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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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er fest auf seinem Entschlüsse, nicht eher in See zu gehen, als wenn er sicher
hoffen dürste, daß der günstige Wind beständig bliebe.

Drei Wochen hatten wir in Bremerhaven zugebracht; der 20. November war
für die Abfahrt festgesetzt, aber widriger Wind hatte es unmöglich gemacht, den
Fluß zu verlassen. Natürlich war diese Verzögerung Keinem von uns erfreulich;
denn abgesehen davon, daß jede verlorene Zeit nicht zurückgerufen werden kann,
wurde auch unser Geldbeutel unangenehm berührt, indem er zu der Entschädigung
von S Sgr., welche jeder Zwischcndeckspassagier erhielt,' noch eine erkleckliche
Summe zusteuern mußte; doch höhnten uns der von Westen herbrausende Sturm
und die Berichte von verschiedenen Unglücksfällen, welche einige Schiffe in dem
Canal betroffen hatten, mit unsrem Geschicke aus, und wir rechneten gar nicht
unvernünftig: lieber vier Wochen später und um 20 Thlr. ärmer, als zeitig
und mit wohlbewährtem Vermögen in der Tiefe des Meeres. Vom 1. December
an war es Jedem gestattet, in das Schiff zu ziehen. Ich kann eben nicht sagen,
daß ich über die ungewohnte Einrichtung und über die mannichfachen Unbequem¬
lichkeiten, die uns erwarteten, in bedeutendes Staunen gerathen wäre, denn ich
hatte schon früher von meinen Verwandten, welche vor 3 Jahren dieselbe Reise
gemacht hatten, einen ausführlichen Bericht erhalten, und außerdem hatte ich unsre
zukünftige Wohnung nach und nach aus dem Rohen bis zur höchsten Vollkommen¬
heit sich entwickeln gesehen. Da ich allein reiste, da ich serner von mir wußte,
daß ich im Nothfalle, ohne mißgestimmt zu werden, mit Wenigem und auch wol mit
Schlechten fürlieb nehmen konnte, da endlich meine Finanzen sich nicht gerade in einem
blühenden Zustande befanden, so hatte ich beschlossen, mir für 28 Thlr. einen
Platz im Zwischendecke zu kaufen, legte aber später noch S Thlr. zu, um in die
zweite Cajüte, oder wie es die Engländer und Amerikaner nenne", in das Stee-
rage eintreten zu können. Für diese 3 Thlr. hatte ich den Vortheil, daß ich
in näherer Beziehung zu einigen Passagieren blieb, welche mir mehr als die andern
gefielen, und daß ich dadurch' von den mißliebigen etwas mehr getrennt wurde.

Das Steerage nahm den hintern Raum des Zwischendecks ein, und war
durch einen Breterverschlag von den eigentlichen Zwischendeckspassagieren getrennt.
Da durch besondere Umstände die Zahl der Steeragepassagiere auf 17 gestiegen
war, so waren dadurch die Vortheile, welche eine solche Abscheidung bietet, sehr
verringert, und namentlich war es den ö Damen, die sich unter dieser Zahl be¬
fanden, anstößig, nicht allein am Tage, sondern auch des Nachts mit den Gentlemen
denselben Raum zu theilen. Letztere, als Europäer, empfanden ebenfalls zum
Theil das Peinliche dieser Lage (ein Jahr in Amerika würde sie gelehrt haben,
aus der Noth eine Tugend zu machen) und willigten in eine Theilung des Stee¬
rage in der Weise ein, daß die Ladies den hintern Theil dieses Raumes aus¬
schließlich für sich erhalten sollten, während der vordere Theil zur Gentlemen-
Cajüte bestimmt wurde. Dieser Plan, der vorläufig nur von einigen Passagieren


er fest auf seinem Entschlüsse, nicht eher in See zu gehen, als wenn er sicher
hoffen dürste, daß der günstige Wind beständig bliebe.

Drei Wochen hatten wir in Bremerhaven zugebracht; der 20. November war
für die Abfahrt festgesetzt, aber widriger Wind hatte es unmöglich gemacht, den
Fluß zu verlassen. Natürlich war diese Verzögerung Keinem von uns erfreulich;
denn abgesehen davon, daß jede verlorene Zeit nicht zurückgerufen werden kann,
wurde auch unser Geldbeutel unangenehm berührt, indem er zu der Entschädigung
von S Sgr., welche jeder Zwischcndeckspassagier erhielt,' noch eine erkleckliche
Summe zusteuern mußte; doch höhnten uns der von Westen herbrausende Sturm
und die Berichte von verschiedenen Unglücksfällen, welche einige Schiffe in dem
Canal betroffen hatten, mit unsrem Geschicke aus, und wir rechneten gar nicht
unvernünftig: lieber vier Wochen später und um 20 Thlr. ärmer, als zeitig
und mit wohlbewährtem Vermögen in der Tiefe des Meeres. Vom 1. December
an war es Jedem gestattet, in das Schiff zu ziehen. Ich kann eben nicht sagen,
daß ich über die ungewohnte Einrichtung und über die mannichfachen Unbequem¬
lichkeiten, die uns erwarteten, in bedeutendes Staunen gerathen wäre, denn ich
hatte schon früher von meinen Verwandten, welche vor 3 Jahren dieselbe Reise
gemacht hatten, einen ausführlichen Bericht erhalten, und außerdem hatte ich unsre
zukünftige Wohnung nach und nach aus dem Rohen bis zur höchsten Vollkommen¬
heit sich entwickeln gesehen. Da ich allein reiste, da ich serner von mir wußte,
daß ich im Nothfalle, ohne mißgestimmt zu werden, mit Wenigem und auch wol mit
Schlechten fürlieb nehmen konnte, da endlich meine Finanzen sich nicht gerade in einem
blühenden Zustande befanden, so hatte ich beschlossen, mir für 28 Thlr. einen
Platz im Zwischendecke zu kaufen, legte aber später noch S Thlr. zu, um in die
zweite Cajüte, oder wie es die Engländer und Amerikaner nenne», in das Stee-
rage eintreten zu können. Für diese 3 Thlr. hatte ich den Vortheil, daß ich
in näherer Beziehung zu einigen Passagieren blieb, welche mir mehr als die andern
gefielen, und daß ich dadurch' von den mißliebigen etwas mehr getrennt wurde.

Das Steerage nahm den hintern Raum des Zwischendecks ein, und war
durch einen Breterverschlag von den eigentlichen Zwischendeckspassagieren getrennt.
Da durch besondere Umstände die Zahl der Steeragepassagiere auf 17 gestiegen
war, so waren dadurch die Vortheile, welche eine solche Abscheidung bietet, sehr
verringert, und namentlich war es den ö Damen, die sich unter dieser Zahl be¬
fanden, anstößig, nicht allein am Tage, sondern auch des Nachts mit den Gentlemen
denselben Raum zu theilen. Letztere, als Europäer, empfanden ebenfalls zum
Theil das Peinliche dieser Lage (ein Jahr in Amerika würde sie gelehrt haben,
aus der Noth eine Tugend zu machen) und willigten in eine Theilung des Stee¬
rage in der Weise ein, daß die Ladies den hintern Theil dieses Raumes aus¬
schließlich für sich erhalten sollten, während der vordere Theil zur Gentlemen-
Cajüte bestimmt wurde. Dieser Plan, der vorläufig nur von einigen Passagieren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/376>, abgerufen am 04.07.2024.