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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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entworfen war, mußte nun aber noch den übrigen zur Gcnehnügnng vorgelegt
werden -- unter anderen auch einem Mr. S., einem gebornen Deutschen, welcher
seit 1i Jahren in Amerika angesiedelt war, im Jahre 1848, um seine Verwandten
zu besuchen, eine Reise nach Deutschland gemacht hatte, und mit demselben Schiffe,
welchem wir uns anvertrauen wollten, nach Amerika zurückzukehren gedachte. Dieser
Mr. S. hatte sich, mit Seefahrten bekannt, schon die zweckmäßigste Lagerstätte
ausgesucht, die letzte in der obersten Reihe; er hatte dadurch deu Portheil, daß
seine Nespirations- und Geruchsorgane nur von einer Seite in Unbequemlichkeit
versetzt wurden, und zugleich die Hoffnung, von gewissen kleinen, ungerufener
Gästen, die sich zuerst wol unter den Passagieren des eigentlichen Zwischendecks
ansiedeln würden, am längsten frei zu bleiben. Daß er sein Lager in der obern
Reihe ausgewählt hatte, war auch nicht ohne Grund, indem er so vor gewissen
anderen Zufällen, welche die Seekrankheit mit sich führt, geschützt blieb. Als nnn
an ihn die Anforderung gestellt wurde, er möchte seine Lagerstätte mit einer an¬
dern vertausche", zeigte er sich nicht besonders geneigt, und stellte uns diese Ein¬
richtung als zweckwidrig dar, indem er ans allen seinen Seereisen bemerkt habe,
daß jeder Passagier sich gegen anständige Frauen anständig betrage, daß aber,
sobald die Frauen sich separirten und eine Etiquette einführten, die nicht beob¬
achtet werden konnte, dadurch Veranlassung zu Witzeleien und auch wol zu unan¬
ständigen Neckereien gegeben würde. Die Erfahrung lehrte später, daß er recht
hatte; damals aber wollte es Niemand einsehen. Die Folge war, daß vornehm¬
lich die Damen nur mit Zittern und Zagen an die bevorstehende lange Seereise
dachten, und daß sich alle Befürchtungen auf Mr. S. concentrirten. Mit einem
solchen Menschen, der noch dazu einen Frack von Merino trug, Wochen lang
einen Raum gemeinschaftlich zu bewohnen, war unsren Damen ein Greuel. Drei
Wochen hatten wir schon, ehe wir mit Mr. S. zusammentrafen, wegen ungünstigen
Windes in Brcmerhaven zugebracht; endlich fuhren wir aus dem Hafen in den
Fluß, um dem Winde zu verstehen zu geben, wir wären nnn ernstlich entschlossen
abzureisen; aber der Wind war hartnäckiger als wir, und wir blieben noch
ein'e Woche liegen. Während dieser Zeit konnten wir uns nach und nach an
S., der bei seinem unruhigen Temperament nicht auf dem Schiffe bleiben konnte,
sondern sich ab und zu uach dem Hafen fahren ließ, gewöhnen, und fandeU ihn
bald wenigstens nicht mehr unerträglich. Zunächst half er uns getreulich durch Rath
und That bei jdem wichtigen Geschäfte, unsre Stecrage zu einem gemüthlichen
Wohnzimmer umzugestalten. Es war dies sicherlich keine leichte Arbeit, aber sie
gelang uns nach verschiedenem Probiren und Verbessern in einer Weise, daß
wir uns mit der Zeit weit zufriedener fühlten, als die 8 Bewohner der ersten
Cajüte.

Unser James Edward, ein Dreimaster von 3S0 Tonnen, führte, wie schon
gesagt, 200 Passagiere, von denen 8 die erste Cajüte und alle übrigen das


entworfen war, mußte nun aber noch den übrigen zur Gcnehnügnng vorgelegt
werden — unter anderen auch einem Mr. S., einem gebornen Deutschen, welcher
seit 1i Jahren in Amerika angesiedelt war, im Jahre 1848, um seine Verwandten
zu besuchen, eine Reise nach Deutschland gemacht hatte, und mit demselben Schiffe,
welchem wir uns anvertrauen wollten, nach Amerika zurückzukehren gedachte. Dieser
Mr. S. hatte sich, mit Seefahrten bekannt, schon die zweckmäßigste Lagerstätte
ausgesucht, die letzte in der obersten Reihe; er hatte dadurch deu Portheil, daß
seine Nespirations- und Geruchsorgane nur von einer Seite in Unbequemlichkeit
versetzt wurden, und zugleich die Hoffnung, von gewissen kleinen, ungerufener
Gästen, die sich zuerst wol unter den Passagieren des eigentlichen Zwischendecks
ansiedeln würden, am längsten frei zu bleiben. Daß er sein Lager in der obern
Reihe ausgewählt hatte, war auch nicht ohne Grund, indem er so vor gewissen
anderen Zufällen, welche die Seekrankheit mit sich führt, geschützt blieb. Als nnn
an ihn die Anforderung gestellt wurde, er möchte seine Lagerstätte mit einer an¬
dern vertausche», zeigte er sich nicht besonders geneigt, und stellte uns diese Ein¬
richtung als zweckwidrig dar, indem er ans allen seinen Seereisen bemerkt habe,
daß jeder Passagier sich gegen anständige Frauen anständig betrage, daß aber,
sobald die Frauen sich separirten und eine Etiquette einführten, die nicht beob¬
achtet werden konnte, dadurch Veranlassung zu Witzeleien und auch wol zu unan¬
ständigen Neckereien gegeben würde. Die Erfahrung lehrte später, daß er recht
hatte; damals aber wollte es Niemand einsehen. Die Folge war, daß vornehm¬
lich die Damen nur mit Zittern und Zagen an die bevorstehende lange Seereise
dachten, und daß sich alle Befürchtungen auf Mr. S. concentrirten. Mit einem
solchen Menschen, der noch dazu einen Frack von Merino trug, Wochen lang
einen Raum gemeinschaftlich zu bewohnen, war unsren Damen ein Greuel. Drei
Wochen hatten wir schon, ehe wir mit Mr. S. zusammentrafen, wegen ungünstigen
Windes in Brcmerhaven zugebracht; endlich fuhren wir aus dem Hafen in den
Fluß, um dem Winde zu verstehen zu geben, wir wären nnn ernstlich entschlossen
abzureisen; aber der Wind war hartnäckiger als wir, und wir blieben noch
ein'e Woche liegen. Während dieser Zeit konnten wir uns nach und nach an
S., der bei seinem unruhigen Temperament nicht auf dem Schiffe bleiben konnte,
sondern sich ab und zu uach dem Hafen fahren ließ, gewöhnen, und fandeU ihn
bald wenigstens nicht mehr unerträglich. Zunächst half er uns getreulich durch Rath
und That bei jdem wichtigen Geschäfte, unsre Stecrage zu einem gemüthlichen
Wohnzimmer umzugestalten. Es war dies sicherlich keine leichte Arbeit, aber sie
gelang uns nach verschiedenem Probiren und Verbessern in einer Weise, daß
wir uns mit der Zeit weit zufriedener fühlten, als die 8 Bewohner der ersten
Cajüte.

Unser James Edward, ein Dreimaster von 3S0 Tonnen, führte, wie schon
gesagt, 200 Passagiere, von denen 8 die erste Cajüte und alle übrigen das


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[0377] entworfen war, mußte nun aber noch den übrigen zur Gcnehnügnng vorgelegt werden — unter anderen auch einem Mr. S., einem gebornen Deutschen, welcher seit 1i Jahren in Amerika angesiedelt war, im Jahre 1848, um seine Verwandten zu besuchen, eine Reise nach Deutschland gemacht hatte, und mit demselben Schiffe, welchem wir uns anvertrauen wollten, nach Amerika zurückzukehren gedachte. Dieser Mr. S. hatte sich, mit Seefahrten bekannt, schon die zweckmäßigste Lagerstätte ausgesucht, die letzte in der obersten Reihe; er hatte dadurch deu Portheil, daß seine Nespirations- und Geruchsorgane nur von einer Seite in Unbequemlichkeit versetzt wurden, und zugleich die Hoffnung, von gewissen kleinen, ungerufener Gästen, die sich zuerst wol unter den Passagieren des eigentlichen Zwischendecks ansiedeln würden, am längsten frei zu bleiben. Daß er sein Lager in der obern Reihe ausgewählt hatte, war auch nicht ohne Grund, indem er so vor gewissen anderen Zufällen, welche die Seekrankheit mit sich führt, geschützt blieb. Als nnn an ihn die Anforderung gestellt wurde, er möchte seine Lagerstätte mit einer an¬ dern vertausche», zeigte er sich nicht besonders geneigt, und stellte uns diese Ein¬ richtung als zweckwidrig dar, indem er ans allen seinen Seereisen bemerkt habe, daß jeder Passagier sich gegen anständige Frauen anständig betrage, daß aber, sobald die Frauen sich separirten und eine Etiquette einführten, die nicht beob¬ achtet werden konnte, dadurch Veranlassung zu Witzeleien und auch wol zu unan¬ ständigen Neckereien gegeben würde. Die Erfahrung lehrte später, daß er recht hatte; damals aber wollte es Niemand einsehen. Die Folge war, daß vornehm¬ lich die Damen nur mit Zittern und Zagen an die bevorstehende lange Seereise dachten, und daß sich alle Befürchtungen auf Mr. S. concentrirten. Mit einem solchen Menschen, der noch dazu einen Frack von Merino trug, Wochen lang einen Raum gemeinschaftlich zu bewohnen, war unsren Damen ein Greuel. Drei Wochen hatten wir schon, ehe wir mit Mr. S. zusammentrafen, wegen ungünstigen Windes in Brcmerhaven zugebracht; endlich fuhren wir aus dem Hafen in den Fluß, um dem Winde zu verstehen zu geben, wir wären nnn ernstlich entschlossen abzureisen; aber der Wind war hartnäckiger als wir, und wir blieben noch ein'e Woche liegen. Während dieser Zeit konnten wir uns nach und nach an S., der bei seinem unruhigen Temperament nicht auf dem Schiffe bleiben konnte, sondern sich ab und zu uach dem Hafen fahren ließ, gewöhnen, und fandeU ihn bald wenigstens nicht mehr unerträglich. Zunächst half er uns getreulich durch Rath und That bei jdem wichtigen Geschäfte, unsre Stecrage zu einem gemüthlichen Wohnzimmer umzugestalten. Es war dies sicherlich keine leichte Arbeit, aber sie gelang uns nach verschiedenem Probiren und Verbessern in einer Weise, daß wir uns mit der Zeit weit zufriedener fühlten, als die 8 Bewohner der ersten Cajüte. Unser James Edward, ein Dreimaster von 3S0 Tonnen, führte, wie schon gesagt, 200 Passagiere, von denen 8 die erste Cajüte und alle übrigen das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/377>, abgerufen am 25.07.2024.