten Plage wurden — und Alles dieses in einem
finstern, dumpfigen Raume, der nur bei geöffneter Thür einen Theil der Däm¬
merung und der schon hinreichend drückenden Luft des Zwischendecks als Gnaden¬
geschenk erhielt. Ein Glück, daß wir noch im Flusse lagen, und daß unsre
Hände und Füße noch nicht dnrch das Schaukeln des Schiffes und durch die See¬
krankheit uns den Dienst versagten. Jeder hals jetzt nach Kräften; Bohrer, Nägel,
Hämmer, Sägen und Beile wurden in Thätigkeit gesetzt; bald waren die Wände


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0379" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94280"/>
          <p xml:id="ID_1067" prev="#ID_1066"> gleichlaufend war. Dann war jeder Einzelne von seinem Nachbar völlig unab¬<lb/>
hängig; er konnte nach einiger Uebung, indem er entweder dem Kopfe oder den<lb/>
Füßen die Anführung anvertraute, ohne dem Nachbar mißfällig zu werden, sich<lb/>
hineinschieben; er konnte, wenn er den Kopf nach vorn legte, eine möglichst reine<lb/>
Luft, wie sie in einem Zwischendecke rein genannt werden kann, einathmen, und<lb/>
kam, indem er oben und unten, rechts und links an festen Wänden anstieß, nicht<lb/>
in Gefahr, in rollender Bewegung über seine Mitmenschen hinweg zu voltigiren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1068"> Von diesem zu eiuer gemeinschaftlichen Wohnung eingerichteten Zwischendecke<lb/>
war die linke Seite der hintern Abtheilung, enthaltend 16 in 2 Stockwerke ab¬<lb/>
geschiedene Kojen, durch eine Umfassung von Bretern als Steerage abgeschnitten.<lb/>
Hiernach stellte unser zukünftiges, für eine Familie von 17 Personen, inÄ. 2 Kin¬<lb/>
dern, eingerichtetes Logis ein Oblong von 20 F. Länge und 11 F. Breite, also<lb/>
von 220 Quadratfuß Fläche dar; da die Bettstellen eine Fläche von 16 F. Länge<lb/>
und SVs F. Breite, folglich 88 Quadrats, in Anspruch nahmen, um das Schlaf-<lb/>
cabinet zu bilden, so blieb als eigentliches Wohnzimmer für die 17 Personen<lb/>
nur noch eine Fläche von 132 Quadratfuß in der Form eiues laugen Vierecks<lb/>
von SV- F- Breite und 20 F. Länge, und daneben hinter den Kojen noch ein<lb/>
Stück von i F. Breite und öVs F. Länge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1069" next="#ID_1070"> Diese sogenannte zweite Cajüte -der deutschen Schiffe wurde nun mit dem<lb/>
Meublement, d. h. mit den Koffern und Kisten, den Kleidungsstücken und<lb/>
Mundvorräthen der 17 Bewohner angefüllt. Kurz nach unsrem Einzuge war<lb/>
das Chaos fürchterlich; jeder Einzelne wollte so viel als möglich von seinen<lb/>
Effecten in seiner unmittelbaren Nähe haben, und Mancher hatte Kisten mit<lb/>
hineingebracht, die ihm sür die Dauer der Seereise nicht den geringsten Dienst<lb/>
leisten konnten. Nach vielem Hin- und Herreden wurde endlich gesichtet. Die<lb/>
Kisten wurden rechts und links und in dem Hinteren Raume aufgestellt, so daß<lb/>
noch ein freier Gang von 2&#x2014;3 Fuß Breite übrig blieb. Jetzt kamen aber noch<lb/>
Fässer mit Rum, Wein und Essig, Töpfe mit Pflaumenmus, sauren Gurken,<lb/>
Preiselbeeren und Heringen, Säcke mit Weißbrod, Kaffeemühlen, Kaffee- und<lb/>
Theekannen, Eß- und Trinkgeräthe, Nachtgeschirre (für die Seekrankheit) und<lb/>
andere dergleichen nützliche und umiützliche Gegenstände; dazu ein Haufen von<lb/>
Kleidungsstücken, vornehmlich von Mänteln, welche zu der Zeit unsrer Abreise<lb/>
(December) völlig unentbehrlich waren, einige Zeit später aber, als unser Cours<lb/>
sich nach Süden lenkte, zur größten Plage wurden &#x2014; und Alles dieses in einem<lb/>
finstern, dumpfigen Raume, der nur bei geöffneter Thür einen Theil der Däm¬<lb/>
merung und der schon hinreichend drückenden Luft des Zwischendecks als Gnaden¬<lb/>
geschenk erhielt. Ein Glück, daß wir noch im Flusse lagen, und daß unsre<lb/>
Hände und Füße noch nicht dnrch das Schaukeln des Schiffes und durch die See¬<lb/>
krankheit uns den Dienst versagten. Jeder hals jetzt nach Kräften; Bohrer, Nägel,<lb/>
Hämmer, Sägen und Beile wurden in Thätigkeit gesetzt; bald waren die Wände</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0379] gleichlaufend war. Dann war jeder Einzelne von seinem Nachbar völlig unab¬ hängig; er konnte nach einiger Uebung, indem er entweder dem Kopfe oder den Füßen die Anführung anvertraute, ohne dem Nachbar mißfällig zu werden, sich hineinschieben; er konnte, wenn er den Kopf nach vorn legte, eine möglichst reine Luft, wie sie in einem Zwischendecke rein genannt werden kann, einathmen, und kam, indem er oben und unten, rechts und links an festen Wänden anstieß, nicht in Gefahr, in rollender Bewegung über seine Mitmenschen hinweg zu voltigiren. Von diesem zu eiuer gemeinschaftlichen Wohnung eingerichteten Zwischendecke war die linke Seite der hintern Abtheilung, enthaltend 16 in 2 Stockwerke ab¬ geschiedene Kojen, durch eine Umfassung von Bretern als Steerage abgeschnitten. Hiernach stellte unser zukünftiges, für eine Familie von 17 Personen, inÄ. 2 Kin¬ dern, eingerichtetes Logis ein Oblong von 20 F. Länge und 11 F. Breite, also von 220 Quadratfuß Fläche dar; da die Bettstellen eine Fläche von 16 F. Länge und SVs F. Breite, folglich 88 Quadrats, in Anspruch nahmen, um das Schlaf- cabinet zu bilden, so blieb als eigentliches Wohnzimmer für die 17 Personen nur noch eine Fläche von 132 Quadratfuß in der Form eiues laugen Vierecks von SV- F- Breite und 20 F. Länge, und daneben hinter den Kojen noch ein Stück von i F. Breite und öVs F. Länge. Diese sogenannte zweite Cajüte -der deutschen Schiffe wurde nun mit dem Meublement, d. h. mit den Koffern und Kisten, den Kleidungsstücken und Mundvorräthen der 17 Bewohner angefüllt. Kurz nach unsrem Einzuge war das Chaos fürchterlich; jeder Einzelne wollte so viel als möglich von seinen Effecten in seiner unmittelbaren Nähe haben, und Mancher hatte Kisten mit hineingebracht, die ihm sür die Dauer der Seereise nicht den geringsten Dienst leisten konnten. Nach vielem Hin- und Herreden wurde endlich gesichtet. Die Kisten wurden rechts und links und in dem Hinteren Raume aufgestellt, so daß noch ein freier Gang von 2—3 Fuß Breite übrig blieb. Jetzt kamen aber noch Fässer mit Rum, Wein und Essig, Töpfe mit Pflaumenmus, sauren Gurken, Preiselbeeren und Heringen, Säcke mit Weißbrod, Kaffeemühlen, Kaffee- und Theekannen, Eß- und Trinkgeräthe, Nachtgeschirre (für die Seekrankheit) und andere dergleichen nützliche und umiützliche Gegenstände; dazu ein Haufen von Kleidungsstücken, vornehmlich von Mänteln, welche zu der Zeit unsrer Abreise (December) völlig unentbehrlich waren, einige Zeit später aber, als unser Cours sich nach Süden lenkte, zur größten Plage wurden — und Alles dieses in einem finstern, dumpfigen Raume, der nur bei geöffneter Thür einen Theil der Däm¬ merung und der schon hinreichend drückenden Luft des Zwischendecks als Gnaden¬ geschenk erhielt. Ein Glück, daß wir noch im Flusse lagen, und daß unsre Hände und Füße noch nicht dnrch das Schaukeln des Schiffes und durch die See¬ krankheit uns den Dienst versagten. Jeder hals jetzt nach Kräften; Bohrer, Nägel, Hämmer, Sägen und Beile wurden in Thätigkeit gesetzt; bald waren die Wände

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/379
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/379>, abgerufen am 24.07.2024.